Montag, 27. August 2007

Extremisten verbieten?


Kaum kommt es in Deutschland mal wieder zu Ausschreitungen gegen Ausländer, werden Stimmen laut, die NPD endgültig zu verbieten. Schon Otto Schily, Innenminister der rot-grünen Regierung brachte 2001 einen Verbotsantrag vor das Verfassungsgericht – und scheiterte kläglich. Nicht etwa, weil der Partei keine systemüberwindenden, verfassungsfeindlichen Bestrebungen nachgewiesen werden konnten. Nein, der Staat selbst verhinderte durch die Aktivität seiner V-Männer, die in der Partei bis in leitende Positionen zu finden waren, die Beweisführung. Denn solange diese aktiv waren – und nicht selten zu Gewalttaten anstachelten – konnte das Verfassungsgericht keine positive Entscheidung treffen. Nun verhielt es sich so, dass die NPD nur allzu gerne großzügig Gelder vom Verfassungsschutz kassierte, ihnen genau die Informationen lieferte, die eh schon bekannt waren und derweil kräftig in ihren Parteiaufbau investierte.

Der Verbotsantrag war so auf zweifache Weise ein ziemlich herber Reinfall: die NPD konnte sich nun brüsten, eine demokratische Partei zu sein, die ungerechtfertigter staatlicher Verfolgung unterliege und war zugleich auf einen Schlag in aller Munde. Der Staat lieferte also nicht nur einen Persilschein, sondern obendrein kostenlose Publicity für die zuvor dahinsiechenden Rechtsextremisten. Da sich die V-Männer immer noch in der Partei tummeln (und der Verfassungsschutz gar nicht dran denkt, sie aus der Partei abzuziehen), wäre ein zweiter Versuch genauso zum Scheitern verurteilt. Da die NPD inzwischen aber (auch dank der Hilfe des Innenministeriums) in zwei Landtagen sitzt, und aktuelle Umfragen zeigen, dass sich 13 % der Deutschen vorstellen könnten, ihr Kreuz bei der nächsten Wahl den nationalen Sozialisten zu geben, wirkt dieser Vorstoß wie ein verzweifelter Rettungsversuch eines angeschlagenen demokratischen Systems.

Denn was hinter dem Ruf nach Verboten steht, ist eine gehörige Portion Hilflosigkeit. Gerade wir Deutschen müssten doch eigentlich bessere Mittel gegen Rechtsextremisten kennen als Verbote. Doch die Tabuisierung rechtsdemokratischen Gedankengutes spielt den Extremisten in die Hände. Während sich auf der Linken gerade erfolgreich eine linksdemokratische (und im Grunde sozialdemokratische) Partei etablieren kann, fühlen sich viele Rechtskonservative in die Enge getrieben: von der Political Correctness, dem nationalen Neurotizismus und der Sozialdemokratisierung der CDU. Nicht, dass ich mit rechtskonservativen Positionen sonderlich sympathisieren würde, aber eine gesunde Demokratie muss eben beides vertragen: eine starke Linke UND eine starke Rechte.

Zudem ist wohl kaum zu erwarten, dass das Wählerpotenzial der Extremisten durch ein Verbot schlagartig verschwindet. Nein, es ist europäische Normalität, dass ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügt, wobei sich die Deutschen da durchaus im europäischen Mittelfeld befinden. Eine Demokratie muss damit auch leben können. Sie muss nur verhindern, dass deren Positionen mehrheitsfähig werden. Dazu bedarf es aber mit Sicherheit anderer Mittel als des Verbots oder der üblichen Betroffenheitsbekundungen, wenn die rechtsextreme Normalität mal wieder ins Blickfeld der Medien gerät.

Dieses Land muss endlich damit aufhören, die Augen vor der Realität zu verschließen und sachlich über die Ursachen all der Probleme reden, die vielen Menschen Extremisten wählbar erscheinen und rechtsextreme Gedanken salonfähig machen lässt, und von denen hier einige beispielhaft herausgegriffen seien: die Arbeitslosigkeit, die Abwesenheit der Politik wie der Zivilgesellschaft in vielen Teilen der Republik, unser zutiefst ungerechtes und sozial spaltendes Bildungssystem, die Desintegrationsproblematik weiter Teile der Unterschichten in den grauen Vorstädten und dem aussterbenden Land und deren Deprivationsgefühle, die extremistischen, kriminellen und antideutschen Tendenzen in einigen Migrantencommunities oder der langsam aber stetig voranschreitende Solidaritätsverfall in der Gesamtgesellschaft.

