Mittwoch, 1. Mai 2013

Schöne neue Arbeitswelt

Befristet, geringfügig beschäftigt, geliehen – prekäre Arbeit hat viele Gesichter. Doch eines haben sie alle gemein: sie nehmen der Arbeit und dem Arbeiter die Würde. So die zentrale These des Industrieseelsorgers Paul Schobel, der am Dienstagabend auf Einladung des DGB in der Manufaktur über die Apartheit in der Arbeitswelt referierte. 

Apartheit ist ein starkes Wort, doch für den Katholiken Paul Schobel, der auf 40 Jahre Erfahrung in der Betriebsseelsorge zurückblicken kann, beschreibt es ziemlich genau die Entwicklung der letzten Jahre, in denen sich die Arbeitswelt zunehmen aufspaltete in tarifgebundene sichere Arbeitsplätze und sogenannte „bad jobs“. Arbeit dürfe nicht beliebig sein, kein reiner Kostenfaktor. Doch genau das sei sie momentan: „Sie wird ausgepresst wie eine Zitrone, nur um sie danach wegzuschmeißen.“ Das könne ihn als katholischen Pfarrer nicht kalt lassen, denn „man kann nicht sagen, ich würde hier den Teufel beschwören. Er ist schon da.“ In Form der schönen neuen Arbeitswelt. Huxley lässt grüßen. 

Um die Würde der Arbeit zu erklären, greift er auf dabei das Gleichnis der drei Steinmetze zurück, die gemeinsam auf einer Baustelle arbeiten. Als ein Passant sie danach fragt, was sie denn tun, antwortet der erste barsch: „Siehst du das nicht? Ich verdiene meinen Lebensunterhalt!“ Der zweite klopft mit wichtiger Miene auf seinen Stein: „Ich mache die besten Steinmetzarbeiten weit und breit.“ Der dritte jedoch schaut den Passanten mit glänzenden Augen an und sagt: „Ich arbeite mit am großen Dom.“ 

Dieses Glänzen, dieser Sinn für das große Ganze ist es, das Paul Schobel als Wert der Arbeit zumisst. Doch die Realität sehe leider völlig anders aus. So sei es etwa bei der Leiharbeit üblich, diese in den Betrieben als Sachkosten aufzulisten, „verächtlicher kann man mit Arbeit wohl nicht umgehen. Arbeitsbeziehungen werden so zu logistischer Materialbeschaffung degradiert.“ Dass Leiharbeiter schlechter bezahlt werden und über keine arbeitsrechtliche Absicherung verfügen, erscheine da nur logisch. Im Endeffekt führe dies zu gespaltenen Belegschaften. Die Leiharbeit, so seine Forderung, müsse raus aus der „Gitterbox der Materialverwaltung“. Die Gewerkschaften hätten dabei die Aufgabe, sich schützend vor die Leiharbeiter zu stellen, auch ohne gesetzlichen Auftrag. Denn die Spaltung der Belegschaft sei gewollt. Diese Apartheid gelte es zu unterlaufen. 

Schließlich würde Leiharbeit als gezielter Spaltpilz in der Belegschaft eingesetzt. „Teile und herrsche war immer die Strategie von denen da oben.“ Arbeitgeberrisiko werde so auf die Arbeitnehmer abgewälzt. „Der Schwache trägt den Rucksack der Starken – als ob er nicht ohnehin schon genug zu tragen hätte.“ Immer wieder kommt an diesem Abend auch die Agenda 2010 zur Sprache. Hier habe diese unselige Entwicklung, so Schobel, ihren Anfang genommen. 

Und Baden-Württemberg stehe dabei deutschlandweit an der Spitze. Nirgendwo gebe es etwa mehr geringfügige Beschäftigung. Vor allem Frauen seien davon betroffen. „Das ist nicht nur ein Unrecht und eine Beleidigung dieser Menschen, sondern auch eine ökonomische Dummheit sondergleichen“. Denn von dieser Arbeit könne man weder heute gut leben, noch sorge sie für eine Absicherung im Rentenalter. 

