Dienstag, 24. September 2019

Ist die SPEX noch relevant?

Knapp ein Jahr ist es nun her, dass die Spex ihr Ende als Printmagazin erklärte. Eine Ende, das wohl unvermeidlich war. Denn der bezahlte Musikjournalismus steckt in Zeiten von Spotify und sozialen Medien in einer tiefen Krise. Musiker benötigen heutzutage keine Vermittler mehr, um ihre Zielgruppe anzusprechen.

Schleichender Bedeutungsverlust

Die allermeisten Hörer haben dank des Internets und der Streamingplattformen ohnehin kein Bedürfnis mehr nach Expertenratschlägen. Musik ist ein ubiquitäres Gut geworden, der Zugang ist so leicht wie nie. Die Rolle des Türoffners im Grunde nicht mehr notwendig. Zumindest nicht in Form einer Musikzeitschrift. Diese Aufgabe haben zum Teil die Feuilletons übernommen.

Und Popkultur, ein Begriff über das sich die Spex wie kein zweites Magazin definierte, schon seit geraumer Zeit nur noch bedingt ein Mittel zur Distinktion.

Weitergemacht haben einige der Redakteure dennoch. Seit Januar gibt es die Zeitschrift ausschließlich als Online-Plattform, auf der die meisten Artikel nur für Abonnenten verfügbar sind. Doch funktioniert das? Und ist das, was dort gemacht wird, überhaupt noch relevant? Zeit für eine Zwischenbilanz.

Neoliberale Apps und Zeitgenössisches aus der VRC


Auch als Online-Magazin richtet sich Spex an ein intellektuelles Publikum, mischt neben die Musik Beiträge zu Politik, Ästhetik, Literatur und Film. Es gibt ein Album der Woche, die „Musik zur Zeit“ und Tournee-Präsentationen.

 Vieles davon ist durchaus lesenswert: Wenn etwa Christoph Benkeser die Musik-App "Endel", die endlos personalisierte Sounds kreiert, zum "perfekten neoliberalen Gerät" erklärt, Christoph Kammenhuber den Freiheitskampf des Rappers Meek Mill mit dem der Schwarzen in den USA insgesamt verknüpft. Oder Kristoffer Cornils in seiner Kolumne kaum beachtete zeitgenössische Musik aus der Volksrepublik China präsentiert.


Typisch Spex eben. Und doch fehlt da etwas. Denn diese Zeitschrift war auch immer auch selbst ein popkulturelles Gesamtprodukt. Das Magazin mit seinen grafischen Experimenten. Die Themenschwerpunkten gewidmeten Ausgaben. Jene langen Reportagen, die zuletzt unter der Rubrik Perspektive liefen. Die oft doch recht speziellen Fotos - und eine CD als Beilage, die den Titel "Musik zur Zeit" zurecht trug. Von den vielen Plattenkritiken ganz zu schweigen.

Nüchterne Blog-Ästhetik

All das kein ein Online-Magazin in der nüchternen Form, wie sich die Spex momentan präsentiert, nicht liefern. Und leider überhaupt nicht die in Blog-Ästhetik konzipierte App. Diese glänzt dann auch eher durch ein technisches Problem: Selbst wer als Abonnent eingeloggt ist, kann bisweilen Artikel nicht lesen und muss sich erst wieder ab- und dann anmelden (ein Vorgang, der nach einem Dutzend Mal ziemlich nervt und leider auch auf der Homepage ein Problem ist).

Leider gibt es auch keine Integration der per Soundcloud zusammengestellten "Musik zur Zeit", der seit Januar angekündigte Spex-Podcast lässt auch auf sich warten. Immerhin: die Ausgaben im Archiv lassen sich inzwischen recht flüssig lesen. Kurzum: Da ist noch eine Menge Luft nach oben. Allzu viele dürften es jedenfalls nicht sein, die dafür 24 Euro pro Jahr zu zahlen bereit sind.

Ist die Spex heute also noch relevant? Wenn überhaupt, dann für eine Nische. Doch die wird im Internet mit einem Angebot wie diesem nicht unbedingt größer.

Samstag, 21. September 2019

Wir lieben, was wir nicht kriegen


Mehrfamilienhäuser und Bäume, das Daimlerwerk und eine Erdgasanlage in Schwarz-Weiß - damit präsentiert sich die EP "Jod und Tenside" auf dem Cover. Es ist der Blick von der Wangener Höhe. Keiner, den angesichts der Industrie- und Betonästhetik Touristen aufsuchen würden. Einer aber, der die Band "Lenin Riefenstahl" klar verortet: in Stuttgart nämlich. Jener Stadt also, die zuletzt mit einer Reihe interessanter Bands (wie Die Nerven oder Human Abfall) auf sich aufmerksam gemacht hat. Und ihr damit auch ein Stück weit einen musikalischen Stempel aufdrückt: Dass es hier eher düster, melancholisch, gar punkig zugeht, ist durch dieses Foto gesetzt.

