Montag, 17. Dezember 2007

Das Klima wird rauer




Wilhelm Heitmeyer, einer der renommiertesten Pädagogen der Republik erforscht seit geraumer Zeit die „deutschen Zustände“ und veröffentlicht unter gleichem Namen empirische Studien über die Einstellungen und Lebensweisen der Menschen zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen. In den letzten Tagen ist der sechste Band seiner Forschungen erschienen – und wie immer sind die Ergebnisse alles andere als erfreulich. Das Klima in der Republik wird zunehmend rauer.

Sicher, Berlin ist nicht Rio de Janeiro und Deutschland noch lange nicht Brasilien – im Guten wie im Schlechten, aber alle empirischen Studien kommen zum gleichen Ergebnis: die Schere der sozialen Ungleichheit öffnet sich mehr und mehr, und die gesellschaftliche Spaltung ist nur noch schwer aufzuhalten. Nicht, dass Deutschland – allen Unkenrufen à la Schelsky zum trotz – je eine sehr egalitäre Gesellschaft gewesen wäre, spätestens die vielen Analysen zu den verschiedenen PISA-Studien dürften den Klassencharakter der Republik eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben. Aber spätestens seit der zweiten Legislaturperiode der rot-grünen Regierung und den konsensuell von allen Parteien (außer der LINKEN) beschlossenen Reformen der Agenda 2010 verschärfen sich die Gegensätze.

Sie alleine darauf zurückzuführen wäre sicher verkürzt, in vielerlei Hinsicht haben sie existierende soziale Ungleichheitsverhältnisse erst in ihrer Dramatik offenbart, de facto aber die Lage vieler Menschen am sozialen Rand verschlechtert. Viele kritische Faktoren (die sicher einer näheren wissenschaftlichen Analyse bedürfen) treffen vor allem (aber längst nicht nur) in den migrantisch geprägten Großstadtmilieus zusammen.

Dass sich jugendlichen Gewaltdelikte im Laufe der letzten zehn Jahre beinahe verdoppelt haben, kann deshalb kaum überraschen, ist jedoch angesichts der Abnahme der Gewaltverbrechen wie der Kriminalität insgesamt durchaus bemerkenswert. Nicht nur in Großstädten verbindet sich eine ungute Mischung aus einem sozial höchst ungerechten Bildungssystem, sozialer Deprivation, schlechten Familienverhältnissen, Perspektivlosigkeit und einem eklatanten Mangel an guten Vorbildern zu einem explosivem Gemisch, das zu einer Zunahme brutaler roher Gewalttätigkeit (auf dem Boden Liegende immer noch mit Schlägen traktieren) führt.

Einfache Gegenmittel sind schnell bei der Hand, aber weder eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, noch aus gleicher Feder stammende Initiativen zu mehr moralischer Erziehung schlagen greift wirklich an der Wurzel des Problems an. Unkenrufe dieser Art sind stets dann zu beobachten, wenn der ethische Konsens einer Gesellschaft längst verloren gegangen ist – in der Postmoderne ein grundlegendes, doch durchaus lösbares Problem.

Denn die nötigen Diskussionen werden längst geführt, liegen z.T. schon weit zurück, doch an der konsequenten Umsetzung bzw. der ernsthaften Beachtung bereits geführter Diskurse hapert es – die Wiederkehr des immer gleichen eben…

Sonntag, 16. Dezember 2007

Demokratie durch Intervention?


