Samstag, 27. Januar 2007

Tiempo de soleá

Die hierzulande noch relativ unbekannten Ojos de Brujo aus Barcelona mit einem ihrer eher ruhigeren, konventionelleren Songs, begleitet von einem sehr schön gezeichneten Video. An dieser Stelle demnächst mehr zu einer der grandiosesten spanischen Bands und ihrem einzigartigen Stilmix, irgendwo zwischen Flamenco und Hip Hop verortet. Für die des Spanischen mächtigen hier nochmal der Text zum mit- und/oder nachlesen:


Rodeá de tanta gente y yo me siento tan sola
Mi corazón es como una bomba pum pum!!! Una bomba
De relojería fina a punto de estallar
Extranjera y con papela caducá
No hay son ni guaguancó que me consuele
El tiempo es de soleá y a mi me duele
Voy por la calle y escuchando los quejíos
El futuro en cada esquina pende de un hilo
Y entre apretones de manos se juegan el destino
De la tierra y de los seres que en ella vivimos
No conocen el respeto, les sigue un oscuro sino
Con lo linda que es la vida!! En que la habéis convertío!!!
La situación tiene danger, mucho danger
Siempre prisa por llegar a ninguna parte
La situación tiene danger, mucho danger, mucho danger!!!
Por la calle balas perdías, ¡críos y crías van!
Equilibrio en la cuerda floja, ¡se me para la vida!
De ver tanto sufrimiento, de ver tanto delirio
A mi me quita el sentío, voy con el pecho partío
No hay son ni guaguancó que me consuele
El tiempo es de soleá y a mi me duele
Voy por la calle y escuchando los quejíos
El futuro en cada esquina pende de un hilo...
Detrás de las cuatro paredes por el callejón de atrás
Soleás y martinetes las cartas están marcás
Detrás de las cuatro paredes por el callejón de atrás
Tiros y tiros van!! Tiros y tiros van!! Van!!
Aquí un poquillo de jiphip flamenquillo
Pa toas las quillas, pa tós los quillos
Aquí un poquillo de jiphop flamenquillo
Pa que te metas por la vena cosa rica chica sí!!!

conText


All jenen, denen es aus welchen Gründen auch immer entgangen sein sollte, dass es uns gibt, allen, denen ich kein Exemplar in die Hand drücken konnte und allen, die uns bisher ignorierten sei hiermit nochmals ausdrücklich die Erstausgabe der wunderbaren Passauer politischen Zeitschrift conText ans Herz gelegt, die seit einigen Tagen nun endlich auch online verfügbar ist. Artikel gibt es zu den verschiedensten Themen: Nordkorea, dem Polenbild der Deutschen, dem mexikanischen Wahlchaos, der schleichenden rechten Hegemonie, bedenklichen Tendenzen im deutschen Hip Hop, u.v.m. Hier könnt ihr euch ein eigenes Bild machen...

Donnerstag, 25. Januar 2007

Engel des Universums














Island Ende der 60er Jahre. Der vielseitig talentierte Páll sprüht vor Ideen, er malt, musiziert, beschäftigt sich mit Philosophie, er hat große Pläne, das Leben hat scheinbar noch viel mit ihm vor. Doch leider ist er genau an jenem Tag geboren, als sein Land der NATO beitrat, was ihm noch zum Verhängnis werden sollte, denn „als Island in die NATO eingetreten ist, hat es seinen Wahnsinn in meinen Kopf abgewälzt.“. Zunächst jedoch scheint alles zum Guten zu streben: er verliebt sich in ein Mädchen, darf ihre Nähe spüren, fühlt sich verstanden, geht ganz in ihr auf. Doch er stammt aus dem falschen Milieu, die versnobten Eltern lehnen ihn ab – und nach und nach entfernt sich auch sein Mädel von ihm. Der leidenschaftliche Páll kommt damit nicht zurecht, er kämpft, doch mit jeden Schritt verstrickt er sich weiter hinein in einen Wahn, er bekommt rasende Kopfschmerzen. Er erkennt erst spät, dass sie aus seinem Herzen kommen. Zu spät, denn er hat sich schon zu weit entfernt von der Welt um ihn herum. Er kommt nach Kleppur, einer „Insel“ für scheinbar Wahnsinnige wie ihn. Doch ist er wirklich wahnsinnig, oder entspricht er einfach nur nicht mehr den erforderlichen Konventionen?

