Donnerstag, 26. Januar 2017

Jaki Liebezeit (1938-2017)

Jaki Liebezeit, ehemals Drummer von Can, der wichtigsten deutschen Band der 70er Jahre, ist kürzlich im Alter von 78 Jahren an einer Lungenentzündung gestorben. Warum Can und die anderen "Krautrock-Bands" so wichtig waren (und in Deutschland heute fast vergessen sind), erklärt die an dieser Stelle schon einmal empfohlene Doku "Krautrock - The rebirth of Germany" ganz gut.



Der Drummer mit seinem unverwechselbar mechanischen Stil - Holger Czukay sagte einst „Jaki spielt wie eine Maschine. Bloß besser.“ - war aber auch jenseits von Can gefragt und geschätzt. Er arbeitete unter anterem mit Brian Eno, Depeche Mode oder Michael Rother. Und ist nebenbei auch noch verantwortlich für den treibenden Schlagzeug-Beat beim "Goldenen Reiter". Bei Pitchfork gibt es eine kleine Zusammenstellung mit Jakis wichtigsten Drum-Parts ohne Can.

Seinen vielleicht besten Schlagzeug-Part als Mitglied von Can hatte Liebezeit wohl bei Vitamin C, dem eingängigsten Stück des Albums Ege Bamyasi (1972):

Freitag, 20. Januar 2017

High Fidelity No. 8: Granulate


Meine Bücher des Jahres 2016
1. Jonathan Franzen – Die Korrekturen 
2. Christoph Kucklich – Die granulare Gesellschaft 
3. Thees Uhlmann – Sophia, der Tod und ich 
4. Riad Satouff – Der Araber von morgen 
5. Roger Willemsen – Das hohe Haus

BELLETRISTIK:

Thees Uhlmann – Sophia, der Tod und ich: Das Buch hat mich (nach Distelmeyers Totalreinfall Otis) sehr positiv überrascht. Zumal Uhlmanns Songtexte nicht annähernd solch ein Format haben. Ein Buch mit Tiefgang und Witz, definitiv kurzweilig.

Rainald Goetz – Johann Holtrop: Ein Roman so kalt wie der Kapitalismus und seine Folgen, weshalb die Lektüre nicht immer Freunde bereitete. Spitzenmanager wie Middelhof (nach dem Goetz seinen Hauptdarsteller geformt hat) führen im Grunde ein schreckliches Leben.

Anton Tschechov – Taugenichts: Schöne russische Erzählung, bei der, anders als bei Eichendorff, nichts literarisch überhöht wird.

Riad Satouff – Der Araber von morgen: Der Comic behandelt in harten Bildern Satouffs eigene Kindheit als Kind einer Französin und eines Arabers zwischen Frankreich, Libyen und Syrien in den 80er Jahren. Witzig und tiefgängig zugleich. Der Autor zeichnet dabei ein gerade aus der kindlichen Perspektive ziemlich düsteres Bild des Nahen Ostens.

Jonathan Franzen – Die Korrekturen: Seit „Der unendliche Spaß“ habe ich keinen so guten amerikanischen Roman mehr gelesen.

Christian Siglinger – Alles nur ein Spiel: Bubeck und Siglinger arbeiten seit mehreren Jahren an Kunstprojekten, die Text und Bild kombinieren: Lyrik mit Fotos („Gespräche mit dem Tod“, Erzählung mit Gemälde („Ich heiße“). Bei „Alles nur ein Spiel“ haben die beiden gleich ein komplettes Universum mit eigener Sprache und eigenen Regeln entworfen, das natürlich Fantasy ist, ohne aber in den üblichen eskapistischen Kitsch zu fallen. Das Projekt steht noch am Anfang, der erste Text ist schon mal sehr vielversprechend.

Wolfgang Herrndorf – Tschick: Toller Jugendroman mit klarer Sprache, eigenem Sound und einer guten Geschichte.

