Mittwoch, 24. Januar 2007

"Eine eigene Geschichte"

Heute früh war es in der Zeitung zu lesen: Blumfeld werden sich auflösen – der Kreis habe sich für sie geschlossen. Nach einer Abschiedstournee im April/Mai wird es keine Zukunft mehr geben für Distelmeyer & Co. Eine Institution der deutschen Rockmusik nimmt also ihren Hut. Nach sechzehn Jahren und sechs Alben scheint alles gesagt…


Werfen wir also einen kleinen Blick zurück: „Ein Lied mehr, das Dich festhält /und nicht da hin lässt, wo Du hin willst / weg von hier / das wiegt schwer, wie mein neues T-Shirt /auf dem was draufsteht / baut eine Mauer um mich herum /baut eine Mauer“. 1992 war es, als drei Herren aus Hamburg der deutschen Musik einen kräftigen Arschtritt verpassten, indem sie Dinge neu und anders formulierten. Die Musikpresse war schnell angetan von Ich-Maschine, denn der Sprechgesangs-Indie-Diskurs-Rock erschallte hinein ein trauriges Vakuum. Deutschsprachige Musik war wieder einmal an einem Tiefpunkt angelangt. Die Platte fiel auf fruchtbaren Boden und die Feuilletonisten und Intellektuelle hatten praktisch über Nacht eine neue Lieblingsband gefunden, an der sie sich nun abarbeiteten. Distelmeyers Texte waren direkt, aber dennoch voller Querverweise, Zitate, schlauer Sprüche, gar Humor. Und Politik: Was Blumfeld schrieben, waren nicht weniger als die besten deutschen politischen Songs seit Ton Steine Scherben. Erst Die Goldenen Zitronen sollten 1994 mit „Das bisschen Totschlag“ eine vergleichsweise eigene, wenn auch gänzlich andere politische Sprache finden.


Was die erste, rohe, etwas rumpelige Platte nur erahnen ließ, wurde 1994 mit L’Etat et Moi Gewissheit: hier sprach der Primus einer neuen Generation deutscher Musik: „Es hat uns niemand gefragt / wir hatten noch kein Gesicht / ob wir leben wollten oder lieber nicht / hin und her und hin und her gerissen / zwischen verstehen wollen handeln müssen / keine Liebe keine Arbeit kein Leben / an meinem Kissen schlag ich mir den Kopf auf / und wenn der Tag kommt bleibt es kleben / und der Staat ist kein Traum / sondern bleibt wie mein Kissen /ein mich gestaltender, die Fäden, die rissen / und Welt verwaltender Zustand / der sich durch mich und mich bewegt / durch Gedanken aus Stein aus Licht eine Mauer / eine Sonne a
us Eisen eine Sprache aus Trauer“. Schnell war die Rede von einer „Hamburger Schule“ – als Referenz an die Herkunft (Kolossale Jugend, ostzonensuppen- würfelmachenkrebs, Tocotronic, Die Sterne, etc. kamen ja alle aus der Hansestadt) und wegen der diskursiven Herangehensweise als Anspielung auf die „Frankfurter Schule“.

Während nun allerdings Tocotronic und Co. Mitte der Neunziger erst richtig loslegten und ihre wichtigsten Alben veröffentlichten, wurde es um Blumfeld ruhig. Statt Alben zu machen tourten sie lieber fleißig durchs Land. Die Bürde von L’Etat et Moi schien zu groß und die Band an einer Neuausrichtung ihrer Musik interessiert gewesen zu sein. 1999 dann der Schock: Tausend Tränen tief, das Video mit Helmut Berger, die Popsingle, das Liebeslied, Kitsch? Old Nobody, das dazugehörige Album war und ist bis heute der Spaltpilz im Bewusstsein der Hörer - ab hier scheiden sich die Geister. Denn da standen plötzlich echter, unverfälschter Pop und direkte, unzweideutige Texte neben dem üblichen Diskursrock, der aber in einer neuen Sanftheit à la Prefab Sprout daherkam. Nichtsdestotrotz sind einige der besten, tiefgründigsten Lieder gerade auf dieser Übergangsplatte zu finden – das zehnminütige „So lebe ich“ etwa: „Ein neuer Tag / kein neues Leben / ein freier Markt / bewegt die Welt / besetzt die Nischen / beherrscht die Sphären / regiert die Nacht / verteilt das Geld. / Ein Widerstand / mit anderen Mitteln / ein Wort, ein Weg / ein erster Schritt / in der Erwartung / durch dunkle Drittel / ein Traumbild kommt / und nimmt mich mit“. Nicht zu vergessen das fünfminütige, epische, das Album eröffnende Gedicht „Eines Tages“!