Was Ingvar E. Sigurdsson mit diesem kleinen, tragischen, zuweilen urkomischen Film provoziert, ist die Frage nach gesellschaftlichen Normen. Wo beginnt Verrücktheit? Wo liegt die Grenze zwischen Normalität und Wahnsinn? Und ist am Ende nicht die ganze Gesellschaft verrückt? Kleppur ist überall… Dieser kleine isländische Film basiert auf Einar Már Gudmundssons gleichnamigem Buch, in dem er den Leidensweg seines Bruders und Freundes Sigurdssons aus dessen posthumer Perspektive beschreibt. „Die Gesellschaft will den Wahnsinn auf der Welt nicht sehen und kämpft mit Gewalt dagegen an. Und ein Wahnsinniger, das ist ein Abbild der Welt, so wie sie ist: zerrissen, schizophren, ein chronisches Delirium.“ Sicher, Páll ist nicht normal, er passt nicht in die Welt, in der er lebt, er versucht ihr zu entfliehen – und möchte doch zugleich ein Teil von ihr sein. Den alltäglichen Wahnsinn verkörpert sein bester, ihm bis zum bitteren Ende treuer Freund Rögnvaldur, der als Arzt, treu sorgender Ehemann und Familienvater scheinbar perfekt angepasst und normal erscheint, unter dessen Oberfläche sich jedoch ähnliche Konflikte abspielen.

Dass es für Páll kein Happy End geben kann, ist selbstverständlich. Seine Gefährten in der „Heilanstalt“ schwanken wie er zwischen den Extremen. Der zuweilen sehr brutale und menschenverachtende Alltag in Kleppur lässt die einen zermürben, die anderen in sympathischer Weise ihren zwecklosen, aber richtigen Kampf gegen eben jenes System führen, in das sie so offensichtlich nicht zu passen scheinen. Dabei bedienen sie sich alle diversen Chiffren der „Normalen“. Denn die zentralen Figuren sind letztlich alle gescheitert an den eigenen Fähigkeiten, intelligente Menschen, aber unfähig, eingetretene Pfade zu begehen. Verrückt? Sicher. Aber krank? Das ist die entscheidende Frage: wie geht eine Gesellschaft mit Menschen um, die anders sind, die Konventionen übertreten? Wie dünn die zivilisatorische Decke ist, haben nicht zuletzt soziologische Experimente der Ethnometho- dologen bewiesen. Sie gehen davon aus, dass jene Strukturen, die wir erkennen immer auf eigene kulturelle Symbole bezogen werden, dass also ein objektiver Blick auf Dinge, die uns fremd erscheinen, nicht möglich ist. Was wir erkennen können, sind lediglich strukturelle Differenzen. Nur der Bruch von Selbstverständlichkeiten führt so zur bewussten Reflexion über jene kulturellen Deutungsmuster, die sowohl unbewusst auf individueller Ebene, als auch kollektiv verbindlich kulturprägend wirken.

Engel des Universums ist einer dieser viel zu oft übersehenen, sehr ruhigen, kleinen Meisterwerke. Ein poetischer Film, der nachdenklich machen sollte, der Grenzen auslotet, diese überschreitet, der schwankt, uneindeutig ist, der keine letztgültigen Antworten liefert. Die Entscheidung, ob der Protagonist nun krank ist oder nicht, bleibt im Endeffekt jedem Zuschauer selbst überlassen. Diese Ambivalenz unterscheidet ihn wohltuend von vielen anderen Filmen, die sich schon dieser Thematik widmeten. Meine Interpretation des Filmes ist keine zwangsläufige – ob das Scheitern Pálls nun unabwendbar ist, bleibt jedem selbst überlassen. Der Film ist es aber allemal wert, sich diese Frage zu stellen und zu einer subjektiven Antwort darauf zu gelangen. Und vielleicht liegt es ja auch letztlich an Island: „Du bist schizophren, aber das ist tief in unserer Kultur und in unserem Wesen verwurzelt. Dieser ganze Aberglaube, diese ganzen Fabelwesen, all die Elfen und all die Trolle – das ist Schizophrenie.“