SACHBÜCHER:

Misha Glenny – König der Favelas: Kenntnisreiche, gut recherchierte Reportage über eine Favela in Rio und ihren langjährigen Drogenboss Nem. Das Buch bietet einen guten Einblick in die brasilianische Gesellschaft. Glenny hat dafür ein knappes Jahr selbst in der Favela gelebt und ist den Protagonisten sehr nahe gekommen. Fast etwas zu nahe, fällt doch das Porträt Nems ziemlich wohlwollend aus.

Wolfram Lüders – Wer den Wind sät: Das Buch bietet keine wirklich neuen Erkenntnisse, aber einen guten Überblick über all die Sauereien und Dummheiten der Außenpolitik des Westens im Nahen Osten, beginnend mit dem Sturz Mossadeghs im Jahr 1953. Die harsche Israel-Kritik des Autors teile ich nicht, ansonsten ist der Blick recht realistisch.

Christoph Kucklich – Die granulare Gesellschaft: Mit der die Digitalisierung verschwindet allmählich das Verbindende, das Gesellschaften im Kern ausmacht. Die Menschen vereinzeln und werden zugleich sichtbarer, ansprechbarer, identifizierbarer für Politik und Wirtschaft, wodurch die Ungleichheit radikal zunimmt. So zumindest die These von Kucklichs nüchtern geschriebener Zeitdiagnose, die ich weitestgehend für korrekt halte.

Albrecht von Lucke – Die Schwarze Republik: Blätter-Herausgeber Lucke analysiert das Scheitern der politischen Linken in Deutschland. Sein (wenig überraschendes) Rezept: Die SPD sollte wieder gesellschaftskritisch links werden und Rot-Rot-Grün regieren. Im Moment wohl eher Wunschdenken.

Stefan Schulz – Redaktionsschluss: Schulz, früher mal Mitarbeiter der FAZ, diagnostiziert das Ende der Zeitung, sieht die Schuld dafür einzig und alleine bei den Journalisten, geizt aber mit praktischen Vorschlägen, wie es besser zu machen wäre, arbeitet gerade übrigens an einem Zeitungsprojekt und hat mich nur teilweise überzeugt.

Roger Willemsen – Das hohe Haus: Kluges Buch eines sehr guten Beobachters, der ein Jahr lang jede Sitzung des Bundestages besuchte und dessen Stimme nun leider fehlt.

Ilija Trojanow – Meine Olympiade: Der Schriftsteller absolviert im Selbstversuch alle olympischen Einzeldisziplinen. Liest sich interessanter als es klingt, denn Trojanow entdeckt dabei die unter Leistungsdruck und Rekordsucht verborgene Poesie des Sports.

Claude Levi-Strauss – Mythos und Bedeutung: Die fünf Radiovorträge bieten eine gute Einführung in das Denken des Strukturalisten.

Patrick Kingsley – Die neue Odyssee: Für diese Reportage über die jüngste Flüchtlingskrise hat der Migrations-Korrespondent des Guardian 17 Länder auf drei Kontinenten besucht. Er führt dabei eindrucksvoll vor Augen, dass die Menschen nicht zu stoppen sind.

Harald Welzer – Die smarte Diktatur: Während Kucklich sachlich über die Folgen der digitalen Revolution schreibt, argumentiert Welzer polemisch. Wie schon in „Selbst denken“ greift er dabei gerne auf das Mittel der Publikumsbeschimpfung zurück. Die Digitalisierung führt zur freiwilligen Selbstentmündigung und bedroht damit die Grundlagen unserer liberalen Demokratie, so die Kernthese des Soziologen. Nach der Lektüre möchte man am liebsten sein Smartphone aus dem Fenster schmeißen

Cigdem Akyol – Erdogan: Gute, differenzierte Biografie, die noch vor dem Putschversuch erschien, allerdings etwas darunter leidet, dass Akyol nicht mit Erdogan, seiner Familie und seinem Umfeld reden konnte. Die Journalistin sieht in dem türkischen Präsidenten weniger einen Islamisten als einen Machtpolitiker, der aus dem Bauch heraus handelt und dessen Agenda schlicht "Recep Tayyip Erdogan" heißt.