Demokratisierungsprozesse sind komplex, langwierig und nur erfolgreich, wenn sie aus einer Gesellschaft heraus geschehen und nicht von außen mittels Zwang erfolgen. Sie sind komplex, da sie einer Diskussionskultur bedürfen, die verschiedene Ansichten (vorausgesetzt sie sind durch die Verfassung des jeweiligen Staates gedeckt) als prinzipiell gleichwertig akzeptiert. Dass dies selbst in gefestigten Demokratien problematisch sein kann, zeigen nicht zuletzt die hitzigen Diskussionen um die Ausübung der Religionsfreiheit europäischer Muslime in eigenen repräsentativen Gotteshäusern. Eine Demokratie ohne Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit ist ein Widerspruch in sich. Zur Gewährleistung dieser Rechte allerdings bedarf es (gerade in homogenen Gesellschaften) eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses, der abweichende Meinungen akzeptiert. Dass dieser Prozess langwierig ist, liegt an den offensichtlichen Nachteilen der Demokratie: langwierige Diskussionen und Entscheidungs- findungsprozesse verhindern bisweilen notwendige Reformprozesse und lassen in Krisensituationen ein autoritäres Herrschaftssystem als effizienter erscheinen. Und letztlich bedarf es einer Einbettung der Demokratie in die nationale, regionale und kulturelle Tradition der jeweiligen Gesellschaften. Eine von außen aufoktroyierte Herrschaftsform wird zumeist als fremd empfunden und erlangt weit weniger Akzeptanz (eine durch Krieg herbeigeführte verringert dabei die Wahrscheinlichkeit) als eine gewachsene, mit den spezifischen politisch-gesellschaftlichen Bedingungen zusammenhängende.

Marquis de Sades Fazit auf dem Höhepunkt der Französischen Revolution: „Wenn ihr in eurem Inneren unüberwindlich und eurer wohlgeordneten Zustände und guten Gesetze wegen Vorbild aller Völker seid, werdet ihr alle Staaten der Welt dazu zwingen, euch nachzuahmen, und ein jeder wird es sich zur Ehre rechnen, mit euch verbündet zu sein; aber wenn ihr des eitlen Ruhmes wegen, eure Grundsätze in die Ferne zu tragen, die Sorge um eure eigene Glückseligkeit aufgebt, dann wird der bloß schlummernde Despotismus wiedererstehen, innere Zwistigkeiten werden euch zerrütten, eure Finanzen und Soldaten werden erschöpft sein, und all dies, um schließlich wieder die Ketten eurer Tyrannen zu küssen, die euch während eurer Abwesenheit unterjochten; alles, was ihr begehrt, könnt ihr erreichen, ohne eure Häuser zu verlassen; mögen sich dann die anderen (…) ein Beispiel nehmen und ebenso frei und einträchtig und glücklich sein wie wir, die wir ihnen durch unser mustergültiges, eines republikanischen Staates würdiges Verhalten die Bahnen hierfür vorschreiben.“

Freitag, 14. Dezember 2007

Mertesdorf


Seit nunmehr fast drei Monaten wohne ich in Mertesdorf. In einem SWR-Beitrag wird dieser (wahrscheinlich älteste deutsche) Weinort gewürdigt, in dem u.a. auch mein Vermieter vom alteingesessenen Weingut Grünhaus, Herr Schubert, zu Wort kommt...

Mein Ruin


Mein Ruin

Mein Ruin das ist zunächst
Etwas das gewachsen ist
Wie eine Welle die mich trägt
Und mich dann unter sich begräbt
Mein Ruin ist was mich zieht
Wiederholung als Prinzip
Ein Zusammenbruch
Ein Fall
Ein Versuch
Ein Donnerhall
Mein Ruin ist Heiligtum
Diebstahl und Erinnerung
Geboren aus Unsicherheit
Freude und Zerbrechlichkeit
Mein Ruin ist Unverstand
Kein Märtyrer
Kein Komödiant
Nur aus Kälte und Distanz
Verleih ich mir den Lorbeerkranz
Mein Ruin ist mein Bereich
Denn ich bin nicht einer von euch
Mein Ruin ist was mir bleibt
Wenn alles andere sich zerstäubt
Mein Ruin das ist mein Ziel
Die Lieblingsrolle die ich spiel
Mein Ruin ist mein Triumph
Empfindlichkeit und Unvernunft
Eine Befreiung
Eine Pracht
Sanfter als die tiefste Nacht
Die ab jetzt für immer bleibt
Und ihre eigenen Lieder schreibt
Mein Ruin ist mein Bereich
Denn ich bin nur einer von euch
Mein Ruin ist was mir bleibt
Wenn alles andere sich betäubt
Mein Ruin ist weiterhin
Eine Arbeit ohne Sinn
Etwas das man nie bereut
Eine Abgeschiedenheit
Mein Ruin ist nur verbal
Feigheit vor dem Feind
Der Qual
Der Trauer und der tiefen Not
Mein größtes Glück
Ein tiefes Rot
Mein Ruin ist mein Bereich
Denn ich bin einer unter euch
Mein Ruin ist was mir bleibt
Wenn alles andere sich zerstäubt
Mein Ruin das ist zunächst
Etwas das gewachsen ist
Wie eine Welle die mich trägt
Und mich dann unter sich begräbt