Mittwoch, 24. Januar 2007

"Eine eigene Geschichte"

Heute früh war es in der Zeitung zu lesen: Blumfeld werden sich auflösen – der Kreis habe sich für sie geschlossen. Nach einer Abschiedstournee im April/Mai wird es keine Zukunft mehr geben für Distelmeyer & Co. Eine Institution der deutschen Rockmusik nimmt also ihren Hut. Nach sechzehn Jahren und sechs Alben scheint alles gesagt…


Werfen wir also einen kleinen Blick zurück: „Ein Lied mehr, das Dich festhält /und nicht da hin lässt, wo Du hin willst / weg von hier / das wiegt schwer, wie mein neues T-Shirt /auf dem was draufsteht / baut eine Mauer um mich herum /baut eine Mauer“. 1992 war es, als drei Herren aus Hamburg der deutschen Musik einen kräftigen Arschtritt verpassten, indem sie Dinge neu und anders formulierten. Die Musikpresse war schnell angetan von Ich-Maschine, denn der Sprechgesangs-Indie-Diskurs-Rock erschallte hinein ein trauriges Vakuum. Deutschsprachige Musik war wieder einmal an einem Tiefpunkt angelangt. Die Platte fiel auf fruchtbaren Boden und die Feuilletonisten und Intellektuelle hatten praktisch über Nacht eine neue Lieblingsband gefunden, an der sie sich nun abarbeiteten. Distelmeyers Texte waren direkt, aber dennoch voller Querverweise, Zitate, schlauer Sprüche, gar Humor. Und Politik: Was Blumfeld schrieben, waren nicht weniger als die besten deutschen politischen Songs seit Ton Steine Scherben. Erst Die Goldenen Zitronen sollten 1994 mit „Das bisschen Totschlag“ eine vergleichsweise eigene, wenn auch gänzlich andere politische Sprache finden.


Was die erste, rohe, etwas rumpelige Platte nur erahnen ließ, wurde 1994 mit L’Etat et Moi Gewissheit: hier sprach der Primus einer neuen Generation deutscher Musik: „Es hat uns niemand gefragt / wir hatten noch kein Gesicht / ob wir leben wollten oder lieber nicht / hin und her und hin und her gerissen / zwischen verstehen wollen handeln müssen / keine Liebe keine Arbeit kein Leben / an meinem Kissen schlag ich mir den Kopf auf / und wenn der Tag kommt bleibt es kleben / und der Staat ist kein Traum / sondern bleibt wie mein Kissen /ein mich gestaltender, die Fäden, die rissen / und Welt verwaltender Zustand / der sich durch mich und mich bewegt / durch Gedanken aus Stein aus Licht eine Mauer / eine Sonne a
us Eisen eine Sprache aus Trauer“. Schnell war die Rede von einer „Hamburger Schule“ – als Referenz an die Herkunft (Kolossale Jugend, ostzonensuppen- würfelmachenkrebs, Tocotronic, Die Sterne, etc. kamen ja alle aus der Hansestadt) und wegen der diskursiven Herangehensweise als Anspielung auf die „Frankfurter Schule“.

Während nun allerdings Tocotronic und Co. Mitte der Neunziger erst richtig loslegten und ihre wichtigsten Alben veröffentlichten, wurde es um Blumfeld ruhig. Statt Alben zu machen tourten sie lieber fleißig durchs Land. Die Bürde von L’Etat et Moi schien zu groß und die Band an einer Neuausrichtung ihrer Musik interessiert gewesen zu sein. 1999 dann der Schock: Tausend Tränen tief, das Video mit Helmut Berger, die Popsingle, das Liebeslied, Kitsch? Old Nobody, das dazugehörige Album war und ist bis heute der Spaltpilz im Bewusstsein der Hörer - ab hier scheiden sich die Geister. Denn da standen plötzlich echter, unverfälschter Pop und direkte, unzweideutige Texte neben dem üblichen Diskursrock, der aber in einer neuen Sanftheit à la Prefab Sprout daherkam. Nichtsdestotrotz sind einige der besten, tiefgründigsten Lieder gerade auf dieser Übergangsplatte zu finden – das zehnminütige „So lebe ich“ etwa: „Ein neuer Tag / kein neues Leben / ein freier Markt / bewegt die Welt / besetzt die Nischen / beherrscht die Sphären / regiert die Nacht / verteilt das Geld. / Ein Widerstand / mit anderen Mitteln / ein Wort, ein Weg / ein erster Schritt / in der Erwartung / durch dunkle Drittel / ein Traumbild kommt / und nimmt mich mit“. Nicht zu vergessen das fünfminütige, epische, das Album eröffnende Gedicht „Eines Tages“!

