Freitag, 31. Mai 2013

Die Kolonie des Südens

Brasilien, das sind eigentlich zwei Länder: auf der einen Seite der entwickelte Süden, auf der anderen der ländliche, rückständige Norden. Zwischen diesen beiden tobt ein Kampf um Boden, Rohstoffe und Energie. Poema e. V. unterstützt seit zwanzig Jahren die Menschen im Norden, genauer im Amazonasgebiet.

Denn dort, in Amazonien, ist die Not groß und die Bevölkerung schwach im Kampf gegen die Mächtigen. In den Bundesstaaten Para und Amapa sind sie mit ihrem Verein aktiv. Im April waren der Waiblinger Bernhard Hindersin und der Stuttgarter Gerd Rathgeb, Vorsitzender von Poema, unterwegs, um sich über die Lage vor Ort zu informieren. Ihre Partner sind Gemeindeverwaltungen, Kooperativen oder Selbstverwaltungen der Indios.

„Amazonien, das ist eigentlich nicht Brasilien“, so Rathgeb. „Niemand geht dort hin, außer wenn er etwas holen möchte.“ Rund 215 Völker haben dort ihr traditionelles Siedlungsgebiet. „Und ihr Image ist in Brasilien nicht gut. Der Norden wird von vielen Brasilianern einfach als Rohstoffabbaugebiet betrachtet“, wie Rathgeb konstatiert. Er sei so etwas wie die Kolonie des Südens.

Großgrundbesitzer haben in den vergangenen Jahrzehnten nach und nach den Regenwald in Besitz genommen. Zunächst wurde Holz abtransportiert. Oft mit illegalen Methoden. Die Besitzverhältnisse in diesem Gebiet sind nicht klar geregelt. Auf den frei gewordenen Flächen haben sich die Großgrundbesitzer mittlerweile aber auch der Rinderzucht und dem Sojaanbau gewidmet. Ein Riesengeschäft: Auf 190 Millionen Einwohner kommen in Brasilien mittlerweile 210 Millionen Rinder, davon allein 15 Millionen in der Amazonasregion. 50 Prozent davon werden exportiert. Für Natur und Mensch aber eine fatale Entwicklung, denn die Regenwaldböden sind sehr nährstoffarm und schon nach kurzer Zeit degradiert. Hinzu kommt der massive Einsatz von Pestiziden. Schon nach wenigen Jahren sind die Böden unbrauchbar und das Mikroklima verändert sich.

„Im Grunde sind das rechtsfreie Gebiete“

20 bis 25 Prozent des brasilianischen Regenwaldes sind auf diese Weise bereits verloren gegangen. Wer sich dagegen wehrt oder gar versucht, verlorenes Land durch Besetzungen zurückzugewinnen, muss um sein Leben fürchten, denn „im Grunde sind das rechtsfreie Gebiete“, so Gerd Rathgeb. Und die Konzerne schrecken nicht davor zurück, Auftragskiller einzusetzen. Die katholische Ordensschwester Dorothy Stang, eine Partnerin des Vereins Poema, musste 2005 mit 71 Jahren ihr Leben lassen, weil sie gegen die unrechtmäßige Besetzung von Land Protest organisierte.

Aber auch für die Energieversorgung müssen mittlerweile Flächen weichen. Für Belo Monte etwa, das drittgrößte Staudammprojekt der Welt (der anderthalbmal so groß wie der Bodensee wird) mitten im Amazonasgebiet am Xingu. Der soll für das Projekt umgeleitet werden, denn das Gefälle ist für ein Wasserkraftwerk einfach zu schwach.

Die Regierung zwingt die Xingu-Indios, die den Fluss als heilig betrachten, zur Umsiedlung, oft ohne entsprechende Entschädigung. Sie werden ihrer Lebensgrundlage, dem Fischfang, beraubt. Rechtlich ist auch hier vieles fragwürdig. Der Eingriff in die Umwelt ist massiv. Ein Projekt dieser Größe hält Bernhard Hindersin daher für fragwürdig. „Und es ist eigentlich beschämend, dass so ein sonnenreiches Land wie Brasilien nicht auf Solarenergie setzt.“ Seit Jahren gibt es Proteste und Prozesse gegen das Projekt. Auch nach Deutschland hat der Verein ihn getragen. Denn, so Hindersin, „hier wird der Zusammenhang zwischen uns und dem was in Amazonien abläuft, besonders deutlich. Die Turbinen kommen von Voith Turbo, die 500 Lastwagen auf der Baustelle von Daimler, Stihl mit seinen Kettensägen ohnehin.“

