Montag, 16. Mai 2016

AnnenMayKantereit: Lebenstraum Altbauwohnung


Deutschlands neue Konsensband hört auf den Namen Annenmaykantereit. Die Kölner Ex-Straßenmusiker haben den Mainstream erobert. Und mit "Alles nix konkretes" nun auch ein Album veröffentlicht, das prompt auf Platz 1 der Album-Charts landete. Was ist dran am Hype?

Diese markante Stimme, zwischen Dröhnen und Röhren, war in der deutschen Musik lange Zeit nicht mehr zu vernehmen. Schon gar nicht von so einem schmalen, jungenhaften Mann. Diese Stimme erinnert entfernt an Rio Reiser, stärker noch an Klaus Lage, in ihren besten Momenten auch an den jungen Tom Waits. Sie gehört Henning May, dessen Sehnen sich beim Singen anspannen als würden sie gleich platzen. Die Stimme träumt von einer Zwei-Zimmer-Altbauwohnung, erzählt vom studentischen WG-Leben, davon "barfuß am Klavier" zu sitzen. Umrahmt wird sie von gefälligem Folk-Pop.

Angefangen als Straßenmusiker

Vor fünf Jahren starteten Annenmaykantereit - benannt nach den Namen der drei Gründungsmitglieder - als Straßenmusiker. Später begannen sie damit, sich zu filmen und die an Kölner Straßenecken gedrehten Videos auf Youtube zu stellen. In Eigenregie produzierten sie 2013 das inzwischen vergriffene Album KMT. Auch ihre ersten professionellen Musikvideos drehte die Band selbst. Über den eigenen Youtube-Kanal vergrößerten sie damit rasant ihre Anhängerschaft. Auf der Plattform sind sie längst schon Stars. Alleine "Barfuß am Klavier" wurde dort bereits zwölf Millionen Mal angeschaut. Im Herbst 2015 folgte dann der Major-Deal.


"Du hast mich angezogen, ausgezogen, großgezogen / Und wir sind umgezogen, ich hab dich angelogen! / Ich nehme keine Drogen / Und in der Schule war ich auch". Mit diesen Worten beginnt "Alles nix konkretes", das Major-Debüt der neuen deutschen Pop-Hoffnung. Den Song "Oft gefragt" hat Henning May für seinen Vater geschrieben. Schon Monate zuvor geisterte er durchs Netz. Im Dezember 2014 präsentierte ihn die Band in der Fernsehsendung Circus Halligalli.

Es ist das wohl stärkste Stücke des Albums und beschreibt eine behütete Kindheit, die dennoch irgendwann nach Abgrenzung verlangt. Stark ist auch die Ballade "Barfuß am Klavier". Dazwischen findet sich viel Mittelmaß, viel beschauliche Innerlichkeit. Vor allem jene Songs, die zuvor noch nicht im Netz kursierten, können nicht so recht überzeugen.

Geschichten aus dem WG-Leben

Überhaupt scheint der Band-Kosmos vor allem betulich um sich selbst zu kreisen: um die netten Geschichten aus dem WG-Leben, den billigen Wein und die selbst gedrehten Zigaretten. Der größte Traum: eine Altbauwohnung, "zwei Zimmer, Küche, Bad und ’n kleiner Balkon". Worauf tatsächlich der Reim folgt: "Ich würde auch manchmal morgens Brötchen holen". Nicht umsonst hat der Rolling Stone die Band als "das Spießigste jenseits von Bausparverträgen" bezeichnet.

Genau hier liegt das Problem von Annenmaykantereit: Die Träume der Nachwuchs-Musiker sind so bescheiden, so nett, so harmlos. Und so klingt dann auch die Musik. Moses Schneider, bekannt als Hausproduzent von Tocotronic, hat zwar gute Arbeit geleistet. Es ist ihm gelungen, den Straßenmusik-Charme zumindest ansatzweise auf das Album zu retten. Abgesehen von Henning Mays rauer Stimme ist die Musik aber so glattgebügelt, dass sie garantiert auf keiner Radiostation aus dem Format fällt.

Was ist also das Interessante an der Band? Es ist nicht so sehr ihre Musik, es ist die Geschichte dahinter. Denn im Grunde geht es bei Annenmaykantereit ja nicht nur um Altbauwohnungen, zebrochene Liebe und billigen Wein. Die Band erzählt von der Befindlichkeit einer Generation, die sich nicht groß um die Veränderung der Welt schert. Die nicht mit ihr hadert, sich vielmehr genügsam in ihr einrichtet. Und die auch kein Problem damit hat, nett zu sein. Musikalisch lässt das für die Zukunft leider nicht allzu viel erhoffen.

(Dieser Text erschien bereits Anfang Mai auf www.zvw.de)

Foto: r-a-d-e-k via Visual hunt / CC BY