Freitag, 21. Januar 2011

Der Gelehrte in der engen Gasse

KLATSCHEND schlagen des Vogels Schwingen,
Stößt er gegen des Käfigs vier Wände.
Elend und grau lebt der Gelehrte in einer engen
          Gasse;
Einem Schatten anhangend, haust er in leerer Hütte.
Geht er aus, weiß er doch nicht, wohin.
Dornen und Disteln versperren ihm jeglichen Pfad.
Seine Pläne mißraten und werden zunichte,
Gestrandet bleibt er zurück wie ein Fisch im
          trockenen Teich.
Draußen - nicht einen Heller Gehalt;
Drinnen - nicht ein Korn in der Kammer.
Seine Verwandten verachten ihn für sein Versagen,
Die Gefährten und Freunde verhalten sich täglich
          kühler.
Su Ch'in durchzog im Triumphe den Norden,
Li Ssu wurde Premierminister im Westen;
In plötzlichem Glanz erglomm ihres Ruhmes Blüte,
Doch ebenso schnell welkte sie hin und verging.
Tränke man auch aus dem Strom, mehr als des Leibes
          Maß kann man nicht fassen;
Sein Genügen zu haben ist gut, Übersättigung sinnlos.
Der Vogel im Walde kann nur auf einem Zweige sich
          wiegen,
Und dieses Vorbild sollte der Weise sich wählen.

                                         TSO SSU, gestorben etwa 306 n. Chr.

Mittwoch, 19. Januar 2011

Meister der Melancholie Teil 5: Steve von Till

Neurosis sind unbestritten eine der großartigsten Bands der letzten beiden Jahrzehnte, doch nicht jeder schafft es, in ihren dunklen Kosmos durchzudringen. Und auch wenn es in der musikalischen Entwicklung von Neurosis durchaus zugänglicheres gibt (wie Crawl back in), so dominiert doch weithin das Abgründige von Through Silver in Blood. Steve von Till, hauptberuflich übrigens Grundschullehrer, ist einer der beiden Sänger der Band und eher dem Melodiösen zugewandt. Dies ließ sich jedoch bei Neurosis nie so recht verwirklichen, weshalb er der Welt drei Soloalben geschenkt hat, die jeglicher Aggression entbehren und stattdessen in ruhigen Songwritergefilden beheimatet sind. Wenn die Lieder dabei auch der Größe, Erhabenheit und epischen Tiefe von Neurosis entbehren, so bleiben doch wunderbare, tief in der amerikanischen Tradition verwurzelte, leise, intime Stücke, so wie dieses hier:



You don't believe what you don't see
Each grain of sand beneath the sea
You have no faith in a dream
Fade into the landspace, unseem

In a field of weeds, killing time
A winding river rushes by
All the while you seem to be going blind
A cold numb grey in your eyes

Breathe in, breathe deep
A lifetime is too long to sleep
Staring at lightning won't keep you warm
You hear the thunder, but can't get out of the storm

Growing weak and thin
This has to end where it begins
Waiting for winter's first snow
To cover your tracks, so no-one will know

That you ever lived, or ever lied
You wouldn't give, never tried
No words worth air ever sound
From a flightless bird, bound to the ground

Breathe in, breathe deep
A lifetime is too long to sleep
Staring at lightning won't keep you warm
You hear the thunder, but can't get out of the storm

Samstag, 15. Januar 2011

Freitag, 14. Januar 2011

Zorn

Seh ich im verfallnen, dunkeln
Haus die alten Waffen hangen,
Zornig aus dem Roste funkeln,
Wenn der Morgen aufgegangen,

Und den letzten Klang verflogen,
Wo im wilden Zug der Wetter,
Aufs gekreuzte Schwert gebogen,
Einst gehaust des Landes Retter;

Und ein neu Geschlecht von Zwergen
Schwindelnd um die Felsen klettern,
Frech, wenns sonnig auf den Bergen,
Feige krümmend sich in Wettern,

Ihres Heilands Blut und Tränen
Spottend noch einmal verkaufen
Ohne Klage, Wunsch und Sehnen
In der Zeiten Strom ersaufen;

Denk ich dann, wie Du gestanden
Treu, da niemand treu geblieben:
Möcht ich, über unsre Schande
Tiefentbrannt in zorngem Lieben,

Wurzeln in der Felsen Marke,
Und empor zu Himmels Lichten
Stumm anstrebend, wie die starke
Riesentanne, mich aufrichten.