Was danach kam, war nicht mehr überraschend, sondern lediglich konsequente Fortsetzung
des eingeschlagenen Weges. Der Schwerpunkt verlagerte sich von verklausulierten, mit noisigem Indie-Gitarren-Geschrubbel unterlegten Referenzmonster wie „Sing Sing“, deren Entschlüsselung schon wissenschaftliche Arbeiten beschäftigte, zu direkten, klar verständlichen, Slogans und Liebesliedern, immer haarscharf an der Grenze zur Banalität. Auch und gerade in den Liebesliedern war nun die angestrebte Befreiung der Menschen wieder zu finden, die Liebe als einzig Antikapitalistisches im Kapitalismus schien ein (Aus-)Weg.


Drei weitere Alben und ein Haufen schöner, wichtiger Songs sollten noch folgen. Aber auch ein schleichender Bedeutungsverlust, mit einem in gleicher Weise zunehmenden kommerziellen Erfolg einhergehend. Einige Feuilletonisten verloren ihr Interesse an der Musik, aber die Band konnte letztlich ihre Stellung als eine der wenigen Instanzen der deutschen Musik behaupten. Verbotene Früchte, von den einen hoch gelobt als bestes Album, von vielen als absoluter textlicher Tiefpunkt kritisiert, sollte die Kritiker noch einmal polarisieren. Dass der Fokus plötzlich auf die Natur verlagert wurde, dass die Sprache geradezu märchenhaft wurde, das Politische scheinbar völlig verschwand, Distelmeyer stattdessen lieber über Flüsse, Winde, Tiere und den Apfelmann sang, schien einigen alten Hörern doch einem persönlichen Angriff zu gleichen. Dass sie dabei ein kleines, wunderschönes, lustiges Album verpassten – sei’s drum…

Der Zeitpunkt der Auflösung hätte letztlich kaum besser gewählt werden können. Blumfeld hinterlassen uns ein opulentes, vielschichtiges, sehr zitierfähiges und rundes Werk, ohne uns eine wirklich schlechte Platte zugemutet zu haben. Verlieren werden wir eine der unterhaltsamsten Livebands Deutschlands und einen wichtigen zeitgeschichtlichen
Bezugspunkt. Das letzte Wort sei deshalb nochmals Blumfeld überlassen:

Ich – wie es wirklich war

„Ich war dabei mir ein Art von Verschwinden
die den Tod bezwingt auszudenken
und ließ mich nieder
wo ich mich beherrsche
in den Liedern und in den Sätzen
nahm ich kein Ende
nur eine Wendung
zurück zum ersten Bild
das wäre zu erfinden
geriet zum Strudel
in ein Recycling
und sah das Ende
in sich verschwinden
und e
s fragt sich
war das etwa schon alles?

lügt denn die Welt und wenn nicht?
ist sie am Ende
im Rückstand
gegenüber der Moral der Geschichte

Ich war dabei ei
ne Art von Verschwinden
die den Text bezwingt zu erfinden
andere
Reime auf die Geschichte
nicht auszudenken

und ich verlor an Gewicht
genau wie die Gedichte
geriet in ein Rauschen
oder warn das die Mittel
mit denen ich mich bewegte
die Erfindung einzutauschen
und es fragt sich
war das etwa schon alles
lügt denn die Welt und wenn nicht
ist sie am Ende
im Rückstand
gegenüber der Moral der Geschichte

