Samstag, 31. Januar 2015

High Fidelity Teil 6: Konstrukte

Meine Bücher des Jahres 2014:


1. Tristram Hunt: Friedrich Engels
2. Fjodor Dostojewksi: Die Brüder Karamasow
3. Peter Sloterdijk: Philosophische Temperamente
4. Philipp Blom: Der taumelnde Kontinent
5. Iwan Turgenjew: Visionen und andere fantastische Erzählungen
Belletristik:
Begonnen hat es mit den besten: mit sehr guten Erzählungen von Turgenjew und einer wirklich rauschhaften Lektüre der "Brüder Karamasow". Ein großes Buch, wenn er auch in ihrer Gesamtaussage ziemlich orthodox-reaktionär. Deshalb bleibt "Der Idiot" auch weiterhin mein Lieblingsbuch von ihm.

Dann folgten ein paar durchwachsene Bücher, angefangen bei Gwisdeks verschwurbeltem unsichtbaren Apfel, der mich unschlüssig zurückließ. Vor allem weil ich gegen Ende immer mehr den Eindruck hatte, dass Gwisdek das Buch auf die Schnelle ziemlich planlos überfrachtet hat, um es nach einer intellektuellen Großtat aussehen zu lassen und am Ende logischerweise nur einen halbgaren Ausweg fand. Anschließend H.P. Lovecraft, den ich als zu wissenschaftlich-trocken und überhaupt nicht furchteinflößend empfand. Vielleicht muss man in der Zeit gelebt haben, um das für eine "Horrorgeschichte" halten zu können.

D.B.C. Pierres Drogen-Berlin-Selbstmord-letztes-quasi-religiöses-Rauscherlebnis-erzwingen-Roman begann hingegen großartig. Weil er stellenweise an David Foster Wallace andockte, weil er überraschte, weil es komisch war und geistreich. Am Ende blieb dann aber doch ein leicht fahler Beigeschmack. Wäre mehr drin gewesen, unterhaltsam immerhin. Was die Belletristik anbelangt, kam dann mit "Bullshit nation" der Tiefpunkt, ein wirklich unnötiges Werk.

Besser war dann wieder "Plattform" von Houellebecq, wenn auch eher einer seiner schlechten Romane, dasselbe gilt für Nacht des Orakels für das Werk Paul Austers. Solides Handwerk, mehr nicht. Ödön von Horvaths "Ein Kind seiner Zeit" fand ich wiederum gut und wichtig, genauso wie "Jugend ohne Gott". 

Peter Handkes "Die Stunde der wahren Empfindung" war dann auch schon das letzte Nicht-Sachbuch des Jahres. Ich musste mich stellenweise durchkämpfen und muss es wohl ein zweites Mal lesen, weil es zwar kurz, aber dafür sehr dicht geschrieben war. Typisch Handke eben.

Sachbücher:
Ein Auf und Ab auch bei den Sachbüchern: "Neue Nazis" war durchaus brauchbar für ein kurzes Update über die aktuellen Szeneentwicklungen. Ungleich wichtiger dagegen "The Myth of the Muslim Tide", der aktuelle islamophobe Argumente mit seinen historischen Vorbildern (antikatholisch / antisemitisch) vergleicht und frappierend ähnliche Probleme und Argumente diagnostiziert. In "Arrival City" schlendert Sanders dann panoramaartig durch die Aufnahmestädte der Welt (von Kreuzberg bis Manila), beschreibt die weltweiten Migrationsströme vor allem als eine enorme Landflucht und kommt zu dem verblüffenden Schluss: Das, was ihr als Problemviertel bezeichnet, ist in Wirklichkeit das wichtigste Tor zum sozialen Aufstieg - und es funktioniert fast überall, nur nicht in Deutschland.

Dann "Die letzte Weltmacht": nüchtern-realistischer Blick auf die Weltlage nach dem Ende des Kalten Krieges von einem langjährigen Berater der Amis. Ist von Ende der 90er und prognostiziert ziemlich vieles ziemlich richtig, unter anderem die Rückkehr der Geopolitik - und dass es auf dem "eurasischen Schachbrett", in der Ukraine, knallen wird.

Gewöhnt süffisant-geistreich sind die kurzen Schlaglichter, die Sloterdijk auf ausgewählte "Philosophische Temperamente" wirft. Ein seltenes Zusammentreffen von Kurzweil und Intellekt. Lesenwert auch der nüchterne Blick auf die Roma von Mappes Niedek.

Wirklich groß dann die Engels-Biografie von Tristram Hunt. Man wäre zu gerne Zeitgenosse dieses Mannes gewesen, in dessen Haus jeden Abend bis spät in die Nacht gesoffen wurde, dabei geistreiche Gespräche stattfanden, der stundenlange Korrespondenzen mit Intellektuellen ganz Europas geführt hat, ungemein sprachgewandt war, zeitlebens Marx durchfütterte, seine Texte redigierte, ergänzte, mit Ideen füllte, und nebenbei auch noch ein Unternehmen führte. Kaufen!

Zwiespältig dann die Lektüre von "Nüchtern" (Daniel Schreiber). Zweifellos ein kluger Kopf, der da über seinen jahrzehntelangen Alkoholismus schreibt. Keine Predigt an die Nüchternheit, da schreibt jemand reflektiert und mit Demut. Aber man fühlt sich halt an vielen Stellen selbst ertappt...

Wolfgang Pohrts "Das allerletzte Gefecht" wiederum kann sich absolut sparen, wer nicht selbst einmal überzeugter Kommunist war. Eine bitterböse Abrechnung mit der radikalen Linken, die seltsamerweise im wahrsten Sinne des Wortes theatralisch endet. 

Schließlich "Der taumelnde Kontinent": Ein geistreiches Buch über die Jahre 1900 bis 1914, das den Versuch unternimmt jenseits von Herrschaftsgeschichte die Stimmung in Gesellschaft und Kultur wiederzugeben ohne den Blick auf die aus unserer Sicht unvermeidliche Katastrophe zu richten. Was zwar nicht gelingen kann, aber auch noch in seinem Scheitern lehrreich und lesenwert ist. 

Donnerstag, 1. Januar 2015

Vorsätze


(Woody Guthries zeitlos gültige Neujahrsvorsätze von 1942)