(Josef von Eichendorff, 1810)

Donnerstag, 13. Januar 2011

Bolsa Familia

Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ungleichheit (weltweit, aber v.a. in den Entwicklungsländern) ist eine der größten Herausforderungen, vor denen die Menschheit in den nächsten Jahrzehnten steht. Dabei gibt es momentan zwei erfolgreiche Modelle: eines ist (sozial-)demokratisch (Brasilien), das andere autoritär-staatskapitalistisch (China). Über letzteres wird, gerade hierzulande, schon genug geschrieben, aufgrund der undemokratischen Verhältnisse gilt es jedoch selten als nachahmenswertes Entwicklungsmodell. Stattdessen schauen die meisten Beobachter mit einer Mischung aus Angst und Respekt auf den zukünftigen Hegemon aus dem Osten.

Brasilien hingegen erfreut sich einer ungleich größeren Beliebtheit und gilt zunehmend als DAS aufstrebende Entwicklungsmodell. Kein Land (außer China) hat es in so kurzer Zeit geschafft, so viele Menschen aus der Armut zu befreien. Von zentraler Bedeutung war dabei eines der erfolgreichsten Sozialprogramme der Geschichte namens Bolsa Familia. Es stammt ursprünglich aus Mexico und  Programme dieser Art existieren inzwischen in mehr als 40 Ländern rund um den Globus. Sein Prinzip ist so simpel wie einleuchtend: "To Beat Back Poverty, Pay The Poor" (Tina Rosenberg).

In der Praxis sieht das dann so aus: Bedürftige Familien bekommen vom Staat eine bescheidene finanzielle Unterstützung, sofern sie sich dazu verpflichten, ihre Kinder in die Schule zu schicken und sich regelmäßiger Gesundheitsvorsorge zu unterziehen. Das Programm leistet so zugleich kurzfristige finanzielle Armutsfürsorge wie langfristige Armutsvorsorge. In Brasilien hat sich dank Bolsa Familia das Einkommen der Ärmsten zwischen 2003 und 2009 versiebenfacht, Kinderarbeit wurde massiv reduziert, und auch wenn sie immer noch viel zu hoch ist, so nimmt die Ungleichheit doch mehr ab als in fast jedem anderen Land der Erde... während die Wirtschaft seit Jahren rasant wächst! Für die Entwicklung der anderen Entwicklungsländer bedeutet dies zweierlei:  Es ist 1. auch heute noch möglich, demokratisch zu sein UND reich zu werden, sowie 2. einen Sozialstaat aufzubauen UND die Wirtschaft zu entwickeln.

Montag, 10. Januar 2011

Fortschritt?

Die SPD diskutiert wieder über die Zukunft - zumindest tut sie das, was sie darunter versteht. Ein Beitrag von Sigmar Gabriel in der FAZ von heute sollte beleuchten, was die Sozialdemokratie unter diesem Begriff heute zu verstehen vorgibt. Er basiert auf einem Entwurf für ein Fortschrittsprogramm von Gabriel, Steinmeier und Nahles. Auf Grundlage dieses Textes soll nun während der Jahresauftaktklausur über eine programmatische Weiterentwicklung diskutiert werden. Das Dilemma des Artikels ist dabei zugleich das der SPD.

1. Der Partei mangelt es an Glaubwürdigkeit. Weite Teile des Entwurfes arbeiten sich ab an den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte. So berechtigt die Kritik an den Zuständen auch sein mag (gerade für eine linke Partei), so war es doch die real existierende Sozialdemokratie, welche die Politik in der Bundesrepublik zwischen 1998 und 2009 maßgeblich prägte. 

