Freitag, 30. Juni 2006

Dylan

BOB DYLAN wird dieses Jahr wieder ein neues Album herausbringen. Es wird sein 35. Studioalbum sein, aber was uns erwartet ist (wie immer) ungewiss. Anstatt sich, wie andere Musiker seines Alters, mit mehr oder weniger fragwürdigen Kopien seiner alten Kunst zu begnügen, erfindet sich der gute Robert Zimmermann doch immer wieder neu.

Der Provinz entflohen, verschaffte er sich mit 19 Jahren schnell einen guten Ruf in der damals noch äußerst lebendigen New Yorker Folkszene, um nur wenige Jahr später beim legendären March to Washington vor mehr als 250.000 Menschen singen zu dürfen. Doch anstatt sich in seiner Rolle als Politbarde und Symbolfigur der Bürgerrechtsbewegung einzurichten, machte er sich unbeliebt, entwickelte seine Musik weiter, tauschte seine Klampfe für eine E-Gitarre ein und ließ die Anfeindungen seiner einstigen Fans - die zeitweise Dylankonzerte besuchten, nur um ihn auszupfeifen oder zu beleidigen - beinahe stoisch über sich ergehen. Er gab fortan kaum mehr Interviews und lebt bis heute sehr zurückgezogen.

Im folgenden veränderte er seine musikalische Ausrichtung immer wieder, machte einen Haufen exzellenter Alben - leider auch einige schlechte, vor allem im tiefen Tal der Achtziger, die zweifellos als Tiefpunkt seiner Karriere gelten dürften. Er konvertierte Ende der Siebziger vom Judentum zum Christentum, um daraufhin die Welt mit Gospel zu beglücken, und feierte in den Neunzigern seine musikalische Wiederauferstehung, zunächst mit Folk, um dann, da seine Stimme endgültig gebrochen war, sein Meisterwerk Time out of Mind (1997) aufzunehmen.

Inzwischen ist Bob Dylan 65 Jahre alt und befindet sich seit 1988 auf einer Never Ending Tour quer über den Globus, um dort sein umfangreiches Liedgut in immer neuen Variationen zu präsentieren. Sein letztes Album Love and theft (2001) war eine Hommage an die amerikanische Musik des frühen 20. Jahrhunderts und klang zugleich frisch wie zeitlos. Die Musikwelt darf sehr gespannt sein, womit der Meister uns diesmal beglückt...

Sonntag, 25. Juni 2006

Nietzsche






NIETZSCHE

Eine Sprache aus Trauer
Aus Licht eine Mauer
Gedanken aus Stein
Und ein Sein ohne Sein

Lebendige Leichen
Voll Kraft und Gewalt
Von Gott keine Zeichen
So schön von Gestalt

Eine Sehnsucht aus Tränen
Und Perlen von Zähnen
Gesichter aus Stein
Und ein Sein ohne Sein

Wird Schönheit versteigert
Nach Maßen gemessen
Wird Freiheit verweigert
Ganz einfach vergessen
Eine Schale aus Schmerzen
Vom Schmerz brechen Herzen
Muskeln aus Stein
Und ein Sein ohne Sein

Container an Ketten
Und die Haut die dich quält
Kein Gott dich zu retten
Vor dem Feuer das fehlt

Eine Sonne aus Eisen
Mit Qual lächelnd reisen
Götter aus Stein
Und ein Sein ohne Sein

(Rainer Werner Fassbinder)

Ein Gedicht von einem der beindruckendsten deutschen Regisseure (Faustrecht der Freiheit, Die Sehnsucht der Veronika Voss, Angst essen Seele auf, Warum läuft Herr R. Amok?, etc.) über den vielleicht (lyrisch) stärksten deutschen Philosophen. Geschrieben hat er den Text als Chanson - den ich leider nicht kenne - für seine damalige Freundin und Sängerin Ingrid Caven. Auf das Gedicht gestoßen bin ich durch den Text von Blumfelds "Eine eigene Geschichte" (1994), in dem Jochen Distelmeyer Fassbinder zitiert und etwas umbaut, dort heißt es in der ersten Strophe:

"Es hat uns niemand gefragt / wir hatten noch kein Gesicht / ob wir leben wollten oder lieber nicht / hin und her und hin und her gerissen / zwischen verstehen wollen und handeln müssen / keine Liebe keine Arbeit kein Leben / an meinem Kissen schlag ich mir den Kopf auf / und wenn der Tag kommt bleibt es kleben / und der Staat ist kein Traum / sondern bleibt wie mein Kissen / ein mich gestaltender, die Fäden, die rissen / und Welt verwaltender Zustand / der sich durch mich und mich bewegt / durch Gedanken aus Stein aus Licht eine Mauer / eine Sonne aus Eisen eine Sprache aus Trauer".

