Samstag, 24. April 2021

In meiner Heimat leb ich nicht mehr gern

In meiner Heimat leb ich nicht mehr gern,
Buchweizen ruft, aus Weiten, endlos großen.
Ich laß die Kate Kate sein, bin fern,
ich streun, ein Dieb, umher im Heimatlosen.

Tag, wie dein Licht sich lockt, so will ich gehn,
im Irgendwo will ich zur Ruh mich setzen.
Was mir bevorsteht, Freund, ich kanns schon sehn:
ich seh am Stiefelschaft dich’s Messer wetzen.

Die gelbe Straße, vor mir läuft sie hin,
der Frühling, er läuft mit, das Wiesenblond, die Helle.
Den Namen grub ich tief in meinen Sinn,
und die ihn trägt, sie jagt mich von der Schwelle.

Ich weiß, mich führts zurück zu Vaters Haus –
Mein ganzer Trost: daß fremde Herzen hüpfen . . .
Ein grüner Abend kommt, ich zieh die Jacke aus,
am Ärmel mich ans Fensterkreuz zu knüpfen.

Die Weiden hängen grau, das Zaungeflecht
steht schief – sie müssen Kummer haben.
Mich Ungewaschnen bettet man zurecht,
die Meute bellt – sie haben mich begraben.

Und oben schwimmt der Mond, er schwimmt und schwebt,
und läßt, wo Seen sind, seine Ruder fallen.
Und Rußland lebt, wie’s immer schon gelebt:
am Zaun, da tanzt es, und die Tränen rollen.

(Sergej Jessenin)

Sonntag, 4. April 2021

Ein Abgrund, in den geschaut werden muss

Selten hat mich ein Radio-Beitrag mehr beschäftigt als dieser. Weil er ein Tabu behandelt, das entweder totgeschwiegen oder über das reißerisch skandalisiert wird. Eines, das aber zugleich so alltäglich ist, dass es verwundert, wie selten offen darüber gesprochen wird. 

Es geht um Kindesmissbrauch, der kein Phänomen von Randgruppen ist, sondern in der Mitte der Gesellschaft stattfindet - und das leider massenhaft (oft übrigens gar nicht mal aus pädophilen Motiven). In den allermeisten Fällen geschieht es von der Öffentlichkeit verborgen im nahen und nächsten Umfeld: der Familie, dem Sportverein, dem Freundeskreis. Immer häufiger bleiben diese Verbrechen nicht im Verborgenen, sondern werden dokumentiert, geteilt, verkauft. 

WDR 5 lässt in dem Radiofeature "Abgrund Kinderpornografie" eine Betroffene zu Wort kommen, die nicht nur vor ihrem eigenen Schicksal erzählt. Die Protagonistin  (aus verständlichen Gründen nur anonym auftretend), wollte verstehen, was die Täter motiviert - und hat sich dafür in Foren begeben, wo Bilder und Fantasien ausgetauscht werden. Sie hat Kontakt zu Pädophilen aufgenommen. Und sie geht dabei der Frage nach, weshalb diese Gesellschaft das Problem so tabuisiert anstatt offensiv darüber zu sprechen. 

Es fällt in der Tat schwer, sich diesem Thema zu stellen. Zumal die Vorstellung, dass in jeder Schulklasse wahrscheinlich ein betroffenes Kind sitzt, nicht nur schwer erträglich, sondern auch kaum vorstellbar ist. Doch wie bei häuslicher Gewalt handelt es sich eben um ein Verbrechen, das massenhaft geschehen, aber kaum sichtbar und leider auch schwer zu beweisen ist. 

Eine gesellschaftliche Debatte und mehr Aufklärung über das Thema täte deshalb Not. Um Kinder besser zu schützen. Um Pädophilen Wege aufzuzeigen, damit sie nicht irgendwann zum Täter zu werden. Und jene, die aus anderen Motiven (wie Macht und Überlegenheitsgefühle) solche Verbrechen begehen, zu warnen, dass diese Gesellschaft wachsam ist. 

Auch wenn es schmerzt, hinter die Fassaden zu sehen - das ist ein Abgrund, in den geschaut werden muss.