2. Wenn Gabriel konkret wird, so ist er daher nur allzu oft mit der Korrektur der SPD-Regierungspolitik beschäftigt: Seien es die Einkommenssteuersätze, die erhöht werden sollen, die Rente mit 67, die in Frage gestellt wird, die beklagte Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse oder auch die Reregulierung der Finanzmärkte - all dies kommt nicht von ungefähr.

3. Den Fortschritt ins Zentrum der Betrachtung zu stellen (und nicht etwa Begriffe wie Gerechtigkeit, Solidarität oder Fairness, womit Gabriel ja geliebäugelt hatte), ist so klug wie riskant. Klug, weil er derzeit von keiner politischen Kraft besetzt wird und nicht mit Angst, sondern Vertrauen operiert. Riskant, weil der Begriff so diffus und daher missverständlich ist. Auch die Lektüre wirkt dabei wenig erhellend und man wird den Verdacht nicht los, dass hier nur alter Wein in neue Schläuche gegossen werden soll.

4. Es ist begrüßenswert, dass in der SPD wieder über die Zukunft geredet wird, doch was der Vorsitzende als Diskussionsgrundlage vorlegt, ist so oder ähnlich (und meist prägnanter) auch in den Papieren der grünen  (Nachhaltigkeit und Wachstumskritik) und linken Konkurrenz (Emanzipation) zu finden. Um die Führerschaft im linken Lager wieder zu erlangen, ist das bedeutend zu wenig. Man mag Gabriel zugute halten, dass er nicht den Populisten gibt (der ihm durchaus zuzutrauen wäre), dafür sind ihm die Mühen der Regierungszeit wohl noch zu präsent. Er macht sich immerhin auf den Weg zu einer Wiederbelebung der sozialdemokratischen Idee, der gute Wille ist ihm nicht abzusprechen. Etwas anderes bliebe ihm auch gar nicht übrig. Doch der gute Wille allein wird nicht genügen, um die Entwicklung der SPD zu einer Intellektuellenpartei a.D. zu stoppen.
Ein Bild aus besseren Tagen? 
P.S. Wer das ganze 43 Seiten starke Fortschrittsprogramm lesen möchte findet das hier.

Freitag, 7. Januar 2011

Mittwoch, 5. Januar 2011

Die Armutsindustrie

Hartz IV ist wieder einmal zurück auf dem Verhandlungstisch der Parteien und damit auch der Diskurs über Sinn und Unsinn dieses monströsen sozialstaatlichen Paradigmenwechsels. Welch wunderliche Blüten dieses System treibt, ist nicht zuletzt dank Albrecht Müller bestens dokumentiert. Auch Hans-Jürgen Urban hat in den aktuellen Blättern die negativen Arbeitsmarkteffekte einmal mehr herausgearbeitet. Wenn laut offiziellen Angaben der Bundesagentur für Arbeit nicht einmal 15 Prozent der Ein-Euro-Jobber nachher in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis landen und inzwischen jeder fünfte Beschäftigte im Niedriglohnsektor arbeitet, muss in diesem System etwas ganz grundlegend falsch laufen. Was jedoch Eva Müllers Reportage "Die Armutsindustrie" zu Tage fördert übertrifft selbst die kühnsten Erwartungen. Doch seht selbst:

Montag, 3. Januar 2011

Flüchtige Notizen III: Apocalypse Now!


Juli 2009:

Vorab: Inhalt und Form sind im Film nicht voneinander zu trennen. Film, das ist auch Philosophie, nur in anderer Form. Denn das Wesen der Philosophie ist nicht allein die Sprache im Text, sondern eine Praxis, die (eben auch in Form von Filmen) vollzogen werden kann. Zum Philosophieren gehört das Beschreiben der möglichen Seinsformen, der Virtualitäten - das sind Gelegenheiten, Variationen immer neuer Darstellungen, die einen stetigen Prozess des Anschließens an Darstellungen ermöglichen und damit die Generierung eigener, neuer Darstellungen. Die überwältigende Wirkung des Kinofilms ermöglicht so eine Reflexion relevanter philosophischen Fragen in gleichnishafter Form.