Entgrenzung und Reduktion

Doch teilen sich Lenin Riefenstahl* kaum mehr als das Studio mit den Nerven (das Mastering übernahm Ralv Milberg). Die musikalische Vision ist eine ganz andere. Statt programmatischer Distanz und Reduktion setzt das neue Projekt des Songwriters und Hörspiel-Autors Christian Rottler vielmehr auf Entgrenzung.

Und so gibt es ein Wipers-mäßiges Punk-Stück über einen Morphiumtod inklusive Spoken-Word-Teil mit einer Länge von sechs Minuten ("Stumme Apotheker"). Eine traurige Ballade über die letzten, quälenden Minuten vor einer unvermeidlichen Trennung ("Kurz und schmerzlos"), musikalisch inszeniert als fast schon heiter-lakonisches Stück.

Oder das melancholisch-intim arrangierte und titelgebende "Chlor, Jod und Tenside" - eine Art Hohelied auf das Scheitern. In dem Sechs-Minuten-Stück heißt es: "Wir lieben Intrigen / das Leben besteht aus Rückfällen / und wir leben intensiv / und wir lieben / was wir nicht kriegen / diesmal war dein Misstrauen durchaus konstruktiv". 

Kompakt und schnörkellos

Trotz stellenweiser Überlängen hinterlässt die sechs Songs umfassende EP insgesamt einen kompakten Eindruck ohne Aussetzer. Musikalisch verzichtet das Trio auf unnötige Ausschmückungen, stellt vielmehr die Stärken des Konzepts Gitarre-Bass-Schlagzeug-Gesang (auf Platte an der Gitarre stellenweise unterstützt durch Sad Sir von End of Green) heraus und spielt schnörkellose Rocksongs mit leichten Punk-Einschlägen. Drummer Mathias Menner und Bassist Marc Eggert, der die Platte auch produzierte, ist es zu verdanken, dass die EP an keiner Stelle in Rockismen kippt.

Mit "Jod und Tenside" schlägt Christian Rottler ein neues musikalisches Kapitel auf. Bei den Texten indes bleibt er sich (bis auf "Stumme Apotheker" mit seinem fast schon klassischen Storytelling) treu: Sie sind schonungslos offen und zugleich rätselhaft, stecken voller literarischer Anspielungen und bleiben damit in viele Richtungen anschlussfähig. Massentauglich ist das nach wie vor nicht. Einen angemessenen Platz in der Nische hätte er damit aber allemal verdient.

Die EP "Jod und Tenside" erscheint am 11. Oktober bei Rotte.

* Ein politisches Projekt ist mit dem Bandname übrigens nicht verbunden). Die drei Stuttgarter haben sich, so schreiben sie "aus Gründen der Phonetik und der geballten Tragik" für ihn entschieden.

Donnerstag, 19. September 2019

Dienstag, 17. September 2019

Der Dichter

Den Frieden kann das Wollen nicht bereiten:
Wer alles will, will sich vor allen mächtig;
Indem er siegt, lehr er die andern streiten,
Bedenkend macht er seinen Feind bedächtig;
So wachsen Kraft und List nach allen Seiten,
Der Weltkreis ruht von Ungeheuern trächtig,
Und der Geburten zahlenlose Plage
Droht jeden Tag als mit dem jüngsten Tage.

Der Dichter sucht das Schicksal zu entbinden,
Das, wogenhaft und schrecklich ungestaltet,
Nicht Maß, noch Ziel, noch Richte weiß zu finden
Und brausend webt, zerstört und knirschend waltet.
Da faßt die Kunst in liebendem Entzünden,
Der Masse Wuszt, die ist sogleich entfaltet,
Durch Mitverdienst gemeinsamen Erregens,
Gesang und Rede, sinnigen Bewegens.

(Johann Wolfgang von Goethe)

Montag, 16. September 2019

High Fidelity No. 11: Fünf Platten

1. Makaya McCraven: Universal beings (2018)


Vier Städte, vier Bands, vier Auftritte mit improvisiertem Material - im Nachhinein durch Loops verdichtet zu einer Aufnahme, die wie aus einem Guss wirkt. Der in Frankreich geborene und in den USA aufgewachsene Schlagzeuger McCraven nennt das, was er macht treffend "Organic Beat Music". Und so entsteht aus den Gigs in Chicago, L.A., New York und London ein Album zwischen Hip Hop und frei improvisiertem Jazz, das frisch und sehr zeitgemäß klingt.