Ic
h war dabei eine Art von Verschwinden
die schließlich mich b
ezwingt zu Ende zu denken
gegen den Schmerz
unter dem ich mich krümme
zurück zum frühsten Bild
von dem ich eigentlich komme
ein New Age Poster
ein Lebenszeichen
auf
der Reise ins Innere der Trauer
komm ich zum Ende
vielleicht ein Anfang

einer Art von Verschwinden
und ich frag dich
war denn das schon alles
lügt denn die Welt und wenn nicht
ist sie am
Ende
im Rückstand
gegenüber der Moral der Geschichte
und ich bin am E
nde
im Rückstand
der Moral der Geschichte“

(aus: L’Etat et Moi)


Das Werk:




1991/92: Die Welt ist schön (Singles) ***






1992: Ich-Maschine *** 1/2






1994: L'Etat et Moi *****







1999: Old Nobody ****







2001: Testament der Angst *** 1/2






2003: Jenseits von Jedem ****






2006: Verbotene Früchte **** 1/2





6 Kommentare:

Üffi hat gesagt…

du hast vergessen die Tourtermine anzugeben!
An folgenden Terminen kann man sich die Blumfelder nochmal live geben. Ansonsten muss man halt etwas 10 Jahre warten, bis sie aus finaziellen Gründen ihre Reunion verkünden werden!
10.04.2007 Hildesheim Vier Linden
11.04.2007 Bielefeld Forum
12.04.2007 Krefeld Kulturfabrik
13.04.2007 Köln Bürgerhaus
14.04.2007 Marburg Kulturladen KFZ
16.04.2007 Frankfurt Mousonturm
17.04.2007 HeidelbergKarlstorbahf.
18.04.2007 Freiburg Jazzhaus
20.04.2007 Konstanz Kulturladen
22.04.2007 Salzburg ARGE Kultur
23.04.2007 Wien Szene 25.04.2007 München Backstage/Werk
26.04.2007 Regensburg AlteMälzerei
27.04.2007 Würzburg AKW
28.04.2007 Dresden Star-Club

Anonym hat gesagt…

Blumfeld sind schwul!

Mathias Ellwanger hat gesagt…

Vielen Dank für deinen qualifizierten Kommentar! Nur schade, dass du uns die Begründung vorenthälst. Denn was genau meinst du eigentlich damit, dass sie "schwul" seien. Aus gut unterrichteter Quelle weiß ich, dass keiner der Bandmitglieder homosexuelle Neigungen hegt. Bleibt also die Musik. Dass die nicht testosterongeschwängert daherkommt, ist nur schwerlich zu leugnen. Dass es sicher nicht wenige Schwule gibt, die Distelmeyers Ausführungen zu schätzen wissen, dass in manchen Songs mit Sicherheit Referenzen an schwule Musiker zu finden sind, dass sie unverkrampft, frei und ehrlich über Gefühle singen - all das mag sie vielleicht in deinen Augen als "schwul" erscheinen lassen.

Aber: so what? Wo ist dein Argument bzw. was willst du uns eigentlich damit sagen? Entweder du bist ein (verkappter) Macho, der Männern jegliche Gefühle abspricht, dann tust du mir einfach nur leid. Oder dir fehlen einfach die entsprechenden rhetorischen Skillz, um zu einer prägnanteren, als eben jener nichtssagenden - wohl als Diffamierung zu verstehenden - "Meinung" zu gelangen, dann kann (und will) ich dir von hier aus auch nicht helfen. Denn du ziehst es ja lieber vor, dich hinter einer Maske der Anonymität zu verstecken, was jeglichen Diskurs, sofern er mit Menschen wie dir überhaupt möglich ist, natürlich reichlich erschwert...

Anonym hat gesagt…

Blumfeld - die überschätzteste Musikgruppe Deutschlands. Endlich bist du tot, endlich bleiben uns so Perlen wie
"Liebe ist Freundschaft, Sex und Zärtlichkeit
Liebe ist das Ende der Ewigkeit
Du - ich such nach einem Bild für Dich
Du - zu zeigen was Du für mich bist
Du - ich habe Dich solang vermißt
Du - weil es Deine Liehe ist"
verschont. Niemand wird euch vermissen! Niemand wird sich an euch erinnern. Wenn wir mal laächen wollen,werden wir eure "Musik" aus dem Schrank ziehen und uns schlapplachen. Was dieses Land braucht, sind deutsche Musiker, ihr wart doch nur getarnte Kulturimperialisten.
Auf euren Tod mache ich eine gute Flasche (natürlich) deuschen Sekt auf!