Eines der gelungensten Beispiele einer solchen Reflexion ist Francis Ford Coppolas Apocalypse Now!. Die zweifellose Erhabenheit des Filmes bei erster Betrachtung führt zu Irritationen, die den Betrachter etwas ratlos zurücklassen, aber auch Ausgangspunkt potentiell unendlicher Analyse sein können, Was Apocalypse Now! zu einem philosophisch fassbaren Film macht ist seine Vielfalt der Gedanken, die Selbstreflexion des Films als Film, seine Prozesshaftigkeit und sein steter Bezug auf Philosophie, Film, Literatur, Geschichte und Kunst.

Apocalyse Now! ist keine realistische Darstellung des Vietnamkrieges, sondern vielmehr eine surreale und daher besonders überzeugende Reflexion zum Thema Krieg an sich. Die Apokalypse ist nicht das Ende, sondern vielmehr der von den Menschen selbst geschaffene Zustand der Welt. Gott ist tot, wurde getötet und niemand ist mehr da, der das Grauen beenden könnte. Kurtz, Gott, Philosoph, Heiliger, Soldat, Ziel und Fixpunkt des Filmes befindet sich jenseits der uns bekannten Welt, in einem permanenten Ausnahmezustand. Er weiß um die Unterscheidungen, aber stellt sich über alle Urteile und Wertungen. Er ist nur denkbar, nicht in dieser Welt lebbar, ist das ausgeschlossene Dritte, daher muss er getötet werden. Und so geht Willard, Hauptdarsteller und Ich-Erzähler, als Wahnsinniger zurück in die Welt. Doch die Denkbarkeit bleibt und damit auch die Paradoxien.

Samstag, 1. Januar 2011

Neues Jahr


Es ist 12, ich bin gespannt was sich ändert.
Du bist gut drauf und mir ist kalt.
Und die Nacht legt sich in dunkle Gewänder,
doch das wird langweiliger von Jahr zu Jahr.
Und Deine Hand fühlt nach ob ich jetzt noch zweifel -
doch im Grunde ist es dir egal.
Ich bin bloß froh als wir den Ausgang erreichen -
und durch den Himmel tönt ein Knall.
Es ist nichts passiert -
aber wo sind die Anderen jetzt?
Du gibst mir Dein Bier und du sagst:
Es ist so egal.
Es ist so egal.
Es ist so egal.
Es ist scheißegal wo die anderen jetzt sind.


Zwei alte Damen glotzen blöd in der U-Bahn.
Du siehst Deinen Platz und lässt Dich fallen.
Du schaust hinaus und schweigst mich an bis zum Kudamm -
und dann stehst Du auf und ich auch.
Und in der Stadt die ganzen glücklichen Gesichter.
Ich mein, irgendwie gehören wir doch dazu.
Wir erzählen uns unsere stumpfen Geschichten -
wir sind soviel heut Nacht Ich und Du.
Hey, jetzt bleib mal stehen -
in ein paar Tagen sind wir weniger.
Ja ja, du wirst schon sehen.
Doch es ist so egal.
Es ist so egal.
Es ist so egal.
Ok, meinetwegen ist es egal, was ich denke, was in ein paar Tagen sein wird.


Und dies ist unsere Zeit!
Wir sind in dieser Nacht geboren!
Wie die Idioten aus dem Film hab ich mein Herz an Dich verloren...
Und ist dies das neue Jahr?
Du legst Deinen Kopf in meine Arme,
dein Hirn ruht sanft in meinen Händen und ich kann spüren, wie es sich bewegt.
Wir sind jetzt mittendrin -
es wird schwierig jetzt und warm!
Wenn wir hier zu lange stehen, kehren wir nie wieder zurück.
Doch wohin mit all dem Unsinn?
Vielleicht wird es gut wenn es jetzt hier endet.
Wir haben keine Wahl.
Wir rutschen tiefer und tiefer und tiefer,
Tiefer und tiefer und tiefer,
Tiefer und tiefer und tiefer ins Glück!
(Gisbert zu Knyphausen, 2008)