2. Die Goldenen Zitronen - Mord than a feeling  (2019)


Den Pop für sich entdeckt haben die Hamburger Avantgarde-Punks auf ihrem neusten Album. Was ihnen nicht schlecht steht - für Hörer, die nicht mit dem Werk der Band vertraut sind, klingt die Platte indes immer noch recht sperrig. Besonders gelungen: "Die alte Kaufmannsstadt", in der das Drama um die G20-Proteste als musikalisches Hörspiel inszeniert wird.

3. Die Türen - Exoterik (2019)

Krautrock - vor allem in der repetetiv-reduzierten Linie von Neu! - ist der klare Bezugspunkt dieses bisher besten Albums von "Die Türen". Entstanden in einer Session auf dem Lande, zurückgezogen von den Einflüssen der Zeit, gelang ihnen ein Werk, das zugleich opulent wie reduziert ist. Songs mit wenigen Textzeilen, aber vielen Minuten, die Dinge auf den Punkt bringen.

4. Tool - Fear Inoluculum (2019)

13 Jahre hat es gedauert, bis die Band um James Maynard Keenan den Nachfolger von "10 000 Days" auf den Markt brachte. Bemerkenswert an der Musik ist vor allem, wie wenig sie mit der Zeit gegangen ist. Zu hören gibt es klassisches, eher mittelschnelles Material mit wenig Gesang. Für Kenner der Band mag das alles bereits bekannt sein, hörenswert ist es dennoch. Etwas Zeit sollte man als Hörer aber schon mitbringen angesichts der Überlänge von etwa 80 Minuten.

5. Shabaka and the ancestors - Wisdom of elders (2016)

In nur einer Nacht und ohne Nachbearbeitungen aufgenommen, ist "Wisdom of elders" Zeugnis der musikalischen Vielfalt des Tenor-Saxofonisten Shabaka Hutchings, geboren in London, aufgewachsen in Barbados. Die Platte changiert zwischen Blues, weißem Free Jazz, Spirituals, Calypso und afrikanischem Jazz. Musikalisch ist das in seiner Polyrhythmik teilweise recht fordernd. Doch wer sich für Pharoa Sanders erwärmen kann, dürfte auch an diesem Album seine Freude haben.

Die Rückkehr der deutschen Frage

Robert Kagan, Politikwissenschafter, Publizist und ehemaliger Berater des US-Außenministeriums schreibt in den Blättern über die mögliche Rückkehr der deutschen Frage.

Mit der "deutschen Frage" ist unter anderem jenes Problem der internationalen Politik gemeint, das 1871 mit der gewaltsamen Vereinigung Deutschlands unter Bismarck entstand. Damit war ein großer, bevölkerungsreicher Nationalstaat in der Mitte des Kontinents geschaffen, der mit seinem Expansionsdrang das Kräftegleichgewicht in Europa durcheinanderbrachte. In der Folge kam es zu zwei verheerenden Weltkriegen.

Das Problem schien mit der Westbindung der Bundesrepublik und der Gründung der Europäischen Union vorerst gelöst. Selbst die Wiedervereinigung schien die deutsche Frage zunächst nicht aufkommen zu lassen.

Doch die Bedingungen, unter denen Deutschland eingebunden wurde, sind zunehmend nicht mehr gegeben, sagt Kagan. Trump verabschiedet sich vom Multilateralismus, in der EU gibt es allenthalben illiberale Tendenzen. Das stärke auch in Berlin die Tendenzen zu einer nationalistischen und militärisch gestützten Politik. Doch damit drohe in Europa die Wiederkehr der zerstörerischen Nationenkonkurrenz, befürchtet der US-Amerikaner Kagan.

Pause

In der Welt da draußen lärmt und tobt und schreibt es. Doch an dieser Stelle ist zuletzt nicht viel passiert. Das hat mehrere Gründe.

Es fehlte, erstens, schlicht die Zeit. Denn auch im Leben des Zeittotschlägers lärmt und tobt und schreit es.

Zweitens musste sich der Zeitttotschläger über vieles zunächst selbst einen klaren Kopf verschaffen (was nur bedingt gelang). In dieser Zeit behaupten allzu viele über sich, zumal im Internet, dass sie Dinge durchschaut, Rätsel gelöst und den Nebel durchdrungen hätten. Während der Zeittotschläger sich zuweilen gern in den Nebeln verliert.

Auch weil, drittens, vor lauter Vita activa, zu wenig Zeit blieb für Vita contemplativa.

Und fünftens stellte sich die Frage: Ist ein solch anachronistisches Projekt wirklich noch zeitgemäß?

Doch: Den Zeittotschläger schert das Zeitgemäße nicht, er hat bisweilen Freude an Anachronismen - und demnächst vielleicht auch wieder etwas mehr Zeit zur Kontemplation.