Mathias Ellwanger hat gesagt…

Sehr geehrter Herr Schmitt,
ich erspare mir an dieser Stelle einfach mal, meine Ansichten bezüglich Ihres Kommunikationsstils, die ich schon zu Ihrem Kommentar bei „conText“ ausführen durfte, zu wiederholen.

Dass Sie aus der breiten Palette des musikalischen Schaffens der Herren Distelmeyer & Co. gerade eines der eher „umstrittenen“ Lieder als Beispiel herangezogen haben – sei Ihnen verziehen. Die Band hat schließlich so viel mehr Zitierfähiges hinterlassen, als alle mir bekannten Naziliedermacher und –rocker zusammen. Sicher, mein Kenntnisse hinsichtlich dieser Musik sind eher begrenzt, aber bis dato ist mir noch keine halbwegs textlich (oder gar musikalisch) brauchbare rechte Band begegnet. Was ich kenne ist entweder peinlich-reaktionär und musikalisch wie textlich grauenhaft, da die „Künstler“ weder rhythmus- noch reimfähig sind (Daniel Eggers, Annett, Frank Rennicke & Co.), dilletantisch-teutonisch-pseudopunkig (Carpe Diem, Landser, Faustrecht, etc.) oder einfach nur peinlich-provokant wie die holden „Zillertaler Türkenjäger“.

Bei solch einem Vergleichsmaßstab ist selbst das schlechteste, peinlichste und langweiligste Lied von Blumfeld noch schön, interessant und poetisch.

Ach ja, den Vorwurf mit dem Kulturimperialismus müssen Sie mir noch mal erklären. Zunächst einmal singen Blumfeld auf deutsch (was sie Ihnen ja eigentlich sympathisch machen sollte), und das in einem sehr guten (auch dagegen dürften Sie noch nichts einzuwenden haben), zum anderen zeichnen sich große Teile ihres Werkes durch eine dezidierte Kultur- und Kapitalismuskritik aus (was Ihnen ja auch zumindest partiell zusagen müsste). Ihnen scheint wohl der Begriff des Kulturimperialismus nicht ganz klar zu sein. Ein einfacher Blick auf Wikipedia.de hätte Ihnen zumindest eine Idee davon vermittelt, was damit gemeint sein könnte. Im ersten Satz heißt es dort: „K. bezeichnet eine spezielle Herrschaftsbeziehung, welche durch Zerstörung, Unterbindung und Umformung der ursprünglichen Kultur der Beherrschten bei gleichzeitiger Dominanz der Kultur der allgemein imperialistisch Herrschenden praktiziert wird.“

Sicher, die Referenzwerte Distelmeyers sind vielfältig – und mit Sicherheit auch in den wohl in ihrer Kritik implizierten den Vereinigten Staaten bzw. Großbritannien angesiedelt. Sonic Youth, Bob Dylan oder Prefab Sprout seien an dieser Stelle beispielhaft angeführt. Aber, und das ist doch das entscheidende, zugleich haftet der Band doch auch so viel spezifisch deutsches an: in ihrem Gestus, ihrer Art des Diskurses, ja, auch und gerade in ihren Texten. Auch wenn die Band sich in keinster Weise über ihr Deutsch-Sein definiert, es stattdessen stets empört zurückgewiesen hat, mit der Nation (oder gar Patriotismus) in Verbindung gebracht zu werden, ihr Reflex bleibt doch ein typisch deutscher und ihr textlicher, intellektueller und musikalischer Einfluss auf die hiesige Kultur unleugbar. Und damit haben sie definitiv mehr erschaffen, denn zerstört.

