Samstag, 28. Februar 2015

Ob ich es liebe, weiß ich nicht

Warum man als Linker nicht unbedingt antideutsch sein, sondern für ein gutes Leben hier streiten sollte, erklärte Franz-Josef Degenhardt bereits 1977 in seiner unnachahmlichen Art und Weise. Schon gut drei Jahre ist es nun her, dass der singende Jurist von uns gegangen ist. Eine Stimme, die fehlt.

Dies Land ist unser Land

Ob ich es liebe, weiß ich nicht. Ich lebe hier und lebe gern,
schon weil die anderen Vaterländer auch bloß Vaterländer sind.
Die sind trotz allem ziemlich fremd und sind trotz allem ziemlich fern,
und — weil geschrien hab ich hier in diesem Land nicht nur als Kind;
hineingeschrien in dieses Land wo alles lautlos funktioniert,
die Überwachung und Verwaltung, Todesschuß und Zugverkehr
und wo das Schreien aus Beton und aus Baracken nicht mehr stört,
und wo auch alles seinen Preis hat und der Preis steigt immer mehr.
Und wo die alten Herren neu in alter Phalanx aufgestellt,
mit neuen alten Herren laut nach alten neuen Märkten schrein,
von ihrem Großkotz Deutschland zwischen Maas und Memel, Etsch und Belt,
ist ihnen bloß der Rest geblieben, zwischen Elbe, Alpen, Rhein.

Dies Land ist unser Land —
So wie es ist, so wie es kommt, so wie es war.
Dies Land ist unser Land
und wie es kommt, so ist es nicht, wie es mal war.

Der ist in einem Tag durchfahren, dieser abgebhiebene Rest.
Ich fahre gern durch diese schwarz-rot-goldene zweite Republik.
Und abgebhieben ist ja nicht nur dieser Haufen alter Mist,
im Schwarz der Pfaffen, Gold der Händler, gibt‘s das rote Fahnenstück.
Und gibt die lauten bunten Plätze und den Wind vom Wattenmeer,
und diese Brücken über die man immer weiter fahren will
und tausend Tauben Sonntag morgens überm schlafenden Revier,
da ist Amerika noch weit, und manchmal ist es blond und still.
Und hier verstehe ich die Sprüche und den falschen Zungenschlag
und spür im Bauch den Arbeitsrhythmus, hör den Sound der darauf klingt.
Ja — und hier kenn ich die Gerüche zwischen Mitternacht und Tag
aus diesem Land sind meine Lieder, die der Rundfunk nicht mehr bringt.

Dies Land ist unser Land —
so wie es ist, so wie es kommt, so wie es war.
Dies Land ist unser Land,
und wie es kommt, so ist es nicht wie es mal war.

Noch spricht man Völkermörder frei und neue Nazis wachsen nach
und die Chemiekonzeme heizen weiter für ein nächstes Mal.
Und gibt Millionen ohne Arbeit, Millionäre gibt es noch,
noch sterben Flüsse, zieht der gelbe, grüne Qualm durchs Gonsbachtal.
Aber auch hier kämpfen Genossen, haben dabei sogar Spaß —
so ganz allein ist man ja nicht in dieser Welt und auch nicht hier,
obwohl der Spaltpilz stinkt und wuchert, aber der wächst ja auch bloß,
wo schon der Boden ziemlich brüchig ist und sauer manches Bier.
So wie es ist, ist es geworden, eben deshalb ändert‘s sich,
in diesem Land; ist schon viel reif trotz alledem ist es noch weit,
und muß verschiedenes passieren — paar Reformen tun es nicht —
wenn unsere Enkel singen sollen: Kein schöner Land in dieser Zeit.

Dies Land ist unser Land —
so wie es ist, so wie es kommt, so wie es war.
Dies Land ist unser Land,
und wie es kommt, so ist es nicht wie es mal war.

Ob er dies Land liebt, Rudi Schulte? Der verzieht nur sein Gesicht
so wie er macht, wenn einer labert und von übermorgen spinnt.
Zum Beispiel Jubeln oder Klatschen — so was macht er sicher nicht
wenn FC Bayern gegen Jena 1:0 beim Spiel gewinnt.
Nein — sehr viel Liebes hat dies Land ihm all die Jahre nicht verschafft
So 33 im KZ und daran starb er sogar fast
und 44 war er nochmal in Gestapo-Einzelhaft
und 55 saß er dann in Konrad Adenauer‘s Knast
und 66 die Verhöre, und der Unfall, Atemnot
und ohne Arbeit und die Schatten, wenn er nachts nicht schlafen kann,
und 77 haben seine Enkel ein Berufsverbot
doch 88 — lacht er leise — gilt das noch genauso, Mann:

Dies Land ist unser Land —
so wie es ist, so wie es kommt, so wie es war.
Dies Land ist unser Land,
und wie es kommt, so ist es nicht wie es mal war.

Montag, 16. Februar 2015

Earth: Metal mit angezogener Handbremse

Drone Doom – damit sind nicht die verheerenden Drohnenangriffe der US-Armee gemeint. Vielmehr beschreibt es ein musikalisches Genre, das für die Band Earth quasi erfunden wurde. In der Schorndorfer Manufaktur zeigten sie nun, dass sie die Grenzen dieses Genres aber längst gesprengt haben. 

Gleich zwei Vorgruppen aus dem Umfeld der Band aus Olympia, Washington, eröffneten den Auftritt von Earth. Zunächst ein bekanntes Gesicht: Don McGreevy, ehemaliger Bassist der Band, der sich bei diesem Projekt an der Gitarre versucht und zusammen mit Drummer Rogier Smal in Schorndorf eine wilde Jam hinlegte. Zwei zugegebenermaßen gute Musiker, doch vermittelte der Auftritt eher Proberaumatmosphäre, klang so, als hätte die Band noch kein Konzept – oder die Konzeptlosigkeit zum Klangprinzip erhoben. Auch möglich, dass sich irgendwelche Free-Jazz-Reste, für die bei Anthony Braxton die Woche zuvor kein Platz mehr war, hier noch versendeten. 