Was danach kam, war nicht mehr überraschend, sondern lediglich konsequente Fortsetzung
des eingeschlagenen Weges. Der Schwerpunkt verlagerte sich von verklausulierten, mit noisigem Indie-Gitarren-Geschrubbel unterlegten Referenzmonster wie „Sing Sing“, deren Entschlüsselung schon wissenschaftliche Arbeiten beschäftigte, zu direkten, klar verständlichen, Slogans und Liebesliedern, immer haarscharf an der Grenze zur Banalität. Auch und gerade in den Liebesliedern war nun die angestrebte Befreiung der Menschen wieder zu finden, die Liebe als einzig Antikapitalistisches im Kapitalismus schien ein (Aus-)Weg.


Drei weitere Alben und ein Haufen schöner, wichtiger Songs sollten noch folgen. Aber auch ein schleichender Bedeutungsverlust, mit einem in gleicher Weise zunehmenden kommerziellen Erfolg einhergehend. Einige Feuilletonisten verloren ihr Interesse an der Musik, aber die Band konnte letztlich ihre Stellung als eine der wenigen Instanzen der deutschen Musik behaupten. Verbotene Früchte, von den einen hoch gelobt als bestes Album, von vielen als absoluter textlicher Tiefpunkt kritisiert, sollte die Kritiker noch einmal polarisieren. Dass der Fokus plötzlich auf die Natur verlagert wurde, dass die Sprache geradezu märchenhaft wurde, das Politische scheinbar völlig verschwand, Distelmeyer stattdessen lieber über Flüsse, Winde, Tiere und den Apfelmann sang, schien einigen alten Hörern doch einem persönlichen Angriff zu gleichen. Dass sie dabei ein kleines, wunderschönes, lustiges Album verpassten – sei’s drum…

Der Zeitpunkt der Auflösung hätte letztlich kaum besser gewählt werden können. Blumfeld hinterlassen uns ein opulentes, vielschichtiges, sehr zitierfähiges und rundes Werk, ohne uns eine wirklich schlechte Platte zugemutet zu haben. Verlieren werden wir eine der unterhaltsamsten Livebands Deutschlands und einen wichtigen zeitgeschichtlichen
Bezugspunkt. Das letzte Wort sei deshalb nochmals Blumfeld überlassen:

Ich – wie es wirklich war

„Ich war dabei mir ein Art von Verschwinden
die den Tod bezwingt auszudenken
und ließ mich nieder
wo ich mich beherrsche
in den Liedern und in den Sätzen
nahm ich kein Ende
nur eine Wendung
zurück zum ersten Bild
das wäre zu erfinden
geriet zum Strudel
in ein Recycling
und sah das Ende
in sich verschwinden
und e
s fragt sich
war das etwa schon alles?

lügt denn die Welt und wenn nicht?
ist sie am Ende
im Rückstand
gegenüber der Moral der Geschichte

Ich war dabei ei
ne Art von Verschwinden
die den Text bezwingt zu erfinden
andere
Reime auf die Geschichte
nicht auszudenken

und ich verlor an Gewicht
genau wie die Gedichte
geriet in ein Rauschen
oder warn das die Mittel
mit denen ich mich bewegte
die Erfindung einzutauschen
und es fragt sich
war das etwa schon alles
lügt denn die Welt und wenn nicht
ist sie am Ende
im Rückstand
gegenüber der Moral der Geschichte