Auch Siemens und die Münchner Rück sind an dem Projekt beteiligt. Voith in Heidenheim, wo die beiden im Juni vergangenen Jahres demonstrierten, rechtfertigte sich damit, dass Brasilien ja ein Rechtsstaat sei. „Brasilien“, so Rathgeb, „ist zwar ein Rechtsstaat, aber er setzt einseitig auf Rohstoffe und Lebensmittel.“ Besonders für die Indios ergibt sich ein Land- und Ernährungsproblem. Und „durch die Austrocknung des Flusses wird Methan freigesetzt. Dieser Staudamm ist alles andere als CO2-neutral.“ Vieles liegt im Argen am Amazonas.

Bei der Reise im April haben die beiden daher bestehende Projekte überprüft und gefragt: Wo drückt der Schuh? Viel Aufklärung ist noch nötig: „Die Klimaproblematik, global wie lokal, ist vielen fremd“, so Rathgeb. In den dünn besiedelten Gebieten sind vor allem sauberes Trinkwasser, Energie und Gesundheitsversorgung ein Problem. Am Rio Tocantins etwa stellt der Verein mit Solarstrom betriebene UV-Lampen zur Verfügung, die das sehr eisenhaltige Flusswasser reinigen. Gelder fließen auch in den Brunnenbau und die Finanzierung von Gesundheitsstationen. Und mit Solarzellen und -lampen soll den zumeist von der Stromversorgung abgekoppelten Menschen Licht, aber auch der Zugang zur Bildung ermöglicht werden, denn um kurz nach sechs ist es schon dunkel im Amazonas.

Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. Früher arbeitete Poema nach dem Prinzip „Wir liefern, ihr arbeitet“. Inzwischen ist finanzielle Selbstbeteiligung ein wichtiges Thema. „Das ist natürlich symbolisch“, so Rathgeb, „denn das an uns gezahlte Geld fließt in einen Fonds, der wiederum den jeweiligen Gemeinden zugutekommt“. Auf diese Weise soll deren Autonomie gestärkt werden.

Einen Schwerpunkt setzt der Verein aber auch auf die Information der Menschen hierzulande. „Wir wollen den Zusammenhang deutlich machen zwischen unserem Konsum und Lebenswandel und der Situation im Amazonas“, so Hindersin. Denn letztlich fällt das auch auf uns zurück. Etwa die Hälfte der Tier- und Pflanzenwelt der Erde befindet sich schließlich dort. Ein Kulturschatz der Menschheit wird zerstört. Einer auch der das Klima – noch – im Gleichgewicht hält.

Ein Dekadenprojekt
Poema steht für Pobreza Emeio ambiente na Amazônia, das heißt Armut und Umwelt in Amazonien. Für seine Projekte wurde Poema 2008 als offizielles Dekadenprojekt der Vereinten Nationen ausgezeichnet. Der Verein finanziert sich aus schließlich aus Spenden. Kontonr. 702 466 7101 bei der GLS-Bank Nr. 430 609 67. Mehr Infos unter www.poema-deutschland.de

Donnerstag, 2. Mai 2013

Rechtsterrorismus in Europa

Auf den Tag genau vor 80 Jahren sind von SA und SS die deutschen Gewerkschaften zerschlagen worden. Ein großer Teil der Arbeiterbewegung landete hinter Gittern. Die freie Gewerkschaftsbewegung hörte fortan auf zu existieren und die nationalsozialistische NSBO übernahm das Kommando. Am gestrigen Tag der Arbeit haben Gewerkschafter im ganzen Land an diese NS-Untat erinnert, die doch nur den Auftakt bildete für viel größere Verbrechen und zur Verfolgung und systematischen Vernichtung alles Unvölkischen. 