Dafür kann es keine einfachen Lösungen geben, und sicher ist es auch einfach, die Politik (gerade in jenen globalisierten Zeiten) für alle Probleme verantwortlich zu machen, da mag die deutsche Mentalität sicher etwas zu staatsfixiert zu sein, denn jeder Bürger ist ja potenziell dazu fähig, sich aus der Atomisierung zu befreien und selbst Initiative zu ergreifen, wir sind ja schließlich (immer noch) eine Demokratie. Nur: solange die Politik in diesem Lande nicht endlich ihre Kurzsichtigkeit in vielen Belangen ablegt, führt kein Weg daran vorbei, ihr dabei zu helfen, sie abzulegen.

...all jenen, die sich etwas näher mit der NPD auseinandersetzen möchten, sei das Buch "Moderne Nazis" von Toralf Staud ans Herz gelegt, das sich auf fundierte und prägnante Weise mit dem Werdegang der ältesten deutschen rechtsextremen Partei und ihrem aktuellen Treiben beschäftigt...

Sonntag, 19. August 2007

Vormann Leiss


In Deutschland gibt es nur wenige Punkbands, die mit intelligenten Texten glänzen können: neben den Boxhamsters, EA 80, Oma Hans und den Goldenen Zitronen gehören die Flensburger von Turbostaat definitiv dazu. 

Die assoziativen, düsteren, an Jens Rachut angelehnten Texte (à la Drei Ecken - Ein Elvers), die Wipers-mäßige Gitarrenführung und der eindringliche, unangenehme Gesang sind die Markenzeichen einer der besten Livebands der Republik. Auf dem kleinen, aber feinen Schiffen-Label veröffentlichten sie ihre ersten beiden Alben Flamingo (2001) und Schwan (2004), unermüdliches Touren und eine Begegnung mit den Beatsteaks verschaffte der Band nach und nach ein kleines, aber solides und sehr treues Publikum. Nach einer Kollaboration mit den Beatsteaks, die auf der B-Seite von „Hello Joe“ landete und in der eigenwilligen, eingedeutschen Interpretation des Fu Manchu-Songs „Hell on wheels“ (zu deutsch: Frieda und die Bomben) bestand, wurden auch größere Plattenfirmen aufmerksam. 

Schnell war von Ausverkauf die Rede, vom Verrat an den guten alten Indie-DIY-Idealen. Doch was lässt sich heute schon noch mit Fug und Recht als Indie bezeichnen? Indie ist der neue Mainstream und hat längst die großen Bühnen bis zu Rock im Park erobert, ist mehr Label und Mode als Einstellung. Und schließlich gilt es, die Band an ihrer Musik zu messen, nicht nur an ihrer Plattenfirma. Dennoch: Turbostaat landete zwar bei warner music, gründete aber zugleich ihr eigenes kleines Label namens Same Same but Different, weshalb auch ihr neuestes Werk auf exzellentem 180 Gramm-Vinyl inclusive detaillverliebtem dickem Booklet erscheint. 

Aber zurück zum Wesentlichen: auf „Vormann Leiss“ hat sich nämlich – fast – gar nichts verändert, keine Spur von Anpassung. Abgesehen von einer verbesserten Produktion machen es einem die Jungs wahrlich nicht leichter. Denn die Texte, die sich wie immer in den seltensten Fällen reimen, sind so kryptisch wie immer, tragen Titel wie „Harm Rochel“, „Ja, Roducheln!!!“ oder „Haubentaucherwelpen“ und geben sich wahrlich nicht die Mühe, zu gefallen. Melodien sind wie immer rar gesät, Musik und Texte ergeben wie immer eine alles andere als angenehme Atmosphäre. Beleuchtet werden die alltäglichen Abgründe (die Banalität des Bösen, die Lächerlichkeit unserer Existenz oder die Verbindung von Privatem und Politik etwa) und Befindlichkeiten, die schwer zu entschlüsseln und vielleicht gerade deshalb oft so treffend sind. In den besten Momenten erzeugt das Kopfkino, lässt das politische, persönliche, philosophische, absurde Bilder im Kopf des Hörers entstehen. Einer der textlich noch am ehesten zu greifenden Songs ist Haubentaucherwelpen: 

zusammen mit der hoffnung 
fällt sonne in die stadt 
es geht noch immer weiter 
zumindestens bergab 
sie verlassen ihre gräben 
die sie zur zeit bewohnen 
sind wir nicht weit gekommen 
fragt der erste schon 

und sie beladen ihre autos 
mit kindern im gepäck 
wohin soll bloß die reise gehen 
am besten ganz weit weg 
sie begraben ihre toten 
und schauen dich groß an 
was gibt es hier denn noch zu tun?
am besten weiterfahren 