Ein turbulenter Abend: Von der Strukturlosigkeit zur Präzision

Kaum weniger wild dann auch der Auftritt der Black Spirituals. Faszinierend, wie Drummer Marshall Trammell sein Schlagzeug bearbeitet, malträtiert, den Beat heftig vorantreibt. Ob dieser Höchstleistung läuft ihm der Schweiß dann auch in Strömen über den Krausebart. Schade nur, dass Zachary James Watkins, die andere Hälfte der Band, als Gitarrist dem nichts Entsprechendes entgegenzusetzen weiß. Ziel- und strukturlos jagt dieser seine E-Gitarre durchs Effektgerät. Außer einem konstanten Dröhnen kommt dabei aber nicht sehr viel herum. Watkins hat den Sound der Band in einem Interview mal als „empathische Maschine“ bezeichnet. Etwa mehr Emphase und etwas weniger Maschine hätte den Black Spirituals vielleicht gutgetan.

Ganz anders schließlich Earth. Keine Spur von Strukturlosigkeit ist da mehr zu spüren. Hier scheint alles präzise durchkomponiert, an die richtige Stelle gesetzt und konzentriert auf den Punkt gebracht. Klare Strukturen und keine Improvisationen: Die Musik der drei US-Amerikaner ist angenehm frei von Schnörkeln. Das war nicht immer so. Auch die Wurzeln der Urväter des Drone Doom – einer Kombination aus tieftönendem Metal mit angezogener Handbremse und dröhnender Verzerrung der E-Gitarre – liegen im Experimentellen. Auf den frühen Platten der Band lässt sich das noch nachhören. Da schepperte und dröhnte es noch ziemlich archaisch. Und da bestand ein Album von 74 Minuten schon mal aus ganzen drei Liedern. Wirkliche Strukturen hatte die Band zu Beginn noch nicht gefunden.


Doch spätestens seit Mitte des letzten Jahrzehnts hat Earth den eigenen Sound mit einem engen Korsett festgezurrt, Ecken und Kanten abgeschleift, so dass von Doom und Drone nicht mehr allzu viel übrig blieb und aus dem düsteren Gewand vielmehr eine Art von Postrock-Metal entwich, den so wohl nur Earth spielen. Als „Black Americana“ bezeichnete Gitarrist Dylan Carlson diesen Sound mal in einem Interview.

Gesangslos wie bereits die beiden Vorbands schickt die Band das Publikum dann auch auf einen ziemlich straighten musikalischen Weg. Hypnotisch, ja fast meditativ bearbeitet Earth die Instrumente. Besonders beeindruckt dabei Schlagzeugerin Adrienne Davies und ihr sehr eigenwilliger Drum-Stil. Wie eine Dirigentin schwingt sie die Sticks in einer Mischung aus Theatralik und Konzentration in die Höhe, holt weit aus – um schließlich wie mit angezogener Handbremse ihrem Instrument präzise Schläge zu versetzen. Dabei wippt sie mit dem Oberkörper auch in jenen Momenten vor und zurück, in denen das Schlagzeug schweigt, in denen nur Bass und Gitarre ertönen.

Gitarrist Carlson, das einzig verbliebene Gründungsmitglied, spielt dazu sanft tönend, wirkt dabei aber auch ein wenig hölzern. Ab und an entweichen ihm auf der Bühne szenetypische Gesten, dann reckt er die Gitarre einem Kreuze gleich in die Höhe – oder formt zwischen zwei Songs mit Zeige- und kleinem Finger das Teufelssymbol. Was ziemlich routiniert wirkt bei dem 46-Jährigen, der nun bald 30 Jahre auf der Bühne steht, darüber ziemlich gealtert wirkt und als solides Fundament des Klangkonzepts Earth schlichtweg unverzichtbar ist. Er verkörpert das Gegenteil von Spektakel und vibrierender Unruhe, das die beiden Vorbands aus dem Umfeld der Gruppe so eindrucksvoll, wenn auch wenig überzeugend darboten.

Überraschenderweise steht Don Mc Greevy an diesem Abend übrigens gleich zweimal auf der Bühne. Er nimmt für einen Abend die Position von Bill Herzog ein, der als Bassist bei Earth im Einsatz ist. McGreevy spielt unspektakulär routiniert. Mit Basslinien, die zumeist fast parallel verlaufen zur Gitarre. Es ist ein schnörkellos auf den Punkt gebrachtes Bassspiel.

Doch hierin liegt auch die größte Schwachstelle im Konzept, das Earth seit gut einem Jahrzehnt fährt: Mit eiserner Konsequenz haben sie einen Sound entwickelt, der in seiner Stringenz durchaus beeindruckt. Leider genügt sich Earth aber damit und variiert in knapp zwei Stunden nie das Tempo, die Stimmung oder die Lautstärke – und verlässt nicht für eine Sekunde den eingeschlagenen Weg. Schade.
Sub Pop und Cobain 
Musikalisch groß geworden ist die Band im Umfeld des Grunge. Ihr erstes Label war Sub Pop in Seattle. Kurt Cobain gehört zu den frühen Wegbegleitern von Bandgründer Carlson. Sie waren beste Freunde. Carlson war es auch, der Cobain jene Waffe lieh, mit der er sich schließlich das Leben nahm – ohne von dessen selbstmörderischen Absichten gewusst zu haben.