Sonntag, 18. Juni 2006

Ein altes Rätsel



















Ein altes Rätsel aus einem (recht bekannten) Kinderbuch, das hier nicht verraten wird, und das ich erst vor kurzem mal wieder zur Hand genommen habe:

"Drei Brüder wohnen in einem Haus,
die sehen wahrhaftig verschieden aus,
doch willst du sie unterscheiden,
gleicht jeder den anderen beiden.
Der erste ist nicht da, er kommt erst nach Haus.
Der zweite ist nicht da, er ging schon hinaus.
Nur der dritte ist da, der Kleinste der drei,
denn ohne ihn gäbs nicht die anderen zwei.
Und doch gibt's den dritten, um den es sich handelt,
nur weil sich der erst' in den zweiten verwandelt.
Denn willst du ihn anschaun, so siehst du nur wieder
immer einen der anderen Brüder!
Nun sage mir: Sind die drei vielleicht einer?
Oder sind es nur zwei? Oder ist es gar - keiner?
Und kannst du, mein Kind, ihre Namen mir nennen,
so wirst du drei mächtige Herrscher erkennen.
Sie regieren gemeinsam ein großes Reich -
und sind es auch selbst! Darin sind sie gleich."

Zeittotschläger










ZEITTOTSCHLÄGER

Zeittotschläger auf ihren Wegen
Heute nacht gehöre ich zu ihnen
Zeittotschläger, für fünf Mark Freiheit
und für dreißig Mark Bier
wegen ihm oder ihr

Falsche Richtung!
Falsche Richtung?
Dummheit lass mich los
Dummheit lass los!

Zeittotschläger laufen um ihr Leben
Bevor die Schulbank sie kriegt
Und ihnen alles wegnimmt
Zeittotschläger laufen um ihr Leben
Irgendwann hält Gott seine Arme auf
Bis hierhin und nicht weiter
Wissen tut weh, Gott nicht
Und 33 war Adolf Hitler Gottes Sohn

Falsche Richtung!
Falsche Richtung?
Dummheit lass mich los
Dummheit lass los!

Ich will, dass Liebe wahr wird
Ich will, dass Liebe wahr wird
Ich weiß, dass Liebe wahr werden kann
Ich weiß, dass Liebe wahr werden kann

(Blumfeld, 1992)

Ja, so war das damals, als die Gitarren noch schrammelig, die Texte noch offensiv, ich noch jung und die Welt noch einfacher war. Jetzt werde ich so langsam älter, beginne zu verstehen und manches davon ergibt sogar Sinn. Am besten lernt der Mensch, indem er Fehler macht, jeder macht sie, andauernd, mit manchen lernen wir zu leben, manche erkennen wir gar nicht als solche, und manche werden zu Ideen. Dann kann es passieren, dass sie Geschichte schreiben, tragische, aber letztlich doch hoffnungsvolle Geschichte. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Katastrophen, der Kriege, der Ungerechtigkeiten, der Fehler, aber auch eine der nie stattgefundenen. Und letztlich steht da die Liebe. Ein Ausweg? Ein Notausgang? Die Rettung? Vielleicht.

Das Göttliche













DAS GÖTTLICHE

Edel sei der Mensch
Hilfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.

Heil den unbekannten
Höhern Wesen
Die wir ahnen!
Ihnen gleiche der Mensch!
Sein Beispiel lehr uns
Jene glauben.

Denn unfühlend
Ist die Natur:
Es leuchtet die Sonne
Über Bös und Gute
Und dem Verbrecher
Glänzen wie dem Besten
der Mond und die Sterne.

Wind und Ströme,
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg
Und ergreifen
Vorüber eilend
Einen um den andern.

Auch so das Glück
Tappt unter die Menge,
Faßt bald des Knaben
Lockige Unschuld,
Bald auch den kahlen
Schuldigen Scheitel.

Nach ewigen, ehrnen,
Großen Gesetzen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.

Nur allein der Mensch
Vermag das Unmögliche:
Er unterscheidet,
Wählet und richtet;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.

Er allein darf
Den Guten lohnen,
Den Bösen strafen,
Heilen und retten,
Alles Irrende, Schweifende
Nützlich verbinden.

Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Täten im großen,
Was der Beste im kleinen
tut oder möchte.

Der edle Mensch
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet schaff er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen.

(Johann Wolfgang von Goethe)
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Ja, wäre es nur wirklich so... Eines nämlich hat der Mensch, dass ihn zu den höchsten Taten wie den schlimmsten Verbrechen bewegen kann: die Wahl. Und die Wahl ist es, die uns immer wieder straucheln lässt. Entscheiden wir uns für das Naheliegende, Nützliche, das Glück oder für das Ferne, Anstrengende, gar Altruistische? Und woher wissen wir, dass wir mit unseren Bemühungen auch tatsächlich zu den Ergebnissen kommen, die wir damit bezwecken? Wir können schlicht und ergreifend nicht immer wissen, was unsere Taten bewirken. Das macht in gewisser Weise den Reiz unseres Daseins aus: das Ungewisse, Unbestimmte, Vage. Aber manchmal zerreißt es uns fast, wenn wir Entscheidungen treffen sollen, müssen oder wollen. Und die Moral? Die schwebt über allem, zumeist unbewusst, aber wir können ihr nicht entgehen. Der Mensch muss sich als moralisch verstehen, wie auch immer diese letztlich konkret aussehen mag, gleich ob er sich für das Nützliche, das Glück oder die Tugend entscheidet.