(Tocotronic, 2007)

Samstag, 8. Dezember 2007

Das Mindeste


Nicht nur von Liberalen wird der Mindestlohn nur allzu gerne als populistisch und kontraproduktiv, da Arbeitsplätze vernichtend angesehen. Und siehe da: kaum vereinbart die Regierung einen Post-Mindestlohn, erklärt eine der Öffentlichkeit bisher kaum bekannte Konkurrenzfirma namens PIN massiven Stellenabbau. Die wirtschaftsliberale Logik scheint sich also zu bewahrheiten. Doch bei näherer Betrachtung ergibt sich ein etwas anderes Bild.

Zu allererst zeigt dieser Fall nämlich eines: Mindestlöhne können Dumping-Geschäftsmodelle verhindern. Um nichts anderes handelt es sich nämlich bei der PIN-Group, hinter der mit einem Aktienanteil von 71,6% niemand geringeres als die berüchtigte Axel Springer AG steckt. Um mit der Deutschen Post AG in Konkurrenz treten zu können, wurden dort bisher die Löhne so weit nach unten gedrückt, dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Mitarbeiter auf eine Aufstockung des Einkommens durch den Staat angewiesen war – das Kombilohnmodell von Frau Merkel quasi in Reinform.
 
Des weiteren beträgt der Durchschnittslohn der Postzusteller bei der Deutschen Post AG sage und schreibe 16 €. Mit einem Mindestlohn von 9,80 € kann sie mehr als gut leben, aber nicht nur das: sie hat sogar Potenzial für zusätzliche Mitarbeiter und deshalb unlängst angekündigt, von PIN entlassene Mitarbeiter zu „vernünftigen Löhnen“ einzustellen. Die pauschale Behauptung, Mindestlöhne würden automatisch Arbeitsplätze vernichten, lässt sich zumindest hier nicht aufrechterhalten.

Was sich an diesem Beispiel aufzeigen lässt: nicht die Forderung nach einem Mindestlohn, die polemische Kritik an ihm ist verkürzt. Der Postmarkt mag sicherlich ein spezieller Fall sein, aber die Ausbreitung des Beschäftigungsmodells Dumpinglohn + ALG II-Aufstockung bzw. Zweit- oder Drittjob, und damit die Entstehung sog. „working poor“ ist in vollem Gange. Wer sich also gegen einen Mindestlohn ausspricht sollte gleichzeitig auch die sozialen Folgen einer solchen Polarisierung von Arbeitsmarkt und Gesellschaft offen benennen und nicht von sozialer Marktwirtschaft reden, wo doch letztlich nur Marktliberalismus gemeint ist.
 
Deutschland zählt zu den wenigen Industrieländern, die noch keinen Mindestlohn eingeführt haben – selbst die durch den Thatcherismus von jeglichem Staatsinterventionismus entwöhnten, staatlichen Eingriffen von jeher skeptisch gegenüberstehenden Briten haben ihn seit 1999. Und mit umgerechnet 7,96 € liegt er momentan sogar über den von SPD und Gewerkschaften geforderten (und von Wirtschaftsverbänden, CDU und FDP als fatal bezeichneten) 7,50 €. Ein einfacher Blick auf die Wirtschaftsdaten des Landes offenbart: die Einführung des Mindestlohnes zeitigte keine signifikanten Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau, stattdessen erhöhte sich nicht nur das reale wie relative Lohnniveau, nein, es verringerte sich zudem die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen.