Till Reiners – Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen: Linker Nachwuchskabarettist begibt sich auf die Spuren von AfD, Pegida & Co, um zu verstehen, woher all die Furcht und der Hass kommen. Hätte ich wohl nie gelesen, wäre Reiners nicht Kommilitone von mir gewesen. War dann positiv überrascht, dass er diese Einstellungen ernsthaft verstehen wollte, seine eigenen Unzulänglichkeiten offen gelegt und als studierter Politikwissenschaftler sein Handwerk nicht verlernt hat.

Armin Riller / Heike Holdingshauen – Wir konsumieren uns zu Tode: Es handelt sich um eine Binse, dass unser jetziges Konsum- und Wirtschaftsverhalten nicht nachhaltig ist. In diesem Buch erklären ein Professor für Ressourcenmanagement und eine taz-Redakteurin auf sachlich-informative Weise, warum wir unseren Lebensstil verdammt noch mal ändern sollten.

Montag, 16. Januar 2017

Impressionen No. XLVI: Total noise

Schaffenskrise.

"Part of our emergency is that it's so awfully tempting to do this sort of thing right now, to retreat to narrow arrogance, preformed positions, rigid filters, the "moral clarity" of the immature. The alternative is dealing with massive, high-entropy amounts of info and ambiguity and conflict and flux; it's continually discovering new vistas of personal ignorance and delusion. In sum, to really try to be informed and literate today is to feel stupid nearly all the time, and to need help. 

(...) What free, informed adulthood might look like in the context of Total Noise: not just the intelligence to discern one’s own error or stupidity, but the humility to address it, absorb it, and move on and out there from, bravely, toward the next revealed error." (David Foster Wallace, 2007)
 
Störrisches Kind.

Insomnia.


Europe is lost.

Sonntag, 15. Januar 2017

Die Algorithmisierung der Verlage

Gute Zeitungen werden dringend gebraucht, aber immer seltener gemacht. Das liegt am Konsumverhalten der Konsumenten, aber auch an den Konzepten der Medienproduzenten - und wird mittelfristig zu einem Problem für die Demokratie.

In den letzten zehn Jahren hat ein tiefgreifender Wandel im Medienkonsum stattgefunden: weg von den klassischen Medien (Fernsehen, Tageszeitung, Radio) – hin zu den neuen sozialen Medien (Facebook, Twitter, Snapchat) sowie Google. Wobei die Inhalte nach wie vor häufig aus den klassischen Medien stammen. Was wir über die Gesellschaft erfahren, bestimmen immer seltener Journalisten, sondern Algorithmen, über deren Zusammensetzung jedoch nur wenig bekannt ist.

Facebook und Google denken aber nicht journalistisch. Sie wollen ihre Nutzer nicht auf unerwartete Themen stoßen, sondern unterhalten und das liefern, was gefällt und was sie ohnehin denken. Dadurch werden Weltbilder verstärkt und verfestigt, selten in Frage gestellt.

Content Marketing und Klickzahl-Kannibalismus

Die meisten Verlage (die zudem zunehmend auf jenes Content Marketing setzen, von dem sie zugleich bedroht werden) unterwerfen sich den intransparenten Regeln der neuen Gatekeeper und Medien-Hegemonen, anstatt ihnen etwas entgegen zu setzen. Personalisierung, Skandalisierung und Emotionalisierung bestimmen das Alltagsgeschäft – immer seltener die gründliche Recherche. Die Klickzahl wird zum Schicksal und der Journalismus kannibalisiert sich.

Der Wandel der Medien hat einen fundamentale Veränderung in der Selbstbeschreibung der Gesellschaft zur Folge: Vertrauen (nicht nur in die Medien) schwindet – und die Gesellschaft wird, ohnehin getrieben durch die Digitalisierung, zunehmend granularer: sie zerfällt in Gruppen und Individuen. Das gemeinsam Verbindliche schwindet. Das Fundament der Demokratie droht damit zu erodieren.

Freitag, 13. Januar 2017

Terror von ganz rechts

Terrorismus von rechts ist in der Bundesrepublik nicht erst durch die Taten des NSU entstanden. Seit den 60er-Jahren haben Rechtsextremisten immer wieder Sprengstoffanschläge verübt und Menschen ermordet. Im öffentlichen Bewusstsein sind die Taten der Hepp-Kexel-Gruppe, der Aktion Widerstand oder Ekkehard Weil und Manfred Roeder jedoch in Vergessenheit geraten.