Auch heute, 80 Jahre später, findet das Gedankengut dieser Zeit immer noch Anklang. Am 6. Mai beginnt nun der Prozess gegen den NSU vor dem OLG in München. Noch ist vieles unklar in Bezug auf diese Terrorzelle, die sich als solche bis zu ihrem Untergang nie zu erkennen gab, gerade was die Rolle der Geheimdienste anbelangt. Doch die verbreitete Geschichtsvergessenheit in der Berichterstattung erstaunt. Wir haben es hier keineswegs mit einem völlig neuen Phänomen zu tun. Denn nicht nur Deutschland, nahezu ganz Europa blickt auf eine lange Geschichte des braunen Terrors zurück. Der Rechtsterrorismus ist eben keine Folge der deutschen Wiedervereinigung, auch wenn diese der Bewegung einen deutlichen Schub gab. Seine Wurzeln reichen in der Bundesrepublik bis weit in die Fünfziger Jahre zurück. Eine sehenswerte Arte-Dokumentation von 2012 fasst die Entwicklungen in Deutschland und ganz Nachkriegseuropa gut zusammen. Sie zeigt die Verstrickungen mit staatlichen Institutionen (auch wenn sie die Rolle der Stay Behind/Gladio-Geheimarmeen leider gänzlich ausblendet),  verdeutlicht die kontinuierliche Unterschätzung der Bewegung und berichtet von der ungebrochenen Attraktivität des nationalsozialistischen Gedankenguts in ganz Europa.

Mittwoch, 1. Mai 2013

Schöne neue Arbeitswelt

Befristet, geringfügig beschäftigt, geliehen – prekäre Arbeit hat viele Gesichter. Doch eines haben sie alle gemein: sie nehmen der Arbeit und dem Arbeiter die Würde. So die zentrale These des Industrieseelsorgers Paul Schobel, der am Dienstagabend auf Einladung des DGB in der Manufaktur über die Apartheit in der Arbeitswelt referierte. 

Apartheit ist ein starkes Wort, doch für den Katholiken Paul Schobel, der auf 40 Jahre Erfahrung in der Betriebsseelsorge zurückblicken kann, beschreibt es ziemlich genau die Entwicklung der letzten Jahre, in denen sich die Arbeitswelt zunehmen aufspaltete in tarifgebundene sichere Arbeitsplätze und sogenannte „bad jobs“. Arbeit dürfe nicht beliebig sein, kein reiner Kostenfaktor. Doch genau das sei sie momentan: „Sie wird ausgepresst wie eine Zitrone, nur um sie danach wegzuschmeißen.“ Das könne ihn als katholischen Pfarrer nicht kalt lassen, denn „man kann nicht sagen, ich würde hier den Teufel beschwören. Er ist schon da.“ In Form der schönen neuen Arbeitswelt. Huxley lässt grüßen. 

Um die Würde der Arbeit zu erklären, greift er auf dabei das Gleichnis der drei Steinmetze zurück, die gemeinsam auf einer Baustelle arbeiten. Als ein Passant sie danach fragt, was sie denn tun, antwortet der erste barsch: „Siehst du das nicht? Ich verdiene meinen Lebensunterhalt!“ Der zweite klopft mit wichtiger Miene auf seinen Stein: „Ich mache die besten Steinmetzarbeiten weit und breit.“ Der dritte jedoch schaut den Passanten mit glänzenden Augen an und sagt: „Ich arbeite mit am großen Dom.“ 

Dieses Glänzen, dieser Sinn für das große Ganze ist es, das Paul Schobel als Wert der Arbeit zumisst. Doch die Realität sehe leider völlig anders aus. So sei es etwa bei der Leiharbeit üblich, diese in den Betrieben als Sachkosten aufzulisten, „verächtlicher kann man mit Arbeit wohl nicht umgehen. Arbeitsbeziehungen werden so zu logistischer Materialbeschaffung degradiert.“ Dass Leiharbeiter schlechter bezahlt werden und über keine arbeitsrechtliche Absicherung verfügen, erscheine da nur logisch. Im Endeffekt führe dies zu gespaltenen Belegschaften. Die Leiharbeit, so seine Forderung, müsse raus aus der „Gitterbox der Materialverwaltung“. Die Gewerkschaften hätten dabei die Aufgabe, sich schützend vor die Leiharbeiter zu stellen, auch ohne gesetzlichen Auftrag. Denn die Spaltung der Belegschaft sei gewollt. Diese Apartheid gelte es zu unterlaufen. 