UND SIE BLEIBEN 
OHNE FRAGEN 
WEIL ALLES ANDERE SCHEINBAR BESSER IST 
UND DEINE AUGEN STARREN WEITER 
AUF FISCHER 
AUF DEN HAFEN 
UND DEN WIND 

köpfe rollen zusammen 
und denken lauthals nach
ob wir denn noch zu retten wären 
mit einem starken staat 
wer soll uns jetzt führen? 
ob er noch beten kann? 
liebt er seine kinder? 
ein guter ehemann… 

Nein, „Vormann Leiss“ ist weder die befürchtete Anbiederung an den Mainstream, noch die musikalische Offenbarung, welche sich vielleicht manche erhofft hatten. Turbostaat machen ziemlich genau da weiter, wo sie mit Schwan aufgehört haben, was aber nicht weiter schlimm ist, denn Vormann Leiss ist das dritte gute Album in Folge - und das ist auch und gerade für eine deutsche Punkband mehr als beachtlich.

Freitag, 17. August 2007

Lösch mir die Augen aus...

Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn,
wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,
und ohne Füße kann ich zu dir gehen,
und ohne Mund noch kann ich dich beschwören.
Brich mir die Arme ab, ich fasse dich
mit meinem Herzen wie mit einer Hand,
halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,
und wirfst du in mein Hirn den Brand,
so werd ich dich auf meinem Blute tragen.

(Rainer Maria Rilke, 1897)

Der große Führer Kruk


Eine der wohl schillerndsten Figuren des sog. „nationalen Widerstands“ ist Silvio Reinhold Kruk. Als Führer der National-Sozialistischen Bewegung Deutschlands (NBD), die im wesentlichen aus ihm selbst besteht und als Akronym wie eine provinzielle Variante des Marktführers NPD klingt, sorgt er selbst innerhalb des rechtsextremen Spektrums regelmäßig für Heiterkeit, denn sein politisches Wirken ist Realsatire vom feinsten! Seit Jahren kämpft er nun schon für das Reich, vornehmlich, indem er Demos organisiert (von denen allerdings noch keine stattgefunden hat) und Videobotschaften in die Welt setzt, die von völliger rhetorischer und technischer Unfähigkeit zeugen (zwei exzellente Exemplare: eine Ankündigung und eine Antwort). Sein letzter Coup: in der Annahme, endlich treue Kameraden gefunden zu haben, mit denen er seine erste Demo gegen Antifa und Staat abhalten kann, unterwanderten ihn – Antifas: über Wochen hinweg hatten sie sich gegenüber Kruk als Kameraden ausgegeben. Sie übernahmen nicht nur detaillierte Planungen für die Demo, sondern gaben ebenso vor, für Lautsprechertechnik, Ordner und Teilnehmer zu sorgen. In einem privaten Schriftverkehr zwischen Kruk und seinen „treuen Verbündeten“ leugnete dieser obendrein auch noch den Holocaust.

Die Bilanz der glorreichen Aktion: statt einer Demo erntete er nur Hohn und statt Kameraden eine Strafanzeige. Ach wenn doch nur alle Nazis so unfähig wären wie dieser fast schon bedauernswerte Kerl!

The Mercy Seat

Nick Cave war in den Achtziger Jahren noch nicht der anerkannte Musiker, als der er heute in den einschlägigen Feuilletons gehandelt wird - er war zu dreckig, zu schräg, zu verdrogt. Doch am Ende jener Dekade vollzog sich die langsame Wandlung hin zum hofierten melancholisch-morbiden Songwriter, der in jüngster Zeit gar verhalten positive Musik komponierte. Mercy Seat, das erst in den letzten Jahren des nicht minder genialen Johnny Cash die verdiente Berühmtheit erlangte, manifestiert jene Übergangsphase einer der größten lebenden musikalischen Legenden. Wer Nick Cave nur von Where the wild roses grow kennt, wird wahrscheinlich genauso überrascht sein wie jene, die Mercy Seat erst mit Johnny Cash kennenlernten, der den Song so kongenial interpretierte, dass seine Herkunft inzwischen beinahe vergessen scheint...