Die Flasche Sekt gönne ich Ihnen trotzdem. Es bleibt ja Ihr gutes Recht, die Musik unerträglich zu finden, ich bin ja schließlich kein Musikfaschist…

Glück & Freiheit,

Anonym hat gesagt…

Und das sagt die Jungle World dazu:

ICH-MASCHINE, BUEFFEL, GNU

Blumfeld gibt es nicht mehr. Einen Rückblick auf eine der wichtigsten deutschsprachigen Bands der vergangenen 15 Jahre liefert bertrand w. klimmek

"Du hast bis jetzt noch nicht kapiert/was um dich rum geschehen ist/dass […] nichts mehr so wie vorher ist/Hast immer nur an dich gedacht/geglaubt, dass dir so nichts passiert/Du hast es dir bequem gemacht/Plötzlich bist du aufgewacht/in der Wirklichkeit." Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, ist nicht der Autor dieser Zeilen, obwohl er bekanntlich der Überzeugung ist, dass man »den Menschen endlich die Wahrheit sagen« müsse. Die folgenden Worte stammen auch nicht vom deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler, für den es zum politischen Geschäft gehört, auch »unbequeme Entscheidungen zu treffen«: »Du hast die Zeichen ignoriert/und dich dabei verspekuliert/Jetzt stehst du da und tust schockiert/ […]/Jetzt macht die Zukunft dich verrückt/ […]/Du weißt, es führt kein Weg zurück/[…]/in der Wirklichkeit.«

Jochen Distelmeyer, der Sänger und Gitarrist von Blumfeld, hat sich den Text von »In der Wirklichkeit« ausgedacht. Und egal, was man von dem Stück hält, das 2003 erschienen ist: Blumfeld waren eine der wichtigsten und interessantesten Bands der neunziger Jahre. Seit ihrem Album »Ich-Maschine« von 1992 war die Platte »Monarchie und Alltag« von den Fehlfarben aus dem Jahr 1981 nicht länger die aufregendste, aufwühlendste und aufreibendste Platte mit deutschsprachigen Texten. 1992 verschärfte die CDU mit der Hilfe der SPD das Asylgesetz und belohnte die Horden, die kurz vorher ein Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen angegriffen und in Brand gesteckt hatten. Was in den Jahren zuvor noch ein sicheres Erkennungszeichen rechtsex­tremer Parteien gewesen war, nämlich ständig Wortmonster wie »Zuwanderungsstrom«, »Asylantenflut« und »Handlungsbedarf« von sich zu geben, gehörte auf einmal in den Medien, bei Politikern und im Alltag zur Normalität.

In dieser Zeit, in der die wiedervereinigten Deutschen erneut dem kollektiven Wahn zu verfallen schienen, tauchten die unversöhnlichen Intellektuellen der so genannten Hamburger Schule auf, allen voran Blumfeld. Sie waren nicht länger selbstgenügsam politisch und phrasenhaft, sondern betrieben Subjektkritik. Diese Selbstzermalmung war einfach nicht als kokette, selbstgefällige Pose zu neutralisieren. Eine zentrale Figur war Distelmeyer, ein Houellebecq der Independent-Szene.

Es hatte schon Vorläufer wie die Kolossale Jugend, Mutter und Cpt. Kirk gegeben. Es gab nun Huah! und Die Sterne, die damals noch recht bemüht funky wirken wollten. Tocotronic und Brüllen waren noch nicht gegründet. Bei Blumfeld war plötzlich zu hören von den »Zeittotschlägern«, von »Pickelface«, von einem »Penismonolog« und einem »Selbstbetrugsdezernat«: »Mach doch mal einer den Kulturkack aus/ach, geht ja nicht/lass bloß an, bin ja selber drin.«

Was wie das Lied eines jammernden Problemkinds anmutete, war allerdings das Gegenteil: eine sehr unbequeme Frontstellung, die selbstverschuldete Mündigkeit. Und es war bemerkenswert, wie abseitig und unzeitgemäß diese vermeint­liche Selbstspiegelung, die doch eine Auseinandersetzung mit einem objektiven und dringlichen Bezug war, in dieser Gesellschaft erschien.