Schließlich würde Leiharbeit als gezielter Spaltpilz in der Belegschaft eingesetzt. „Teile und herrsche war immer die Strategie von denen da oben.“ Arbeitgeberrisiko werde so auf die Arbeitnehmer abgewälzt. „Der Schwache trägt den Rucksack der Starken – als ob er nicht ohnehin schon genug zu tragen hätte.“ Immer wieder kommt an diesem Abend auch die Agenda 2010 zur Sprache. Hier habe diese unselige Entwicklung, so Schobel, ihren Anfang genommen. 

Und Baden-Württemberg stehe dabei deutschlandweit an der Spitze. Nirgendwo gebe es etwa mehr geringfügige Beschäftigung. Vor allem Frauen seien davon betroffen. „Das ist nicht nur ein Unrecht und eine Beleidigung dieser Menschen, sondern auch eine ökonomische Dummheit sondergleichen“. Denn von dieser Arbeit könne man weder heute gut leben, noch sorge sie für eine Absicherung im Rentenalter. 

Dass die Arbeit so „verludern“ konnte, komme nicht von ungefähr. Alles stehe mittlerweile unter der Knute der Rentabilität, folge dem Wahn der Verwertbarkeit. Schobel findet dafür den Begriff des „primitiven Kapitalismus“ bei dem die Arbeit auf einen schäbigen Wühltisch mit preiswerten Schnäppchen für die Wirtschaft komme. Doch „gute Arbeit ist niemals Feinschmeckerei, es geht um das lebensnotwendige Schwarzbrot.“ 

Um die Arbeit aus der „Schmuddelzone“ herauszuholen seien neben Politik und DGB aber auch die Konsumenten gefragt. Eine Kauf-Mentalität des „Geiz ist geil“ führe letztlich nur zum sozialen Freitod. Denn die versteckte Botschaft laute: Billig ist gut. Der Preis dürfe aber nicht das einzige Kriterium für die Kaufentscheidung sein. „Aus jeder Kaufentscheidung muss eine ethische Entscheidung werden“ - zumindest für jene mit den gefüllten Geldbeuteln. Dabei gelte es das Soziale und Ökologische nicht auseinander zu dividieren: „Wir brauchen einen universellen Nachhaltigkeitsbegriff“. Was wir gerade erleben, habe Marx recht gut analysiert, so der Theologe. Schobel selbst beschreibt unser System als „Rossbolla-Kapitalismus“: wenn man die Pferde füttere, falle auch noch was für die Spatzen ab. Reichtumsvermehrung statt Armutsverhinderung, so laute das Programm. 

Doch „das Kapital muss raus aus dem Führerhaus und ab in die Dienstleistungsklasse“. Die Marktwirtschaft müsse sozial, ökologisch und demokratisch umgestaltet werden – „und zwar auf allen Ebenen“. Wie ein solches System aussehen könnte, beschreibt Christian Felber in seinem Buch „Gemeinwohlökonomie“, das Paul Schobel allen Zuhörern empfiehlt. Die zentrale These: unser System setze die falschen Anreize. Daher müsse der Staat ein neues Anreizsystem erschaffen, in dem jene Betriebe belohnt werden, die nach sozialen, ökologischen und demokratischen Standards wirtschaften. Nur so könne man das Glänzen in den Augen der Arbeiter wieder zurückholen, das Gefühl: „auch ich arbeite mit am großen Dom“. 

Der Betriebsseelsorger 
Paul Schobel, Grenzgänger zwischen Arbeitswelt und Kirche, wurde 1963 zum Priester geweiht und fand bald darauf seine Berufung in der Betriebsseelsorge im Raum Böblingen/Sindelfingen, wo er sich seit gut 40 Jahren um die Zu-kurz-gekommenenen, Gemobbten und Ausgebeuteten kümmert. Er stand auch schon mehrmals bei Daimler am Band und ist regelmäßig auf SWR1 und SWR4 zu hören, wo er aus theologischer Perspektive über so unterschiedliche Themen wie Drohnen, Altersarmut oder Gartenzwerge sinniert.