Donnerstag, 5. Juli 2012

Die Kunst des gepflegten Lärms

Über der Zukunft der New Yorker Noise-Legende Sonic Youth steht ein großes Fragezeichen. Derweil touren die Bandmitglieder solo durch die Konzertsäle. Lee Ranaldo präsentierte am Mittwoch nun sein aktuelles Album „Between the tides and times“ in der Schorndorfer Manufaktur.

Der Abend beginnt mit den Disappears, die fleißig in den weiten Klanglandschaften von Sonic Youth wildern. Kein Wunder, bedient doch Steve Shelley von Sonic Youth das Schlagzeug. Ihren repetitiven Noise ergänzen die Chicagoer mit dezenten Psychedelic-Anleihen. Der Groove erinnert in seinen besten Momenten an die Rhythmusgruppe der Krautrock-Legende Can.

Die Disappears spielen ihr Set in einem Rutsch durch und bilden eine solide Basis für einen Abend mit immerhin zwei Fünfteln von Sonic Youth. Der großartige Steve Shelley bedient nämlich auch bei Lee Ranaldo das Schlagzeug.

Ranaldo beschränkt sein Repertoire auf die zehn Stücke seines neuen Albums, das überraschend eingängig geraten ist. In der Mitte des Sets überrascht er mit dem „Revolution Blues“ von Neil Young und einer noisigen Version des Talking-Heads-Stücks „Thank you for sending me an angel“.

Dazwischen plaudert er über die Occupy-Bewegung und seine Vision einer gewaltfreien Neuen Linken, die der gewalttätigen Welt, die uns umgibt, mit Herrschaftsfreiheit, Liebe und Respekt begegnet.

Die recht konventionell geratenen Songs seines neuen Albums spielt die Band solide, aber ohne große Leidenschaft herunter. Man ist fast geneigt, sich den Bassisten und Gitarristen der Vorband zurück auf die Bühne zu wünschen. Ranaldo hingegen spielt überzeugend. Immer wieder bearbeitet er seine Gitarre, um Lärmwände zu erzeugen. Dazu benutzt er einen Geigenbogen, Drumsticks oder einfach seine Faust.

Als Zugabe gibt es „Karen Revisited“, einen der besten Songs, die Ranaldo für Sonic Youth geschrieben hat. Die Strukturen lösen sich nach fünf Minuten in einer fulminanten Noise- und Feedback-Orgie auf, die manchen Zuschauer zum Verlassen des Saals bewegt. Einige halten sich am Ende des Konzerts die Ohren zu.

Der gepflegte Lärm erzeugt an diesem sehr kurzen Abend aber allzu oft nicht viel mehr als gepflegte Langeweile. Die für Sonic Youth so typische Gratwanderung zwischen Pop-Appeal und Avantgardismus geht hier leider schief. Der Edellärm gerät zum Selbstzweck und will sich nicht so recht einfügen in die sehr klassisch geprägten Rocksongs.

Auf der Bühne steht eben nicht Sonic Youth, sondern nur ein alt gewordener Veteran der Noise-Rock-Legende. Kim Gordon und Thurston Moore - neben Ranaldo die Gründungsmitglieder der Band - haben sich nach 27 Jahren Ehe letztes Jahr scheiden lassen.

Ob sie jemals wieder gemeinsam auf einer Bühne stehen werden, ist fraglich. Welch ein Verlust für die Musikwelt das wäre, wird dem geneigten Hörer an diesem Abend schmerzlich bewusst.