Auch der Vergleich mit anderen Mindestlohn-Ländern zeigt: aus der Einführung eines Mindestlohnes folgt zunächst – außer einer Verbesserung der Lebenslagen von im Niedriglohnsektor Beschäftigten – recht wenig. Die ständig wiederholte Litanei von damit automatisch verknüpften Arbeitsplatzverlusten in gigantischem Ausmaße, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als reine marktliberale Ideologie. Entscheidend sind letztlich die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, und unter liberalen Regimen gewinnen dabei stets nur zwei: die Ungleichheit und die ohnehin Privilegierten…

Dienstag, 4. Dezember 2007

Don't eat the yellow snow



Frank Zappa mit einem seiner vielen Klassiker aus dem Jahre 1974 - animiert für das 21. Jahrhundert. Spricht für sich selbst...

Montag, 3. Dezember 2007

Die neuen Nazis

Dass die NPD nun schon ein gutes Jahr im Schweriner Landtag sitzt, war dem NDR eine durchaus umstrittene Doku wert. "Die neuen Nazis" rief, vor etwa einem Monat erstmals ausgestrahlt, nicht zuletzt deshalb Kritik hervor, weil (so war es vor allem aus den Mündern der einschlägigen Politiker zu vernehmen) der Film zu undistanziert gewesen und Udo Pastörs, das wohl größte Polittalent der Rechtsextremen, zu gut dabei weggekommen sei. Nun ist es ja durchaus eine umstrittene Frage, wie ein Dokumentarfilmer die von ihm porträtierten Gegebenheiten darstellen soll:
Sollte eine Dokumentation einen möglichst unverstellten Blick auf die Realität haben, diese kritisch reflektieren oder einseitig Position beziehen? Unabhängig vom jeweiligen Thema, das sicher einen Einfluss auf die Art und Weise der Berichterstattung hat – und das aus gutem Grunde – ist doch gerade bei gesellschaftlich heiklen Themen (und um ein solches handelt es sich nun einmal bei dem Phänomen des parlamentarischen Rechtsextremismus) Vorsicht angebracht. Allerdings: wer davon ausgeht, dass ein durchaus kritischer, aber vorrangig dokumentarischer Bericht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen von den Bürgern nicht selbst kritisch reflektiert werden kann, der hat wahrlich das nötige Vertrauen in die Demokratie verloren. Und da liegt doch letztlich auch das entscheidende Problem: einer Demokratie, die sich vor der offenen, argumentativen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Rändern scheut, droht irgendwann auch der Verlust der viel beschworenen Mitte.

Dass es sich bei Pastörs um einen durchaus bürgernahen und rhetorisch begabten Politiker handelt macht die Sache sicher nicht leichter, gerade in jenem Bundesland, das wohl am wenigsten von der Wiedervereinigung profitiert und am meisten unter Abwanderung zu leiden hat. Die Augen vor der Realität zu verschließen – und der parlamentarische Rechtsextremismus ist das nun mal leider – wäre aber fatal. Deshalb sind möglichst unverstellte Dokumentationen kompetenter Journalisten unabdingbar. In den letzten Jahren (nicht zuletzt verursacht durch die unsäglichen Filme eines gewissen Herrn Moore) ist jedoch eine deutliche Tendenz zur Verflachung und Verkürzung zu beobachten, eine Verschiebung von der Reflexion zur Unterhaltung, die nicht nur politische Dokumentationen betrifft, aber bei ihnen besonders negativ zu tragen kommt. „Die neuen Nazis“ hebt sich davon wohltuend ab (und wird entgegen anders lautender Kritik letztlich doch deutlich). Doch seht selbst: Die neuen Nazis – ein Film von Anke Hahns und Felix Pankow