Ic
h war dabei eine Art von Verschwinden
die schließlich mich b
ezwingt zu Ende zu denken
gegen den Schmerz
unter dem ich mich krümme
zurück zum frühsten Bild
von dem ich eigentlich komme
ein New Age Poster
ein Lebenszeichen
auf
der Reise ins Innere der Trauer
komm ich zum Ende
vielleicht ein Anfang

einer Art von Verschwinden
und ich frag dich
war denn das schon alles
lügt denn die Welt und wenn nicht
ist sie am
Ende
im Rückstand
gegenüber der Moral der Geschichte
und ich bin am E
nde
im Rückstand
der Moral der Geschichte“

(aus: L’Etat et Moi)


Das Werk:




1991/92: Die Welt ist schön (Singles) ***






1992: Ich-Maschine *** 1/2






1994: L'Etat et Moi *****







1999: Old Nobody ****







2001: Testament der Angst *** 1/2






2003: Jenseits von Jedem ****






2006: Verbotene Früchte **** 1/2





Samstag, 20. Januar 2007

Filmanalyse

"Der Mensch im Abfallbehälter. Das ist doch das Volk im Abfall jener Konsumgüter, deren Produktionsstätten sich im Besitz des Großkapitals befinden."

"Nein. Der Mensch ist eingeschlossen in den komplizierten Mechanismus unserer modernen Zivilisation, der bei der geringsten falschen Bewegung aus dem Gleichgewicht gerät. Und wenn der Mann den Deckel dieses Mechanismus lüftet, sieht er sich allein gelassen - von jeder Seite."

"Das ist nie ergreifender insziniert worden. Da erhebt sich das ausgebeutete Individuum aus dem Untergrund und bietet seinen Unterdrückern die Stirn."

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer: ein absoluter Klassiker!

Freitag, 12. Januar 2007

What's goin on

"Who's willing to try / to safe a world that is destined to die"

Marvin Gayes einfache, aber richtige Frage, was denn eigentlich los sei, schlug 1971 große Wellen. Soul ist seitdem nicht mehr dasselbe, denn hier manifestierte ein Mann seinen Schmerz auf nie da gewesene Art & Weise. Er transportierte den Soul auf eine andere Ebene. Beinahe transzendental schwebt die Musik, eine engelsgleiche Stimme fragt, von einem samtenen Orchester umschmiegt „what’s happening brother / what’s been shaken up and down the line / I want to know cause I’m slightly behind the line”. Soul verbindet sich mit Jazz, Jazz mit Soul und alles zusammen mit God. Ja, Gaye ist ein gläubiger Mensch, und What’s goin on seine Klage über den Zustand der Welt an sich und den Mangel an Liebe - uns selbst gegenüber, wie unseren Nächsten und letztlich der ganzen Welt als Schöpfung Gottes - im speziellen. So etwa die Öko-Hymne „Mercy, Mercy Me“ , eine Liebeserklärung an die Natur. „All you need is love“ möchte man sagen und an die Beatles denken. Aber das hier ist mehr. Es ist spirituell, ein Album gewordener Gottesdienst, ein wahrhaft großer Gottesdienst.

Acht Jahre nun schon bin ich nicht mehr gläubig. aber ich respektiere den Glauben, da ich selbst einst seine Kraft spüren durfte. Nur schaffen es leider wenige, seine Kraft positiv zu nutzen, denn Glaube ist auch gefährlich. Aber hier geht es um Soul, echten Soul, afroamerikanische Musiktraditionen, um die ganze Geschichte der Verschleppung und Versklavung, die bei allen großen schwarzen Künstlern immer - zumindest implizit - mitschwingt. Und wenn es etwas gibt, das die Vereinigten Staaten wirklich an originärer Kulturleistung hervorgebracht hat, so war es die afroamerikanische Musik des 20. Jahrhunderts. God spielte dabei keine geringe Rolle.

Deshalb sollte man sich nicht von etwaigen Vorurteilen dazu verleiten lassen, diesen musikalischen Schatz zu ignorieren. Nun, es mag sicher genügend Menschen geben, die zu diesem Album aus den unterschiedlichsten Gründen keinen Zugang finden werden. Und vielleicht ist das auch richtig so. Aber jeder, dessen Herz dem Soul zugänglich ist, wird ihm verfallen. Denn eine vergleichbar intensive Platte sollte erst der frühe, musikalisch noch äußerst facettenreiche Stevie Wonder 1976 mit seinen „Songs in the Key of Live“ erschaffen.