It ALL began when they come took me from my home
And put me on Death Row,
a crime for which I am totally innocent, you know.

I began to warm and chill
To objects and their fields,
A ragged cup, a twisted mop
The face of Jesus in my soup
Those sinister dinner deals
The meal trolley's wicked wheels
A hooked bone rising from my food
All things either good or ungood.

And the mercy seat is waiting
And I think my head is burning
And in a way I'm yearning
To be done with all this weighing of the truth.
An eye for an eye
And a tooth for a tooth
And anyway I told the truth
And I'm not afraid to die.

I hear stories from the chamber
Christ was born into a manger
And like some ragged stranger
He died upon the cross
Might I say, it seems so fitting in its way
He was a carpenter by trade
Or at least that's what I'm told

My kill-hand's
tatooed E.V.I.L. across it's brother's fist
That filthy five! They did nothing to challenge or resist.

In Heaven His throne is made of gold
The ark of his Testament is stowed
A throne from which I'm told
All history does unfold.
It's made of wood and wire
And my body is on fire
And God is never far away.

Into the mercy seat I climb
My head is shaved, my head is wired
And like a moth that tries
To enter the bright eye
I go shuffling out of life
Just to hide in death awhile
And anyway I never lied.


And the mercy seat is waiting
And I think my head is burning
And in a way I'm yearning
To be done with all this weighing of the truth.
An eye for an eye
And a tooth for a tooth
And anyway I told the truth
And I'm not afraid to die.

And the mercy seat is burning
And I think my head is glowing
And in a way I'm hoping
To be done with all this twisting of the truth.
An eye for an eye
And a tooth for a tooth
And anyway there was no proof
And I'm not afraid to die.

And the mercy seat is glowing
And I think my head is smoking
And in a way I'm hoping
To be done with all these looks of disbelief.
A life for a life
And a truth for a truth
And I've got nothing left to lose
And I'm not afraid to die.

And the mercy seat is smoking
And I think my head is melting
And in a way that's helping
To be done with all this twisting of the truth
An eye for an eye
And a tooth for a tooth
And anyway I told the truth
But I'm afraid I told a lie.

Dienstag, 14. August 2007

Kapitulation


„Alle die, die Liebe finden, sie müssen kapitulieren“
 
Nachdem ich das letzte Tocotronic-Album als eher angestrengt denn innovativ empfand, und eine mir in frühen Jahren ans Herz gewachsene Band schon fast in neoromantisch, gar esoterische Gefilde abdriften sah, las ich gespannt all die euphorischen Artikel über die „Kapitulation“. Da wurde nicht weniger als die Rettung der deutschen Musik und Tocotronic (da Distelmeyer & Co als Feuilletonlieblinge wegfielen) als die neuen Heilsbringer zwischen all dem Tand, der die sprunghaft angewachsene – und nicht zuletzt durch eine gewisse, zu Unrecht als solche betitelte Hamburger Schule in neue Sphären kapitulierte – deutsche Musikszene seit jeher dominierte, ausgerufen. Als ob das nicht genügte, offenbarte sich ein gewisser Herr von Beust als Fan besagter Gruppe, was von den grandiosen Goldenen Zitronen unlängst in „Der Bürgermeister“ verarbeitet wurde. Angesichts all der blinden Euphorie waren Bedenken also mehr als angebracht.
 
Eine einstmals subversive Band als Soundtrack zur bräsigen deutschen Befindlichkeit? Oder steckt letztlich doch mehr hinter dem Konzept der Kapitulation, dem komplett antirockistischen und antimännlichkeitsfixierten Ansatz gereifter Antideutscher. Ein (sicher nicht ganz ernst gemeintes) Manifest zum Album und diverse Interviews ließen mehr vermuten. Und: ich wurde positiv überrachscht. Auch wenn nicht alles an „Kapitulation“ gefällt, so haben sich doch einige der (für Tocotronic üblichen, und wie immer unangenehmen, weil unangepassten und leicht paradoxen) Parolen festgesetzt.

Kapitulation als antikapitalistische Strategie – wirklich überraschen konnte das einen alten Tocotronic-Hörer nicht wirklich, ebensowenig die kryptischen, aber inzwischen wieder (glücklicherweise) weniger neoromantischen Texte. Was mit „Digital ist besser“ und plakativ, aber ironisch gebrochenen, direkten Texten wie „Gitarrenhändler, ich verachte euch zutiefst“ begann, hatte spätestens seit KOOK neue lyrische Dimensionen betreten. Ein gemeinsamer Nenner jedoch blieb: die Hamburger wollen nicht gefallen, bleiben anstrengend, fordern auf zur Auseinandersetzung und vermeiden die Anbiederung an ein wie immer geartetes Publikum.

