Samstag, 20. März 2021

Impressionen No. LX: Zeichen der Zeit


1,5 Millionen Kubikmeter Trümmer.

Oder Hoffnungsträger?
 
 Wer ist hier wahnsinnig?
 
Ein Feindbild.

Ein Impfdesaster.

Meine Hobbies sind Politik und Drogen.

Oh, sweet fire.

 

Montag, 15. März 2021

Geschichte als Affäre? Über die Kunst des Verisses

Der Verriss ist eine hohe Kunst. Denn Texte so auseinanderzunehmen, dass am Ende der Leser weiß, warum er besser ablassen sollte von einem Buch, das ist stets eine heikle Angelegenheit. Argumente müssen gut begründet und nicht nur durch Animositäten oder den persönlichen Geschmack begründet sein. 

Ein Beispiel fürs Lehrbuch ist diese Kritik von Andreas Wirsching, dem Leiter des Instituts für Zeitgeschichte in München. Sie beschäftigt sich mit einem Werk von Hedwig Richter, Professorin für Neuere und Neuste Geschichte an der Universität der Bundeswehr, ebenfalls in München. 

Akribisch begründet

Ich habe ihr Buch "Demokratie. Eine deutsche Affäre" nicht gelesen. Aber nach dieser vernichtenden und gut begründeten Kritik scheint mir das auch nicht mehr nötig zu sein. Denn akribisch und konzise listet er die Argumente auf, weshalb Richters Sachbuch wissenschaftlichen Standards nicht standhält. Selten habe ich eine lehrreichere Kritik gelesen. (Ob Wersching damit tatsächlich richtig liegt, darüber hat Patrick Bahners in der FAZ gerade eine Feuilleton-Debatte angestoßen.)

Verrisse können aber auch ganz anders aussehen, wie Marcel Reich-Ranicki in einem seiner wohl bekanntesten Texte gezeigt hat. Er thematisiert Martin Walsers Roman "Jenseits der Liebe" - und hier kann ich nahezu jede Zeile unterschreiben. Walser, der später die umstrittene Friedenspreis-Rede halten sollte, hatte damals, Ende der Siebziger Jahre, eine kurze Phase, in der er mit dem Kommunismus liebäugelte. Das Buch ist literarisch schwach, steckt voller Klischees, bleibt völlig unter Walsers Niveau - und ist schon gar nicht vergleichbar mit seinem grandiosen Nachkriegs-Roman "Ehen in Philipsburg", das ich hier einmal kurz rezensiert habe.

Eine vernichtende Kritik

Allein Ranickis einführende Worte sind vernichtend: Er überschreibt den Text vielsagend mit Jenseits der Literatur. Das Buch sei "ein belangloser, ein schlechter, ein miserabler Roman. Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen. Lohnt es sich, darüber zu schreiben? Ja, aber bloß deshalb, weil der Roman von Martin Walser stammt, einem Autor also, der einst, um 1960, als eine der größten Hoffnungen der deutschen Nachkriegsliteratur galt – und dies keineswegs zu Unrecht."

Besonders fies: Das Ende verraten

Drittes Beispiel: Michel Houellebecq, der durchaus zu Großem imstande ist (in "Karte und Gebiet" etwa, hier von mir kurz rezensiert), der aber auch ein ziemlich larmoyanter, sexbesessener, alter weißer, reaktionärer Mann ist, wie sein Buch "Serotonin" beweist (hier meine Kurzrezension). Jürgen Ritte fasst in seiner Kritik für den Deutschlandfunk durchaus süffisant alles zusammen, was schlecht daran ist. Und er macht etwas für Autoren ziemlich fieses: Er verrät das Ende des Romans. 

Wer sich für den Totalverriss entscheidet, sollte gute Gründe haben. Und den Mut, sich der Wut des Verfassers zu stellen. Ranicki tauchte später in einem Roman von Walser kaum verhohlen als Figur auf. Er hieß: "Tod eines Kritikers".

P.S. Ein Verriss von mir darf an dieser Stelle natürlich nicht fehlen. Er thematisiert den von mir geschätzten Songwriter Jochen Distelmeyer, der als Literat leider ein Totalversager ist. Ob er gelungen ist? Entscheidet selbst!