Dienstag, 3. September 2013

Rottler reduziert


Angekündigt waren "Christian Rottler and friends", doch am Ende stand er an diesem Sommerabend im Merlin alleine auf der Bühne. Von seiner aktuellen Band Lenin Riefenstahl blieb nur das Herzstück: Christian Rottler und seine Melancholie. Zwei seiner Kollegen waren verhindert und sein Schlagzeuger hatte einen schweren Verkehrsunfall. Ein Auftritt unter äußerst widrigen Umständen.

Angedeutete Akkorde, verhuschtes Zupfen, klarer Fokus auf dem Gesang: Rottler präsentierte sich textlastig, musikalisch reduziert, leidenschaftlich rauchend, provokativ selbstbewusst und doch mit den obligatorischen Selbstzweifeln. Rottler spielte maximal reduziert. Eine besondere Schwere lag diesmal über den Songs, mehr Dringlichkeit als ohnehin. Besonders bei "Chlor, Jod und Tenside", seinem ersten neuen Lied seit langer Zeit. Viel von David Foster Wallace und seinem Meisterwerk "Unendlicher Spaß" steckt in diesem Stück. Er spielte es ungewöhnlich langsam, so als ob er das Publikum dazu zwingen wollte, jedes einzelne Wort dieses an Assoziationen reichen Textes aufzusaugen.

Die Reduktion gelang ihm nicht immer zum Vorteil. An mancher Stelle hätte er durchaus weniger Pathos und mehr Rhythmus anbringen können. Gut hingegen die Brüche: Musikvideos, die einen Eindruck davon vermittelten, wie sich seine Traktate in voller musikalischer Besetzung anhören. Sein Text über die gescheitere Proust-Lektüre. "Crash after crash after crash after crash". Und die Videokunst im Hintergrund als Kontrast zum starken und in Schwarzer Krauser-Rauch eingehüllten Bühnen-Ich. Ein wortmächtiger Auftritt.

Montag, 2. September 2013

Ich heiße...

„Wie heißt du?“ „Ich heiße...“ - jeder von uns kennt diese Frage. Und wir alle haben einen Namen. Doch angenommen, wir hätten keinen, würden ihn nicht kennen, ja, könnten überhaupt nicht sicher sein, wer wir überhaupt sind? Der Protagonist von Christian Siglingers Erzählung „Ich heiße...“ jedenfalls trägt keinen Namen. 

Seine Eltern, die ihm fremd und unverständlich sind, gaben ihm vielleicht einst einen. Doch es hat ihn noch niemand danach gefragt, bis ihm eines Tages schließlich ein Zwerg begegnet. Genau dieser Umstand führt den Jungen auf eine abenteuerliche Suche nach einem Namen – und sich selbst. Dabei begegnet er sonderbaren Gestalten, redet mit Bäumen, Bächen, Menschen und beschreitet einen Weg von der Natur zur Zivilisation. 

Auf jeder Station seiner Reise stellt er immer wieder dieselbe Frage: „Hast du einen Namen für mich?“ Doch keiner hat einen Namen für den Jungen. Und niemand verrät auch den seinen. Denn „ein guter Name ist wie ein gutes Geheimnis“. Der Junge lässt sich durch kein Hindernis aufhalten, so groß ist sein Wunsch, endlich auch einen Namen zu tragen. Denn ohne Namen sind die Menschen sich fremd. 
Weil der Junge nicht so recht weiß wer er ist, möchte er unbedingt eine Rolle spielen, völlig gleich welche. Er irrt umher auf der Suche nach etwas, das er darstellen, das ihn darstellen könnte. Und scheitert dabei scheinbar immer wieder aufs Neue. Doch das Nichtwissen, die Umwege und Unsicherheiten erst führen ihn zur Selbstreflexion und zum Erleben. Auf der Suche nach seinem Namen verlässt er das enge familiäre Korsett aus routinierten Abläufen, deren Sinn der Junge ohnehin nie verstand. Er beginnt zu leben und hört auf, gelebt zu werden. 

„Ich heiße“ erzählt zwar eine Kindergeschichte, doch begnügt sich nicht damit. Die schroffen Illustrationen von Daniel Bubeck zeigen dabei eine menschen- und trostlose Welt, in der sich die Reise abspielt. So entsteht – bewusst oder unbewusst - ein Kontrapunkt zur bildhaften Sprache der Erzählung. Die düsteren und kargen Konturen, in denen die Geschichte dargestellt wird, verstärken die textimmanente Technik- und Zivilisationskritik. Ob der Junge wohl am Ende (s)einen Namen finden wird?