Aber dann kam der Bruch mit der eigenen Haltung. »Es geht mir gut/Die Welt ist schön/Ich lebe gern«, sang Distelmeyer 2003. »Es gibt nur diese Welt«, verkündete er 2006. Seit dem Ende der neunziger Jahre vollzogen Blumfeld einen Schwenk hin zur musikalischen Konvention. Er unterstrich auf absurde Weise die einzigartige Ausnahmestellung der Band. Keine andere hätte es sich auf einmal erlauben dürfen, Schlager zu spielen, und wäre dennoch ernst genommen worden.

Um nun zu behaupten, man müsse Teil des Bestehenden sein, um es überhaupt verändern zu können, musste die Band natürlich die eigene radikale Vergangenheit als existenzialistisches Pathos abtun. Und genau das war das Problem: Man war auf einmal erwachsen. Auf der Platte »Ich-Maschine« hatte Distelmeyer noch »Von der Unmöglichkeit, Nein zu sagen, ohne sich umzubringen« gesungen. Er hat sich nicht umgebracht, sondern stattdessen auf das ausdrückliche Neinsagen verzichtet. Auf jeder nach 1995 erschienenen Platte waren noch ein bis zwei kritischere Lieder zu finden. Sie wollten auf den ersten Blick nicht so recht zu dem passen, was Blumfeld geworden waren. Stets gebrochen, kündeten etliche Lieder der Band noch immer vom Wissen um das eigene beschädigte Leben, dessen Zeuge man geworden war. Dies geschah aber nie sentimental, selbstgefällig, trotzig, trostspendend und ressentimentgeladen wie bei so vielen anderen deutschen Befindlichkeitskünstlern wie etwa Rosen­stolz. Der entscheidende Unterschied in der Musik und in den Texten zwischen dem neuen deutschen Befindlichkeitspop und Blumfeld schwand zusehends, aber natürlich nicht völlig.

Wie so viele große Kunst zeugt die Blumfelds von der Heftigkeit der Konfrontation zwischen Lust- und Realitätsprinzip. Einen Kult der Innerlichkeit betrieben Distelmeyer und seine Band nie. Die Radikalität, die sich nicht zuletzt darin gezeigt hatte, eine schablonenhafte musikalische Formsprache nicht länger benutzen zu wollen, war aber irgendwann dahin. Doch einer der namhaften Spex-Chefideologen erfand glücklicherweise das Schlagwort von der »Subversion durch Überaffirmation«.

Es ist ja nichts dagegen zu sagen, eine Szene zu verlassen. Die Frage ist, was danach kommt. Der musikalische Songwriting-Konventionalismus, dem Blumfeld und der geläuterte Dissident Jochen Distelmeyer seit dem Ende der neunziger Jahre so demonstrativ und oft genug mit dem Hang zur Kontemplation frönten, erschien nicht nur als die Rückkehr der verlorenen Söhne in die Gesellschaft, sie war es auch. Was zuvor als »Indie« kategorisiert worden war, war nun tatsächlich Pop, war Gebrauchsmusik, war Schlager geworden. Nicht mehr zu hören waren die von Disharmonien durchsetzten Sonic-Youth-Gitarren, die auf Blumfelds ersten Platten dominiert hatten. Im Vordergrund stand immer öfter der Dur-Akkord, zumeist ein Anzeichen musikalischer Ideologieproduktion. Er wurde auch nicht mit Moll-Harmonien dialektisch konterkariert. Die Band streute vielmehr gezielt zweifelnde Akkorde ein, weder unbekümmert Dur noch sentimental Moll, und schuf so eine ganz eigene Ästhetik. Das war also diese vermeintliche Reife, dieses auffällige Abwenden vom musikalischen Manierismus. Möglicherweise hat die Band auf diese Weise sogar mehr Menschen nicht nur erreicht, sondern auch konfrontiert oder gar verändert. Viele kultisch verehrte Rockstars landen irgendwann im Drogensumpf. Distelmeyers Weg führte zum Opium der Alltagsreligion, die zwar nun nicht mehr zurückgewiesen, aber immerhin noch reflektiert wurde.