„Kapitulation“ ist jedoch nicht das, was die viel zu euphorischen deutschen Feuilletons herbei geschrieben haben. Spannend ist es gleichwohl, denn Tocotronic haben sich nicht nur textlich, sondern auch musikalisch weiterentwickelt. Was auf „Pure Vernunft darf niemals siegen“ noch statisch und gewollt daherkam, wirkt hier organisch und natürlich, so wird das Album (trotz aller immer noch vorhandenen Drei-Akkord-Banalitäten) zum musikalisch vielfältigsten Werk. Zwischen „Kapitulation“, dem (wenn auch nur vordergründig) vielleicht fröhlichsten Lied der Bandgeschichte, „Sag alles ab“, dem noisig-punkigen, beinahe an alte, dilletantische Zeiten erinnernden Verweigerungsstatement und Midtempo-Indierockstücken wie „Verschwör dich gegen dich“ bewegt sich der Kosmos einer Band, die eine durchaus beachtenswerte Entwicklung von einer trashig-dilletantischen Antiband hin zu ernstgenommenen (auch in der Musik politischen) Musikern gemacht haben.

Wer Indieschrammelrock, leicht schräge, antimännliche Gesänge und auf den ersten Blick etwas angestrengt wirkende Lyrik schon immer ablehnte, wird auch mit diesem Album kein Freund der Hamburger. Wer allerdings schon immer ein offenes Ohr hatte für unangenehme Musik, die nicht nur als Hintergrundrauschen dienen soll, der wird vielleicht mit den endgültig in den (Un-)Tiefen des Rock angekommenen Tocotronic seine Freude haben…

Dienstag, 7. August 2007

Fragment


Tunnel

Wie so oft stand P. auch heute wieder vor dem Tor der ihm einst so vertrauten Fabrik. Dieser Schritt war mit der Zeit zum Ritual, einer Art Atavismus, einem heiligen Akt ohne erkennbaren Sinn, ohne Bezug zu seinem Dasein geworden. Aber was sollte das schon sein – sein Dasein? Ein verkümmerter Haufen Mist, ein nichtsnutziges, leeres Stück Wirklichkeit. Seine Bestimmung war das nicht, das wusste P. nur zu gut, und auch wenn er doch wusste, was zu tun wäre – nämlich Abschied zu nehmen, neue Schritte zu wagen, Kompromisse einzugehen, und letztlich neues Feuer zu spüren und zu verbreiten – so trat er doch täglich seine Schritte zur Fabrik an, verweilte vor dem Tor bis er ein bekanntes Gesicht erblickte und ertrug die mitleidigen, ignoranten, und ja, auch die hasserfüllten Blicke. P. hatte es sich in den Kopf gesetzt, und wenn P. sich etwas in den Kopf setzte, wurde es zu einer fixen Idee, die von jeder Faser seines Körpers Besitz ergriff, eine lebendige Mahnung, ein täglich verhallender Appell gegen diese Welt, gegen ihre Gesetze und deren Lauf. Er war nicht bereit, sich damit abzufinden, sich den Staub von den Schultern zu wischen und zu sagen: „Pf, ihr könnt mich alle mal.“ Nein, er war aus anderem Holz, er war bereit, es allen zeigen. Der ganzen verkommenen Welt wollte er sein Denkmal entgegenstellen und sagen: „Wenn die ganze Welt vor die Hunde geht, ich nicht.“ Auch wenn er sich der Ausweglosigkeit, der Torheit und nicht zuletzt der unbeirrbaren Sturheit seines Ansinnens bewusst war, so konnte er nicht anders, jeden morgen aufs Neue trieb es ihn vor die Fabrik, und sollten die Umstände noch so widrig sein.

