Donnerstag, 23. Januar 2020

High Fidelity No. 12: Fünf Bücher

Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex 1, 2 und 3
Wer etwas über die Gegenwart in Frankreich erfahren will, dem sei diese Roman-Trilogie von Virginie Despentes empfohlen. Die Autorin wirft darin einen ziemlich schonungslosen, differenzierten Blick auf ihr eigenes Land. Die Protagonisten stammen aus verschiedenen politischen Lagern und Gesellschaftsschichten. Und sie treffen nur deshalb aufeinander, weil sie alle eines verbindet: der ehemalige Plattenladen von Vernon Subutex. Zu Beginn des Romans wird Subutex obdachlos wird und bringt bei seinem Abdriften aus der Gesellschaft das Leben seiner Mitmenschen gehörig durcheinander. Die Trilogie hat einen irre guten Einstieg, ist rasant erzählt, aber auch komplex. Despentes eröffnet viele Handlungsstränge und lässt ihre Roman-Serie zum Ende hin immer absurder werden.
 

Jason Lutes: Berlin I, II und III
Der US-amerikanische Comic-Zeichner Jason Lutes hat intensiv zum Berlin der Vorkriegszeit recherchiert. Und in den drei Bänden, die über mehrere Jahrzehnte entstanden sind, ein Gesellschaftspanorama zwischen den Jahren 28 und 33 erschaffen, das mit Zeitsprüngen, wechselnden Handlungssträngen und Perspektiven arbeitet. Dabei werden verschiedene Schicksale mit ihren ganz unterschiedlichen Sichtweisen auf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen porträtiert. Dass die Geschichte im Buch wie in der Realität nicht gut ausgehen kann, ist klar. Weshalb, das macht Lutes mit seiner Arbeit verständlich.
 
T.C. Boyle: America
America ist zwar schon 1995 erschienen, wirkt aber wie ein Buch zur Trump-Ära. Es geht darin um ein Paar, zwei illegale Einwanderer aus Mexico, die einen verzweifelten Überlebenskampf führen, der sie in der kalifornischen Wildnis stranden lässt. Es handelt zugleich von der Fremdenfeindlichkeit und den Ängsten der Mittelschicht, die schließlich zu einem fatalen Mauerbau führen. Und davon, wie diese beiden Welten aufeinander treffen, aber nicht zusammenfinden.


Sibylle Berg: GRM Brainfuck
Dieses Buch ist heftig - inhaltlich wie stilistisch. Berg schreibt hier so direkt und hart, als wäre es ein 640 Seiten langer Grime-Track (nach jener Musikrichtung ist der Roman auch passenderweise benannt). Sie macht wilde Interpunktionen, biegt und bricht die Grammatik und neigt zu drastischen Formulierungen. GRM spielt im zum Total-Überwachungsstaat mutierten Post-Brexit-Britain und ist eine düstere, dreckige Dystopie, die vieles vereint, was gerade passiert oder sich bereits andeutet. Geschrieben ist es aus der Perspektive einer Gruppe von Kindern, die am Rande der Gesellschaft leben und versuchen, aus dem System auszubrechen, was aber letztlich nicht gelingen kann. Nach 160 Seiten musste ich erstmal eine Pause machen und den Stoff verdauen. Ein starkes Buch.
 
Hans Rosling: Factfulness
Alles wird immer schlimmer: Kriege, Hunger, steigende Geburtenraten, mangelnde Bildung - aber ist das wirklich so? Rosling, der inzwischen verstorben ist, hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, dies mit Statistiken zu widerlegen. Denn, so seine überraschende Erkenntnis: je gebildeter eine Gruppe ist, desto düsterer die Weltsicht und desto schlechter die Einschätzung wie es wirklich steht um die Welt. Dagegen setzte der schwedische Professor Fakten. Jeder kann selbst überprüfen, wie gut seine Einschätzung ist. Rosling hat spezielle Tests dafür entwickelt, die jeder einmal ausgefüllt haben sollte. Hier zum Beispiel. 

...und eine Enttäuschung:

Michel Houellebecq: Serotonin
Nachdem ich von "Karte und Gebiet", aber auch von der "Unterwerfung" recht angetan war, fällt Houellebecq hier wieder weit hinter seine Fähigkeiten zurück. Die Handlung ist öde, wirkt stellenweise arg konstruiert, die Gedanken sind uninspiriert und der Ton ist stellenweise unerträglich larmoyant. Was an dem Buch alles nicht gut ist, hat dieser Deutschlandfunk-Rezensent in seinem Verriss treffend zusammengefasst. Achtung: harter Spoiler!