Falk

Vorsicht: sich selbst öffnende Hip-Hop-Sendung!

Gestern, als ich beiläufig mein geschätztes österreichisches Musikradio FM 4 hörte, durfte ich eine altbekannte Stimme vernehmen: Falk a.k.a. Hawkeye a.k.a. Mr. Supreme vom ehemals weltbesten und einzig echten Musiksender VIVA ZWEI. Da ich seit geraumer Zeit keinen Fernseher mehr besitze und seit dem Untergang besagten Senders sowieso keine Musiksender (falls es solche überhaupt noch geben sollte) mehr goutierte, erreichte mich seine vertraute, ruhige, etwas schüchterne Stimme wie ein verstaubtes Bild aus der Vergangenheit. Er verriet den Hörern, dass nach dem Ende von Supreme für ihn als Moderator noch nicht Schluss gewesen sei und er zum bis dahin nicht annähernd so guten Mixery Raw Deluxe gewechselt sei. Dort habe man die Sendung allerdings auch schon nach kurzer Zeit ebenfalls eingestellt. (Tja, die Entmusikalisierung der Musiksender musste eben voranschreiten.)

Seit Anfang 2006 hat er sich deshalb ein behäbigeres Plätzchen in den Weiten des Internets gesucht. Auf
www.mixeryrawdeluxe.tv erfreut er uns jetzt wieder, ganz wie in alten Zeiten, einmal wöchentlich mit einer knappen Stunde angenehmem Musikjournalismus. Dass die Sendungen jedem zur freien Verfügung stehen, macht die ganze Angelegenheit recht sympathisch und musste von mir natürlich sofort genutzt werden. Erfreut euch also an einem kleinen Ausschnitt aus der Jurassic-5-Sendung von Weihnachten zum Thema Sampling:

...an dieser Stelle war mal ein kleiner Mixery-Raw-Deluxe-Player. Aber da er sich stets von selbst zu öffnen begann und uns bei jedem Besuch des Zeittotschlägers mit J5 beglückte, wurde er von mir wieder entfernt. Dafür gibts den Link, denn die Jungs haben was zu sagen: Hier könnt ihr euch anschauen, was bei Falk und im Hip Hop an sich noch geht. Viel Spaß damit!


Dienstag, 9. Januar 2007

Wege



An diesen grauen, feuchten, lauwarmen Tagen überkommt mich eine seltsame Stimmung. Ich erinnere mich an ein kühles Morgengrauen im Juli als mir jene Zeilen durch den Kopf gingen…


Ein Glockenklang, der hell und klar
Von fern erschallt, mich sanft umschmiegt,
Bringt mich zurück wo ich einst war,
Ein schweres Nein nun vor mir liegt.

"Wo ist der Platz, den du erträumt?
Wo ist das Glück, das du gesucht?"
Die Plätze hab ich einst versäumt,
Das Glück nur selten mich besucht.

Gefühl, Verstand und Triebgewalt -
Alles macht mich nur verrückt,
Woran ich mich auch letztlich halt -
viel ist mir damit nie geglückt

Die Triebe lassen essen, schlafen,
Suchen nach dem kurzen Glück,
Doch jeder scheinbar sichre Hafen
Schickt mich aufs weite Meer zurück.

Gefühle nun sind ehrlich, tief,
Konnt sie nur selten richtig führen,
Die Geister, die ich damit rief
Ließen mich zu oft verlieren.

Und der Verstand, als letztes Los?
So klar, so rein, so effektiv,
doch die Gefühle warn zu groß,
und letztlich auch zu negativ.

So hab ich nun mit keinem Mittel
Den rechten Weg zum Ziel gefunden,
leg sie jetzt ab wie alte Kittel
Und bleibe frei und ungebunden.

Obgleich ich keins der drei mehr hab -
Im reinen Sinne, das versteht sich -
Bleibt mir doch das, was man mir gab:
Der Blick auf mein gezeichnet Ich.

Es reift und wächst, doch welkt zugleich,
Ist arm und auch bedrückend reich,
Kämpft und irrt, ist faul und satt -
es weiß nicht, was es an sich hat.