Doch heute sollte alles anders kommen, sollten die Fundamente seiner Rebellion in sich zusammenbrechen, die Koordinaten seiner Werte verschwinden, die ganze Fragwürdigkeit seiner Existenz wie in einem epochalen Paukenschlag über ihn hereinbrechen. P. war ein Kleingeist, keine Frage, einer aber, der sich nicht damit zufrieden gibt, der ausbrechen will, der seine eigenen Grenzen nicht akzeptieren kann, und gerade weil er sich seiner Grenzen bewusst ist, beharrlich daran arbeitet, diese zu verdrängen und sein Verlangen damit nur noch verstärkt. Schon als kleiner Junge war es ihm unmöglich, in Systemen zu denken, er wollte immer alles, immer mehr und bekam am Schluss zumeist nichts. Respektlos, ungezogen und vorlaut werden solche Kinder zumeist genannt, man pflegt sie mit erzieherischen Maßnahmen zu formen und ihrerseits wieder in Kategorien zu erfassen, so wie es das betuliche, geregelte Dasein eines selbständigen Erwachsenen erfordert, schließlich soll ja alles seinen Gang gehen und wenn man sich nicht auf solche „Selbstverständlichkeiten“ verlassen kann, wo käme man denn da nur hin? Selbstverständlich ist das nur Verdrängung, abgeschobene Fragen, die das eigene Scheitern nur oberflächlich, aber letztlich doch ausreichend kaschieren. Und je stärker das eigene Versagen, desto härter die Reaktion auf die kindliche Rebellion, den unendlichen Wissensdrang, der den gesellschaftlichen Rahmen bei weitem zu sprengen droht. So musste auch P. sehr schnell die Konsequenzen seiner Ehrlichkeit und Beharrlichkeit spüren, die ihm zeitlebens Anerkennung und Respekt verwehrten.

Er war ein ewiger Querulant, den höchstens zu tolerieren, zu ertragen, aber den zu lieben fast unmöglich war. Und so geriet P. in intensiven, tief schürfenden Konflikt mit der Welt, ihren Regeln, ihren Hütern, ihren Lügen und nicht zuletzt ihrer Heuchlerei. Die von ihm gesammelten Erfahrungen bleiben den meisten verwehrt, sie pflegen gegenüber jenen Subjekten, die Normen übertreten ein abschätziges, oberflächliches Bedauern zu empfinden, und sollten sie sich trotz der zahlreichen gut gemeinten Versuche der Wiedereingliederung immer noch sträuben, so schlägt das Bedauern in Ablehnung und Verachtung um, in einen Ruf nach Ordnung und Disziplin, der zu hitzigen Debatten über den verkommenen Zustand der Gesellschaft führen kann und sich letztlich völlig von der Ursache emanzipiert, und in keinerlei Beziehung mehr steht zu den Übeltätern, deren Motivation und deren Kritik. Schnell sind dann symbolische Schritte bei der Hand, der Mob beruhigt sich wieder und geht seinen alltäglichen Geschäften nach, die Ruhe kehrt wieder ein und die Probleme scheinen vergessen. Aber weshalb Probleme? Und wer ist überhaupt das Problem? Und ist es nicht das Beste, wenn jeder möglichst seinen eigenen Weg geht, möglichst ruhig. So musste auch P. die Erfahrung machen, nicht gewollt, nicht geliebt und nur ungern gehört zu werden. Er kämpfte sich durch, wacker, aber verbittert, mit jedem Lebensjahr schwoll die Wut in ihm mehr und mehr an zu einer Übelkeit, einem Gefühl des Ekels gegenüber der Menschheit, die ihn jedoch nur noch mehr bestärkte in seinem Tun, die ihn mit noch deutlicherer Entschlossenheit dem ganzen Elend gegenübertreten ließ. Doch wie bei vielen verbitterten Menschen verlor auch P. das Gespür für den Augenblick, er erblickte mit der Zeit in allem ein Hindernis, eine Schranke, einen Zaun, ein Verbot, eine Ablehnung, wurde böse, gehässig und brutal, so dass es ihm mit den Jahren gänzlich unmöglich wurde, das Gute zu erblicken, auch wenn es mit einer Deutlichkeit vor ihm stand oder lag, die nur ein Narr übersehen konnte. Und als solchen betrachteten ihn die Menschen, er wurde geschnitten, beschimpft, verachtet – und mit jeder Beleidigung wuchs die Gewissheit in ihm, in dieser Welt nur alleine überstehen zu können, nur in sich selbst Bestätigung und Wahrheit zu finden, und wurde stärker. (Zu stark, wie sich herausstellen sollte.)