Die ersten beiden Platten kann man hören wie ein Manifest: »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi«. Hatte man sich auf ihnen noch, wie die Titel schon andeuten, in zermürbender und damit adäquater Weise mit dem sich inmitten der vorgefundenen Zustände selbst entfremdenden Subjekt auseinandergesetzt, so wurde nun, wenn nicht die Versöhnung, so doch eine deutliche Light-Version der Subjektkritik aufgetischt.

Ein Schreiber zog vor Jahren sogar den Vergleich, Blumfeld seien zu dem geworden, was in den siebziger Jahren schon Ton Steine Scherben gewesen seien: ein popkulturelles Identifikationsangebot auf der Höhe der Zeit, auf das sich alle einigen und das alle weiterhin für links halten konnten. Doch einstiges Rebellenliedgut wie »Allein machen sie dich ein« wird mittlerweile genauso gern von Rechtsradikalen gehört oder gecovert. Ob Blumfeld mit ihren reflektierteren Tönen solchen nicht ganz zufälligen Vereinnahmungen wirklich etwas entgegenzusetzen haben oder aber gleichfalls von unappetitlichen Kreisen übernommen werden, wird die Zeit zeigen.

Blumfeld haben es in den über 15 Jahren ihres Bestehens geschickt verstanden, immer im Gespräch zu bleiben. Die stilistische Grenz­aus­lotung, die ganz bewusst betrieben wurde, geriet zunehmend gewagter und wurde gerade dadurch erfolgreich. Nach den sehr guten und im besten Sinne anstrengenden Platten »Ich-Maschine« und »L’Etat et Moi« blieb es erst einmal fünf Jahre still. Der Name Blumfeld war auf dem besten Weg, das zu werden, was viele Musikkäufer »Kult« nennen.

Doch dann kam die dritte Platte »Old Nobody«, und man war schon recht irritiert, wie seicht und irreal versöhnlich auf einmal so manches klang. War das subtilere Dialektik oder ein Opportunismus des Angekommenseins? »Old Nobody« zeigte, dass der so genannte Diskurspop sich einer Antwort auf diese Frage gerne verweigert hätte. Warum gab es auf einmal so viele Dur-Harmonien auf der Platte? War das eine Diskursfinte? Ironie war bei der überwiegend guten Laune keine zu finden. Aber war nicht gerade das in der postmodernen Rezeptionshölle die wahre Ironie? » Die Fans sind gespalten angesichts der neuen Platte«, war allenthalben zu lesen. Oder: »Blumfeld geben der Welt Rätsel auf.«

Im Jahr 2001 dann, auf »Testament der Angst«, schien sich ein Richtungswechsel abzuzeichnen. Hier war, und das abermals irritierend, eine relativ ausgewogene Mischung aus zermürbenden Reflexionen und unbeschwerter Liebes- und Lebensfreude zu hören. Das Kuriosum schlechthin auf der Platte war folgendes: Im linken oder doch bloß konsumkritischen Poprocksong »Diktatur der Angepassten«, der ein ansonsten recht düsteres Bild der Realität zeichnete, wurde in der Bridge gesungen: »Gebt endlich auf/Es ist vorbei«. Das klang, als stünde die Revolution unmittelbar bevor und nur eine umzingelte Minderheit von Reaktionären wehrte sich noch. Ähnliches hörte man zwei Jahre später: »Ihr Sklaven in der Überzahl/wie lang noch wollt ihr leiden?« Als wenn sich davon irgendjemand angesprochen fühlte! Der gesellschaftlichen Hermetik und dem allgegenwärtigen Fetischismus wie ein Globalisierungsgegner ausgerechnet mit wohlmeinenden Appellen begegnen zu wollen, war ein bemerkenswerter Realitätsverlust. Oder war es doch nur ein weiterer, mächtig raffinierter, aber misslingen müssender Versuch einer »Subversion durch Überaffirmation«? Vielleicht aber auch eine Selbstinszenierung, die großen Worte eines verkannten Messias?