Der Glockenklang ist längst verhallt,
Die Nacht neigt sich dem Ende zu,
Ist noch so jung und doch schon alt,
Sie schenkt uns noch ein wenig Ruh.

Gleich kommt der Tag mit seinen Fragen,
Noch nimmt er mir nicht meine Ruh,
Ich habe ihm noch viel zu sagen,
Doch jetzt mach ich die Augen zu.

Dienstag, 2. Januar 2007

Babel

















Alejandro González Iñárritu ist ein beeindruckender Regisseur. War sein Debütfilm Amores Perros schon höchst vielschichtig und multiperspektivisch, so gelang ihm mit 21 Gramm sein bisheriges Meisterwerk – ein schmerzhaftes Filmerlebnis voller Verzweiflung, das den Zuschauer auf keinen Fall unberührt entlässt. Beide Filme kreisen um das Thema Schuld & Sühne, in beiden bringt ein Unfall die Charaktere schicksalhaft miteinander in Verbindung. Und in beiden Filmen ringen die Menschen um den richtigen Weg, die richtigen Entscheidungen – und viel zu oft treffen sie letztlich die falschen, gelangen somit nahe an den Abgrund oder stürzen tief in ihn hinab.

Mit diesem Vorgefühl und und einer Handvoll begeisterter Rezensionen im Hinterkopf betrat ich das Kino, um den aktuellen, dritten Film Iñárritus zu sehen, der ebenfalls dieser schweren Thematik gewidmet ist: Babel, Gewinner für die beste Regie bei den Filmfestspielen in Cannes. Das Prinzip des Films ist dasselbe wie bei seinen beiden vorherigen. Auch hier ist es ein Unfall, der alle Geschichten miteinander verbindet, und auch hier steht die Frage nach den richtigen Entscheidungen, nach Schuld & Sühne im Mittelpunkt, diesmal erweitert um das Problem der Kommunikation. Der Film spielt abwechselnd in Marokko, Mexiko, den USA und Japan. Missverständnisse, Sprachgewirr, nicht zuhören zu können, trotz der selben dennoch verschiedene Sprachen zu sprechen, Fehlinterpretationen, Vorurteile - all das thematisiert der Film. Doch der Film ließ mich mit einem seltsam leeren Gefühl zurück, ganz so, als sei die Geschichte nur so an mir vorbeigerauscht, als hätte ich kurz das Leben dieser Personen gestreift, einen Blick durch die Fenster gewagt, um auch gleich wieder zu verschwinden. Der Blick war zu flüchtig. Dieser Film schmerzt nicht (wie 21 Gramm), er reißt nicht mit (wie Amores Perros), er gleicht vielmehr einem dokumentarischen, distanzierten Blick auf einen Moment im Leben verschiedener Menschen.

Babel ist sehr reif, sehr ruhig, sehr bedacht. Die Kameraführung ist klar, die Musik sehr gewählt, die Schauspieler gut besetzt und die Regie perfekt. Aber vielleicht liegt gerade hierin das entscheidende Problem des Films: ihm fehlen die Kanten und Ecken von Amores Perros, das In-negativen-Gefühlen-Suhlen und die tiefere Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne von 21 Gramm. Der Film ist zu glatt, zu perfekt, bleibt deshalb letztlich zu sehr an der Oberfläche, ergötzt sich an seiner selbst. Er fühlt sich ein wenig an wie viele dritte Alben von inzwischen etablierten Bands: ambitioniert, sauber, dick produziert, aber leider ohne den Reiz und die Energie früherer Tage.

Mit jedem Film rückte Iñárritu dem Hollywoodkino ein Stückchen näher und entfernte sich im gleichen Maße vom lateinamerikanischen. Was ihm bei 21 Gramm noch gelang (Massentauglichkeit, Anspruch und emotionale Tiefe miteinander zu verbinden) kann er in Babel nicht mehr richtig umsetzen und verhäddert sich dabei etwas in Anspruch und Bild. Babel ist Iñárritus bester und zugleich schlechtester Film. Denn die gradiose Leistung des Regisseurs schnürt den Film zu sehr ein, lässt ihm wenig Luft zum Atmen. Schön ist er dennoch.