Mittwoch, 31. August 2016

Mixtape No. 10: A quick one


1. Radiohead - Burn the witch (2016)
2. Pixies - The Happening (1990)
3. Steve Gunn - Ancient Jules (2016)
4. The Who - A Quick One (While He's Away) (1969)
5. The Kinks - Rainy Day In June (1966)
6. Georges Moustaki - Voyage (1969)
7. Talk Talk - I Believe in You (1988)
8. Talkin Heads - A clean break (1982)
9. Richard & Linda Thompson - Shoot out the lights (1982)
10. Motorpsycho - The other fool (2000)
11. Can - Vitamin C (1972)

und hier gibt es das gesamte Mixtape als Youtube-Playlist.


Wenn der Schrecken daheim zur Flucht nach Europa treibt



Patrick Kingsley führt in seiner Reportage "Die neue Odyssee" eindrucksvoll vor Augen, dass die Menschen nicht zu stoppen sind.

Gleich zwei Meere, heißt es, umgeben Libyen: die Sahara und das Mittelmeer. Und in beiden lauert der Tod. Seitdem die Balkanroute versperrt ist, kommen wieder mehr Menschen auf der Flucht nach Europa über das kriegsgebeutelte Land. Weshalb sie diesen gefährlichen Weg auf sich nehmen, erzählt Patrick Kingsley in seinem Buch „Die neue Odyssee“. Es ist eine der bisher umfassendsten Reportagen zur Flüchtlingskrise.

Kingsley ist viel gereist für seine Recherche. Ermöglicht hat ihm das seine außergewöhnliche Position als Migrationskorrespondent beim „Guardian“. Bevor die Flüchtlingskrise im Herbst 2015 ihren Höhepunkt erreichte, schuf die britische Tageszeitung diese Stelle. 17 Länder auf drei Kontinenten hat der britische Journalist besucht und trifft dabei libysche Schlepper, die zu reichen Männern wurden, verzweifelte Mütter, die auf ihrem Weg nach Europa den Tod nicht scheuen und Helfer, die sie aus den überfüllten Booten im Mittelmeer retten. Der 27-Jährige begleitet Flüchtlinge auf der gerade entstehenden Balkanroute, dokumentiert die dramatischen Veränderungen im Herbst 2015 und die überhastete Reaktion der Europäer.

Krieg, Folter und Flucht

Vor allem aber schreibt Kingsley über den 40-jährigen Syrer Haschem al Souki. Seine Geschichte steht exemplarisch für das Schicksal vieler Flüchtlinge. Bevor die Bomben auf seine Heimat fallen, führt al Souki mit seiner Frau und seinen drei Kindern ein normales bürgerliches Leben. Die Familie hat ein Haus und er eine gute Arbeit beim Wasserverband, wo er Rechnungen für die Bewohner von Damaskus erstellt. Doch als der Krieg beginnt bricht seine Existenz zusammen. Grundlos bringen ihn Assads Schergen hinter Gittern. Dort wird al Souki gefoltert und kommt erst nach Monaten wieder frei. Doch der Krieg rückt immer näher an die Hauptstadt und zerstört schließlich das Haus der Familie.

Das ist der Beginn einer dreijährigen Odyssee, die ihn und seine Familie zunächst nach Ägypten führt, wo sie am Rande der Gesellschaft leben. Als dort die Situation für Syrer zunehmend gefährlich und prekär wird, entscheidet er sich für die riskante und teure Fahrt übers Mittelmeer. Immer wieder scheitert der Versuch. Nur durch einen glücklichen Zufall entgeht er dabei einem schlimmen Schiffsunglück und schafft es nach vielen Anläufen tatsächlich – wenn auch zunächst ohne Familie – in sein Sehnsuchtsziel Schweden. Kingsley begleitet ihn auf seiner Flucht quer durch Europa.

Illusionen der europäischen Politik

Der britische Journalist verwebt die Geschichte von Haschem al Souki mit den Berichten aus Nordafrika, dem Nahen Osten und der Balkanroute zu einer großen Reportage. Empathisch reflektiert Kingsley die Situation der Flüchtenden – und macht dabei Illusionen der europäischen Politik sichtbar: Die Schlepper mögen den Profit im Blick haben, doch für viele Menschen sind sie der einzige Weg nach Europa. Repressive Maßnahmen werden sie nicht aufhalten. Auch die Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort wird keine schnelle Lösung bringen. Wenn sich die Länder entwickeln, werden zunächst mehr Flüchtlinge nach Europa kommen. Weil sie es sich dann leisten können. Und ihre Not letztlich immer noch stärker ist als unsere Abschreckung. Wer sein Leben aufs Spiel setzt, hat nichts mehr zu verlieren. Wir können daher nur zwischen geordneter oder chaotischer Einwanderung wählen. Verhindern lässt sie sich nicht.

Kingsley, Patrick: Die neue Odyssee, C.H. Beck, 2016, 332 Seiten 

(Dieser Text ist am 26. August bereits in der Stuttgarter Zeitung erschienen)