Dann gab es mit den beiden letzten Alben noch eine Neuauflage des Spielchens, bei dem man sich fragen musste, ob Blumfeld es ernst meinten. Auf dem Album »Jenseits von Jedem« von 2003 sind bedeutungsschwangere Titel wie »Krankheit als Weg«, »Wir sind frei«, »Jugend von heute« oder »Die Welt ist schön« zu hören, Ironie hin oder her. Selbst unbeirrbare Blumfeld-Fans wurden auf einmal leiser. »Verbotene Früchte« von 2006 schließlich wurde das, was seit den beargwöhnten Zeiten des Kunstrock ein Konzeptalbum genannt wird. Es geht in possierlicher Heinz-Sielmann-Sprache um ein Naturidyll, und es ist dem Schelm Distelmeyer offenbar ein großer Spaß, eine Platte gemacht zu haben, über die man wirklich nicht mehr bei Verstand schreiben oder streiten kann. Das einzige, was über sie zu sagen wäre, klingt angesichts der naiven Bildersprache der Platte verkopft, neurotisch, kleinlich, mindestens aber sehr humorlos. »Siehst du den Büffel und das Gnu am Ufer stehn?« Das ist entwaffnend. Man kann es nur noch zitieren. Distelmeyer, Freund der Geschöpfe, triumphiert als Gewinner des Spielchens.

Unvergessen bleibt mir ein Erlebnis beim Hören der »Politik-Info«-Sendung eines Alternativradios. Es mag vor zehn Jahren gewesen sein, noch vor »Old Nobody«. Es lief ein bemüht-reflektiertes Liedchen in deutscher Sprache, unterlegt mit grüblerischer Musik, insgesamt eher prätentiös als künstlerisch souverän. »Ungeschickte Blumfeld-Epigonen!« dachte ich mir und musste über die geklont wirkende Gymnasiastenlyrik schmunzeln. Nach ein paar Minuten und genauerem Hinhören wurde ich bleich: Es waren tatsächlich Blumfeld. Oh Schreck!

Dass dies kein Fehltritt, kein Ausrutscher war, zeigten immer deutlicher die späteren Platten der Band. Da wurde auf der naturromantischen letzten Platte schon mal »Arbeit« auf »Wahrheit« gereimt. Dort und anderswo zeigte sich, auch wenn manche sich noch so sehr mit vermeintlicher Ironie der richtigen »Rezeption« zu versichern trachteten, nichts weiter als ein Abgleiten in die Lebensphilosophie. Am Jargon der Eigentlichkeit schrammten Blumfeld nicht mehr nur vorbei: »Er ließ Gott gewähren und atmete in seinen Schmerz.« Distelmeyer versprühte in solchen Momenten den hölzernen Charme eines anthroposophischen Bänkelsängers. Ein Kritiker schrieb gar von einem norddeutschen Protestantismus, den er mit der kantigen Art des Exil-Ostwestfalen Distelmeyer verbinde. Hatten Talk Talk in den achziger Jahren Titel wie »Life’s what you make it« gesungen, so verbreitete er nun dieselbe Botschaft anfangs verdruckster, später ganz unverhohlen: »Es gibt kein Müssen und kein Soll’n.«

Ein Ärgernis war es und geradezu verstörend, dass nun gerade dieser ideologisch-vitalistische Aspekt die Stärke der Band, ihres Schreibers und Sängers mit der sympathischen hellen Stimme ausmachen sollte. Manche Poptheoretiker sagen, so wie bei Distelmeyer »funktioniere« Poesie eben. Und auch Musik sei doch nicht Musik, wenn ihr nicht Leben innewohnen würde. Wer macht nicht immer wieder die Erfahrung, dass »das Leben« alle möglichen Stimmungen und Launen für einen bereit hält? Wer würde schon gern Musik hören, die kein offenes Bild der Welt bietet, sondern es nur mehr kritisch-philosophisch zerfasert? Wer wäre schon in der Lage, dem spätbürgerlichen Subjekt die existenzialistische Illusion seiner Autonomie zu nehmen und gleichzeitig Pop zu sein? In diesem Sinn: »Alles macht weiter.« Blumfeld nicht.