Es war gegen zehn Uhr, P. war gerade dabei, aufzubrechen und seine tägliche Mahnwache zu beenden, da machte er eine folgenschwere Entdeckung. Er war gerade dabei seine Sachen zu packen, nahm seine Zigarettenschachtel aus der Jackentasche und stöberte hastig nach Streichhölzern, um festzustellen, dass die letzte Schachtel wohl noch zuhause liegen müsse, und war somit gezwungen, entweder auf das Rauchen zu verzichten oder jemanden höflichst nach Feuer zu fragen. Nun, da zu dieser Zeit niemand unterwegs war, da entweder am arbeiten (schließlich war er ja in einem Industriegebiet), an irgendeinem gottverlassenen Ort das erste oder zweite Bier kippend (schließlich gilt es ja den Pegel zu halten), frustriert in den eigenen vier Wänden, in irgendeinem verlassenen Heim, den Todesatem auf der Brust, in einer Bildungsanstalt ertrinkend vor lauter hohlem Gefasel oder wo auch immer sich um diese Uhrzeit der Saft aus dem Leben saugen lässt, musste er sich wohl oder übel damit anfreunden, den Tabak wieder einzustecken und zu warten, was auf seine Laune nicht gerade positive Auswirkungen hatte. Mit einem flauen Gefühl im Magen, das sich einem sich ankündigen Nieser gleich zu einer den ganzen Organismus ergreifenden Übelkeit steigerte, machte er sich also auf seinen Weg, ziellos und dennoch zielstrebig durch die verschmutzten Passagen seiner hässlichen Heimatstadt, als in einem Augenblick geistiger Umnachtung plötzlich eine auf den ersten Blick unscheinbare Gestalt direkt vor sein Gesicht trat, einen Zusammenstoß gerade noch abwendend. Gerade als P. zu einem cholerischen Ausbruch ansetzen und die ganze Ungerechtigkeit der Welt auf diesen Unbekannten entladen wollte, raffte ihn die Präsenz dieses, wie er nun feststellen konnte, ältlichen heruntergekommenen Herrn hinweg und ließ ihn augenblicklich erstarren und erschaudern. Er konnte nur noch die gestammelte Entschuldigung des kleinwüchsigen Greises vernehmen, als ihn eine verspätete Erkenntnis unweigerlich zusammenbrechen ließ…

Tunnel, Licht, Tunnel, Licht, Leere, Durst, Schmerzen, wo bin ich? Und woher kommen die Blitze? Wer bin ich? Woher kommt dieses Licht? Tunnel, Licht, Tunnel, Licht, Leere, nichts. Ein Blick in die traurigen leeren Augen des Greises offenbarte ihm augenblicklich die Leere seiner eigenen Existenz, seinen besinnungslosen Eifer, seine Torheit gegenüber der Welt, seinen Irrglauben und die Nichtigkeit seines Tuns. Über all dem Hass hatte er vergessen zu leben, zu lernen und zu lieben. Nun war er selbst alt geworden, ohne Ziel, ohne Halt, voller Groll gegen die Anderen - doch letztendlich nur gegen sich selbst, sein Leben ein einziger Scherbenhaufen. Und nun?

(2005)

Merkel und die Logik der Ökonomie

Volker Pispers mit einem schon etwas älterem Auftritt zum Amtsantritt unserer allseits beliebten Kanzlerin - mit einigen Abstrichen heute noch treffend.

Freitag, 3. August 2007

High Fidelity Teil 2: Bob Dylan




Heute: meine momentanen Lieblingsalben von His Bobness 

10. John Wesley Harding (1968): Im berüchtigten Jahr der internationalen Stundentenrevolten hatte sich Dylan längst von seinem Protestfolkimage verabschiedet, aber auch den Folkrock hinter sich gelassen, um sich nach Nashville zu verkriechen und in sagenhaften zwölf Stunden ein Album von makelloser Schlichtigkeit zu produzieren, das seltsam unzeitgeistige Folk/Countrymusik mit archaischen Texten vereint, vgl. All along the watchtower

9. Desire (1976): Dylans letztes gutes Album vor seiner religiösen Erweckung und der darauf folgenden kommerziellen Verbrämung Mitte der Achtziger Jahre. In Folge der legendären Rolling Thunder Review entstanden, wird Dylan hier so explizit und persönlich wie selten und dabei konterkariert von einer mystischen Musik, begleitet von der Geigerin Scarlet Rivera und der Sängerin Emmylou Harris. Mit "Hurricane" schrieb er nebenbei sein erstes und wichtigstes politisches Lied seit langem, das mit dazu beitrug, das rassistische Justizurteil gegen Rubin Carter zu widerrufen, vgl. Isis

