Sonntag, 31. Juli 2016

Ilija Trojanow und die versteckte Poesie des Sports



Dopingaffären, Leistungsdruck und die Sucht nach Rekorden haben dem Sport seine Schönheit genommen. Ilija Trojanow hat vier Jahre intensiven Sports hinter sich, und über diese Strapazen ein Buch geschrieben. Er findet, ein Sprichwort der Lakota zitierend: „Wer dreimal hintereinander gewinnt, ist ein schlechter Mensch.“ 

Der olympische Gedanke sei dem Kult des Siegens zum Opfer gefallen, meint Trojanow.  Als er im Fernsehen die Olympischen Spiele in London sah, habe er das Gefühl gehabt, das Wesentliche des jeweiligen Sports zu verpassen. Er beschloss, die Rolle des passiven Zuschauers zu verlassen und setzte sich das Ziel innerhalb von vier Jahren mindestens halb so gut zu sein wie der olympische Sieger der jeweiligen Disziplin.

In den folgenden vier Jahren wird der Schriftsteller vom Voyeur zum sich selbst beobachtenden Akteur, stürzt sich euphorisch in achtzig olympische Disziplinen und erlebt dabei Momente der Selbstüberwindung und der Selbsterkenntnis. Trojanow lässt sich während seiner eigenen Olympiade in der Halbwelt Brooklyns durch den Ring prügeln, reist zum Judo-Training nach Japan, zieht im Londoner Velodrom rasante Bahnrad-Bahnen und läuft Langstrecke im Hochland von Kenia.

Aus dem anmaßenden Vorhaben ist schließlich ein äußerst amüsantes Buch geworden: „Meine Olympiade“. Doch warum tut sich ein Schriftsteller so was an? „Ich finde nur das im Leben interessant, bei dem ich nicht weiß, ob ich es schaffe“, erklärte Trojanow unlängst bei einer Lesung im Literaturhaus Stuttgart. 

Schwitzende Männerkörper

Dabei erzählte er auch begeistert von seiner vielleicht schönsten Erfahrung auf dem Parforceritt durch die olympischen Disziplinen: dem Ringen im Iran. Wenn schwitzende Männerkörper sich in inniger Umarmung befinden, zieht das dort Massen in die Stadien. Ringen ist Volksport in der Islamischen
Republik. Die Jahrtausende alte Disziplin wirkt grobschlächtig. „Doch zwischen den Ringern kommt es zu einer fast zärtlichen Verbrüderung.“ Eine überraschende Erkenntnis, die Trojanow überkommt,
als er – Schulter an Schulter, Kopf an Kopf – in einem Teheraner Innenhof mit seinem Gegenüber ringt. Dabei war das doch sein größtes Bedenken: ob er die schwitzige Nähe eines Fremden überhaupt ertragen könne.

Respektvoll nähert sich Trojanow auch den anderen Disziplinen und ihren Protagonisten. Dabei gelingt es ihm, Herausforderung und Faszination der jeweiligen Sportart herauszuarbeiten. Bei aller Verschiedenheit entdeckt er aber auch das Gemeinsame: Menschen, die im Sport mehr sehen als nur die profane körperliche Ertüchtigung. Für die der Sport Lebenssinn ist und die ihn vielmehr als Wissenschaft, als Kunst, gar als Religion betrachten. 

Auch das Schreiben habe einen sportlichen Aspekt, erklärte Trojanow. Jeder Satz sei aufs Neue ein Ringen mit sich selbst. Doch während der Sportler die meiste Zeit des Jahres für Wettkämpfe nurtrainiere, befinde sich der Schriftsteller jeden Tag im Wettkampfmodus um die passenden Wörter.

Traumatisches Turnen

Entsprechend offen thematisiert Trojanow auch sein größtes olympisches Scheitern: Beim Turnen sei es ihm partout nicht gelungen, sein deutsches Kindheitstrauma zu überwinden. In seinem Buch ist dies eines der kürzesten Kapitel. Der sprachbegabte Trojanow schreibt: „Wenn ich mir vorstelle, Turnen wäre die lingua franca der Bundesrepublik, schlüpfe ich in die Haut eines sprachohnmächtigen Fremden.“ 

Trojanow verschweigt aber auch nicht seine Erfolge: die verzweifelte Selbstüberwindung beim Bahnradfahren, in das er am Ende gänzlich versinkt, das Freiheitsgefühl beim Trampolinspringen oder das Glücksgefühl der völligen Erschöpfung beim Langstreckenlauf. Und so Ilija Trojanow mit seinem olympischen Buch gleich zweierlei: Er weckt die Lust am Sport – und gibt ihm zugleich ein Stück jener Poesie zurück, die durch den erbarmungslosen Leistungssport verloren ging.

Ilija Trojanow: Meine Olympiade – ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen. S. Fischer, Frankfurt. 335 Seiten, 22 Euro.

(Eine andere Version dieses Textes ist bereits am 18. Juni in der Stuttgarter Zeitung erschienen)