Sonntag, 3. Januar 2021

Drei Bücher

Cemile Sahin - Alle Hunde sterben (2020)

Im Text wird es kein einziges Mal konkret benannt, aber natürlich handelt Cemile Sahins „Alle Hunde sterben“ von der Verfolgung der Kurden in der Türkei. In rund einem Dutzend Episoden erzählt die deutsche Schriftstellerin abgründige Geschichten aus einer Gesellschaft von Geflüchteten, die in einem Hochhaus im Westen des Landes Unterschlupf findet. Das Buch ist teils rechts drastisch, beleuchtet seine Protagonisten kühl und mit der Schärfe eines Drehbuch-Plots.

 

 
Nikolai Gogol – Die toten Seelen (1842)  

Diese Buch hat mir wohl das Jahr 2020 gerettet (den alten Russen ist das bei mir schon öfter gelungen). Denn es beförderte mich von der hektischen Welt der sozialen Medien und dem Familien-Irrsinn im Lockdown in eine gänzlich andere Zeit. Die Bühne für das Stück bildet das ärmliche ländliche Russland, Mitte des 19. Jahrhunderts, wo wir einen Mann bei seinen irrwitzigen Versuchen begleiten dürfen, Gutsbesitzern in Zeiten von Hunger und Not „tote Seelen“, also Leibeigene abzukaufen, die bereits verstorben waren, auf den staatlichen Listen aber noch aufgeführt waren. Sprachlich herausragend, aber auch urkomisch und daher ein wunderbares Stück Weltliteratur.


Christian Baron - Ein Mann seiner Klasse (2020) 

Christian Baron, Redakteur beim „Freitag“, erzählt in diesem Roman die Geschichte seiner Kindheit in der Arbeiterklasse von Kaiserslautern. Es ist die eines unwahrscheinlichen Aufstiegs aus einem prekären Milieu, geprägt von seinem alkoholkranken, prügelnden Vater und einem Frust auf die Schröder-SPD samt ihrer Agenda-Refomen. Baron berichtet davon, wie ihm der Ausbruch aus dem Milieu gelang, dessen Habitus er (und durchaus auch mit Stolz) aber bis heute nie ganz abgelegt hat. Ein starkes Buch, das in seiner soziologischen Schärfe durchaus mit der „Rückkehr aus Reims“ von Didier Eribon vergleichbar ist.