Samstag, 16. März 2013

Der idealistische Ur-Grüne


Wir leben in krisenhaften Zeiten. Ob in Wirtschaft und Politik oder im Umgang mit der Natur: Überall erleben wir einen dramatischen Vertrauensverlust. So zumindest die Annahme des Grünen-Urgesteins Gerald Häfner, der sich am Donnerstagabend bei einem Vortrag an der Freien Waldorfschule Engelberg auf die Suche nach den Ursachen dieser Entwicklung begab.

Gerald Häfner weiß aus der Innenansicht, wovon er spricht. Er ist Mitbegründer der Grünen, Waldorfpädagoge und Bürgerrechtler. Dreimal saß er im Bundestag, um dann immer wieder in seinen normalen Beruf zurückzukehren. Momentan ist er als Abgeordneter für die Grünen im Europaparlament. Er war bei der Gründung zahlreicher Initiativen für mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung beteiligt. Zehn Jahre arbeitete er als Vorstandssprecher von Mehr Demokratie e.V.

Das politische Klein-Klein ist dem Münchner aus der Praxis also sehr bekannt. Doch an diesem Abend wird er grundsätzlich: „Wir wissen heute so viel, können so viel, hatten noch nie so viele Mittel, aber dennoch wird die Erde und das Leben der Menschen systematisch zerstört.“ Neben der ökologischen Krise sei das bemerkbar an einer ungemein tiefen ökonomischen, sozialen und fiskalpolitischen Krise: „Wir machen Schulden, um Schulden tragfähiger zu machen, das ist doch Irrsinn!“ Auch weil die Politik keine Zeit mehr für Grundsatzfragen habe. Entscheidungen werden immer schneller getroffen und dann als alternativlos präsentiert: „Ständig wird Feuer gelöscht, aber der Brand wird immer größer.“ Die Demokratie sieht Häfner daher in der Krise.

Das liege unter anderem am Vertrauen. Das ist für Häfner die Grundlage jeglichen menschlichen Zusammenlebens: „Ohne Vertrauen keine Entwicklung“. Doch in den vergangenen Jahrzehnten habe es eine dramatische Entwicklung gegeben. Heute gelte als dumm, wer anderen vertraue. In allen gesellschaftlichen Bereichen sei das so, nur zwei Beispiele: Während Bankbeamte einst den Kunden dienten, denke dieser heute nur noch: „Die wollen uns sicher nur was andrehen, das uns schadet.“ Und während Ärzte früher das Wohl des Patienten im Blick hatten, handelten sie heute oft aus rein ökonomischen Motiven – ganz entgegen ihres Berufsethos'.

Erstaunlich an dieser Entwicklung ist nun, dass sich eigentlich jeder bewusst sei, wie falsch er sich verhalte. „Kein Mensch will das eigentlich“. Aber alle denken, es ginge nicht anders, ganz nach dem Motto: „So läuft das Business eben.“ Als Ursache dieser Paradoxie sieht er das alle Lebenswelten durchdringende Menschenbild der Ökonomie. Danach handle der Mensch stets rational und versuche, seinen Nutzen zu maximieren. Auf dieser Annahme basiert unsere Wirtschaftsordnung. Doch stimmt sie auch?

Häfner hat da so seine Zweifel. Eine Reihe von Experimenten habe immer wieder gezeigt, dass die Menschen im Alltag keine reinen Nutzenmaximierer seien. Sie handeln sehr wohl sozial. Und er verweist auf Elinor Ostrom, die 2009 als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. Sie konnte nachweisen, dass Gemeineigentum in gewissen Fällen sinnvoller und effizienter ist als Privateigentum. Vorausgesetzt alle sehen sich als Gleiche unter Gleichen an und die Nutzung ist klar geregelt.

Die Regeln unseres Zusammenlebens müssen daher auf einen neuen Boden gestellt werden, da ist sich Gerald Häfner ganz sicher. Nur als freie Vereinbarung freier und gleicher Menschen sei das möglich, „und das treibt mich wirklich um, warum wir nicht daran arbeiten“. Als einen Bösewicht macht er das Geld aus, das in den letzten Jahrzehnten ein zunehmendes Eigenleben entwickelt hat und die Köpfe der Menschen verdreht. „98 Prozent des Geldes, das zirkuliert, ist rein spekulativer Natur, ist völlig irreal. Das Animalische, von dem Waldorf-Gründer Rudolf Steiner sprach, hier ist es“.

„Nicht alles in Brüssel entscheiden“

Konkrete Ansätze, wie ein Weg aus dieser Krise aussehen könnte, bleibt Häfner an diesem Abend aber leider schuldig. Er spricht nur etwas wolkig davon, dass eine neue Form europäischer Demokratie notwendig sei. „Nicht alles sollte in Brüssel entschieden werden.“ Er plädiert für mehr direkte Demokratie. Doch in Politik und Wissenschaft sei das Misstrauen gegenüber dem Volk mittlerweile immens. Die Menschen verstünden das ja ohnehin nicht mehr, so die unausgesprochene Ansicht vieler im Politikbetrieb. Und nach den Referenden über die europäische Verfassung habe sich bei vielen EU-Politikern die Haltung eingeschlichen: „Wir sollten die Leute besser nicht mehr fragen.“

Eine fatale Haltung, wie Häfner findet. Denn oft haben Menschen mit Ideen keine Macht. Jene mit Macht aber haben allzu oft keine Ideen, sind selbst Getriebene. Das könne er jeden Tag in Straßburg beobachten. Und schließlich beweise die Schweiz ja seit gut 150 Jahren, dass direkte Demokratie möglich sein. Sachthemen statt Personen sollten viel mehr im Mittelpunkt stehen. Eine Demokratie müsse sich eben stets weiterentwickeln. Und Gerald Häfner ist sich sicher: „Die Menschen sind viel, viel weiter als die politischen Verhältnisse, in denen sie leben.“

Info:
1979 gehörte der gelernte Waldorf-Lehrer zu den Gründern der bayerischen Grünen und ist ihnen bis heute ebenso treu geblieben wie den Schwerpunkten seiner Arbeit: Mehr Bürgerbeteiligung, Transparenz und Bürgerrechte. Als Mitgründer von Mehr Demokratie e.V. berät und unterstützt er Bügerinitiativen und agiert als Lobbyist für mehr direktdemokratische Instrumente. Der gebürtige Münchner erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter 2001 das „Silberne Mikrofon“ als bester Redner der Abgeordneten des Deutschen Bundestages und 2005 den vom Economic Forum Deutschland vergebenen „National Leadership Award für Politische Innovation“ in der Kategorie Verbesserung des politischen Systems.