Eine Erinnerungskultur an jene 12 Entführungen, 174 bewaffnete Überfälle, 123 Sprengstoffanschläge, 2173 Brandanschläge sowie 229 Morde, die der Politikwissenschaftler Daniel Köhler rechten Terroristen zuordnet, gibt es bisher nicht.  Umso wichtiger, dass sich das Deutschlandradio in seinen Zeitfragen des Themas kürzlich angenommen hat. Der Beitrag lässt sich hier nachlesen und anhören.

Montag, 9. Januar 2017

Verkehrte Welt

Das ist ja die verkehrte Welt,
Wir gehen auf den Köpfen!
Die Jäger werden dutzendweis
Erschossen von den Schnepfen.

Die Kälber braten jetzt den Koch,
Auf Menschen reiten die Gäule;
Für Lehrfreiheit und Rechte des Lichts
Kämpft die katholische Eule.

Der Häring wird ein Sanskülott,
Die Wahrheit sagt uns Bettine,
Und ein gestiefelter Kater bringt
Den Sophokles auf die Bühne.

Ein Affe läßt ein Pantheon
Erbauen für deutsche Helden.
Der Maßmann hat sich jüngst gekämmt,
Wie deutsche Blätter melden.

Germanische Bären glauben nicht mehr
Und werden Atheisten;
Jedoch die französischen Papagein,
Die werden gute Christen.

Im uckermärkschen Moniteur,
Da hat mans am tollsten getrieben:
Ein Toter hat dem Lebenden dort
Die schnödeste Grabschrift geschrieben. Laßt uns nicht schwimmen gegen den Strom,
Ihr Brüder! Es hilft uns wenig!
Laßt uns besteigen den Templower Berg
Und rufen: es lebe der König!


(Heinrich Heine, 1844)

Freitag, 6. Januar 2017

Find my phone

Im Zuge der Digitalisierung geben wir immer mehr Daten von uns Preis. Manch Kritiker sieht uns deshalb bereits auf dem Weg in die smarte Diktatur. China ist von dieser Horrorvision nicht  mehr weit entfernt. Dort bastelt die Regierung gerade an einem digitalen Bürgerbewertungssystem. Spätestens 2020 soll es in Kraft treten. Auch wenn keine westliche Regierung das bislang offiziell anstrebt: Die Potenziale dafür sind zweifellos auch hier vorhanden. Zumal die meisten mit den Instrumenten der Kontrolle recht arglos umgehen.

Das Smartphone (vom Internet der Dinge ganz zu schweigen) zum Beispiel wird im Handumdrehen zur digitalen Superwanze, wie dieser sehenswerte Kurzfilm des Niederländers Anthony van der Meer zeigt. Dem 23-Jährigen gelang es, den Dieb seines Handys mittels smarter Technologie erfolgreich und erschreckend intim auszuspionieren.

Neuer Himmel, neuer Mensch

"Die Vorstellung, dass es eine andere Welt geben kann, sei es das Jenseits wie im Christentum, sei es das Diesseits wie im Kommunismus, ist nicht mehr da. Stattdessen macht man Selfies", sagt der Philosoph Boris Groys im Gespräch mit der SZ zum 100. Jahrestag der Russischen Revolution. Der Kommunismus habe die Welt globalisiert, doch die Ideologie der Globalisierung komme gerade an ihr Ende.

Marx sei damit aber keineswegs erledigt, so Boys, der bis Anfang der 1980er-Jahre in der Sowjetunion wissenschaftlich tätig war: "Dieser extreme Individualismus, die Hoffnung, sich völlig von der übrigen Gesellschaft zu isolieren, um es allein zu schaffen, das ist die Utopie unserer Zeit. (...) Aber dieser Glaube funktioniert nur so lange, bis die Kluft zwischen Reich und Arm viel größer wird, sodass der Einzelne die Hoffnung verliert, sie zu überwinden. Wir sind noch nicht so weit, aber so weit wird es kommen. Und dann werden Marx' Gespenster zurückkommen."