8. Love and theft (2001): “Bringing it all back home” möchte man fast sagen. Nach knapp vierzig Jahren kehrt Bob noch mal dahin zurück, wo er einst begann, greift tief ins all american songbook. Hier wird der Diebstahl zur Kunstform, das Album zum einzigen Zitat (v.a. obskurer Schellackplatten der 20er und 30er Jahre) und zugleich durch und durch Dylan. Hier treffen Swing, Bluegrass, Garagen-Rock, Gospel und viel Delta-Blues auf eine gebrochene, durch Aufrauung mit ironisierter Geschmeidigkeit gesegnete Stimme, vgl. High water (for Charlie Patton)

7. The freewheelin Bob Dylan (1963): Das zweite Album und schon ein Meisterwerk – hier wurde eine Legende geboren und Erwartungen geweckt, die schon bald mit erstaunlicher Konsequenz enttäuscht wurden. Ein Album voll schöner, gezupfter Folksongs zwischen Protest und Liebe, vgl. Girl from the north country

6. The times they are a-changin (1964): Sein mit Abstand politischstes Album – vom ätzenden “With god on their side”, über „The lonesome death of Hattie Carrol”, eine Ballade über die rassistische US-Justiz, bis zum legendären Titelsong war Dylan nie näher am Zeitgeist und lieferte den Soundtrack zur Bürgerrechtsbewegung. 

5. Blood on the tracks (1974): ein Manifest des Schmerzes und für viele sein intensivstes Album. Von einer Beziehungskrise angetrieben singt er hypnotisch, wortgewaltig und ergreifend wie lange nicht mehr – mit kleinen Abstrichen bei der musikalischen Umsetzung, die mir einen Tick zu monoton geraten ist, vgl. Tangled up in blue

4. Bringing it all back home (1965): Mit diesem Album wurde Dylan zum Judas für seine Fans, die ihn fortan auf Konzerten auspfiffen und beschimpften. Spätestens hiermit begann Dylans Exodus aus den Erwartungen und der wohligen Watte des Ruhms. Die Kompromisslosigkeit und der Bruch von Erwartungshaltungen sollten fortan zu einem seiner Markenzeichen werden, vgl. Subterranean Homesick Blues

3. Highway 61 revisited (1965): Die konsequente Fortführung von “Bringing it all back home” und lyrisch eines seiner stärksten Werke. Ein Album, das mit “Like a rolling stone” anfängt und mit “Desolation row” endet und den konsequenten Höhepunkt seiner Folkrockphase darstellt.

2. Blonde on blonde (1966): das erste Doppelalbum der Musikgeschichte und mit Sicherheit eines der besten. Die Fäden, mit den beiden vorherigen Alben sorgsam gesponnen, werden hier schon brüchig, sind aber noch einmal zu einem famosen Gemälde vereint, das in der knapp 20minütigen Ballade „Sad eyed lady of the low lands“ seinen Abschluss und zugleich Höhepunkt finden sollte.

1. Time out of mind (1997): Mitte der 90er Jahre war Mr. Zimmerman’s Krise endgültig bewältigt und der Weg frei für eines der schmerzhaftesten und intensivsten Alterswerke der Musikgeschichte. Düster und schwer, aber nicht ohne eine gewisse Ironie, von einer düster bis hoffnungslos bluesig aufspielenden Band begleitet, singt er über Lebens- und Liebesenttäuschung, Altersleiden und Todessehnsucht, Kälte, Einsamkeit und Angst vor dem Wahnsinn bis hin zur Selbstzerstörung. „I tried to love and protect you because I cared / I'm gonna remember forever the joy we've shared / but looking at you and I'm on my bended knee / you have no idea what you do to me /I'm 20 miles out of town Cold Irons bound



Context 3


Die aktuelle Context steht inzwischen mit allen Texten auf der Homepage, diesmal u.a. mit Artikeln zu Simbabwe, transnationalem Terrorismus, Russland und einem kleinen Artikel von mir über die neue, alte, alte neue LINKE. Da sich Context als Plattform versteht, steht es auch prinzipiell jedem offen, Artikel zu veröffentlichen. Aller Voraussicht nach wird es in der nächsten Ausgabe neben der üblichen bunten Mischung an Themen zum ersten Mal ein Schwerpunktthema geben: die Zukunft des Kosovo soll beleuchtet werden. Gerade da wir eine Verbreitung über Passau hinaus anstreben würden wir uns neben guten Artikeln (Formalia sind auf der Homeplage zu finden) auch über Menschen freuen, die sich dazu bereit erklären, sie an anderen Hochschulen und in anderen Städten der Republik zu verkaufen. Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe ist der 10. Oktober.