Dass die Arbeit so „verludern“ konnte, komme nicht von ungefähr. Alles stehe mittlerweile unter der Knute der Rentabilität, folge dem Wahn der Verwertbarkeit. Schobel findet dafür den Begriff des „primitiven Kapitalismus“ bei dem die Arbeit auf einen schäbigen Wühltisch mit preiswerten Schnäppchen für die Wirtschaft komme. Doch „gute Arbeit ist niemals Feinschmeckerei, es geht um das lebensnotwendige Schwarzbrot.“ 

Um die Arbeit aus der „Schmuddelzone“ herauszuholen seien neben Politik und DGB aber auch die Konsumenten gefragt. Eine Kauf-Mentalität des „Geiz ist geil“ führe letztlich nur zum sozialen Freitod. Denn die versteckte Botschaft laute: Billig ist gut. Der Preis dürfe aber nicht das einzige Kriterium für die Kaufentscheidung sein. „Aus jeder Kaufentscheidung muss eine ethische Entscheidung werden“ - zumindest für jene mit den gefüllten Geldbeuteln. Dabei gelte es das Soziale und Ökologische nicht auseinander zu dividieren: „Wir brauchen einen universellen Nachhaltigkeitsbegriff“. Was wir gerade erleben, habe Marx recht gut analysiert, so der Theologe. Schobel selbst beschreibt unser System als „Rossbolla-Kapitalismus“: wenn man die Pferde füttere, falle auch noch was für die Spatzen ab. Reichtumsvermehrung statt Armutsverhinderung, so laute das Programm. 

Doch „das Kapital muss raus aus dem Führerhaus und ab in die Dienstleistungsklasse“. Die Marktwirtschaft müsse sozial, ökologisch und demokratisch umgestaltet werden – „und zwar auf allen Ebenen“. Wie ein solches System aussehen könnte, beschreibt Christian Felber in seinem Buch „Gemeinwohlökonomie“, das Paul Schobel allen Zuhörern empfiehlt. Die zentrale These: unser System setze die falschen Anreize. Daher müsse der Staat ein neues Anreizsystem erschaffen, in dem jene Betriebe belohnt werden, die nach sozialen, ökologischen und demokratischen Standards wirtschaften. Nur so könne man das Glänzen in den Augen der Arbeiter wieder zurückholen, das Gefühl: „auch ich arbeite mit am großen Dom“. 

Der Betriebsseelsorger 
Paul Schobel, Grenzgänger zwischen Arbeitswelt und Kirche, wurde 1963 zum Priester geweiht und fand bald darauf seine Berufung in der Betriebsseelsorge im Raum Böblingen/Sindelfingen, wo er sich seit gut 40 Jahren um die Zu-kurz-gekommenenen, Gemobbten und Ausgebeuteten kümmert. Er stand auch schon mehrmals bei Daimler am Band und ist regelmäßig auf SWR1 und SWR4 zu hören, wo er aus theologischer Perspektive über so unterschiedliche Themen wie Drohnen, Altersarmut oder Gartenzwerge sinniert. 

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Denksportaufgabe:

Die Lohnkosten bei der Produktion eines Schuhs der Marke Adi*** machen heute nur noch 0,4 % des Verkaufspreises beim Einzelhändler aus.

Arbeitsanweisung: Analysiere die Stellung der Produktivkräfte vor dem Hintergrund dieser Information! Treffe fernerhin Feststellungen über die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Implikationen!

(Zeitansatz: 45 Minuten, Hilfsmittel: [ein Sprüchlein vom guten Georg Wilhelm Friedrich] "Das Recht des Weltgeistes geht über alle besonderen Berechtigungen", Arbeitsmaterialien: werden gestellt)

Herzlichst

Unser Heiner Müller