Dienstag, 2. Januar 2007

Babel

















Alejandro González Iñárritu ist ein beeindruckender Regisseur. War sein Debütfilm Amores Perros schon höchst vielschichtig und multiperspektivisch, so gelang ihm mit 21 Gramm sein bisheriges Meisterwerk – ein schmerzhaftes Filmerlebnis voller Verzweiflung, das den Zuschauer auf keinen Fall unberührt entlässt. Beide Filme kreisen um das Thema Schuld & Sühne, in beiden bringt ein Unfall die Charaktere schicksalhaft miteinander in Verbindung. Und in beiden Filmen ringen die Menschen um den richtigen Weg, die richtigen Entscheidungen – und viel zu oft treffen sie letztlich die falschen, gelangen somit nahe an den Abgrund oder stürzen tief in ihn hinab.

Mit diesem Vorgefühl und und einer Handvoll begeisterter Rezensionen im Hinterkopf betrat ich das Kino, um den aktuellen, dritten Film Iñárritus zu sehen, der ebenfalls dieser schweren Thematik gewidmet ist: Babel, Gewinner für die beste Regie bei den Filmfestspielen in Cannes. Das Prinzip des Films ist dasselbe wie bei seinen beiden vorherigen. Auch hier ist es ein Unfall, der alle Geschichten miteinander verbindet, und auch hier steht die Frage nach den richtigen Entscheidungen, nach Schuld & Sühne im Mittelpunkt, diesmal erweitert um das Problem der Kommunikation. Der Film spielt abwechselnd in Marokko, Mexiko, den USA und Japan. Missverständnisse, Sprachgewirr, nicht zuhören zu können, trotz der selben dennoch verschiedene Sprachen zu sprechen, Fehlinterpretationen, Vorurteile - all das thematisiert der Film. Doch der Film ließ mich mit einem seltsam leeren Gefühl zurück, ganz so, als sei die Geschichte nur so an mir vorbeigerauscht, als hätte ich kurz das Leben dieser Personen gestreift, einen Blick durch die Fenster gewagt, um auch gleich wieder zu verschwinden. Der Blick war zu flüchtig. Dieser Film schmerzt nicht (wie 21 Gramm), er reißt nicht mit (wie Amores Perros), er gleicht vielmehr einem dokumentarischen, distanzierten Blick auf einen Moment im Leben verschiedener Menschen.

Babel ist sehr reif, sehr ruhig, sehr bedacht. Die Kameraführung ist klar, die Musik sehr gewählt, die Schauspieler gut besetzt und die Regie perfekt. Aber vielleicht liegt gerade hierin das entscheidende Problem des Films: ihm fehlen die Kanten und Ecken von Amores Perros, das In-negativen-Gefühlen-Suhlen und die tiefere Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne von 21 Gramm. Der Film ist zu glatt, zu perfekt, bleibt deshalb letztlich zu sehr an der Oberfläche, ergötzt sich an seiner selbst. Er fühlt sich ein wenig an wie viele dritte Alben von inzwischen etablierten Bands: ambitioniert, sauber, dick produziert, aber leider ohne den Reiz und die Energie früherer Tage.

Mit jedem Film rückte Iñárritu dem Hollywoodkino ein Stückchen näher und entfernte sich im gleichen Maße vom lateinamerikanischen. Was ihm bei 21 Gramm noch gelang (Massentauglichkeit, Anspruch und emotionale Tiefe miteinander zu verbinden) kann er in Babel nicht mehr richtig umsetzen und verhäddert sich dabei etwas in Anspruch und Bild. Babel ist Iñárritus bester und zugleich schlechtester Film. Denn die gradiose Leistung des Regisseurs schnürt den Film zu sehr ein, lässt ihm wenig Luft zum Atmen. Schön ist er dennoch.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

So, nach einigem Überlegen, ob ich den chronolgisch dritten Film vorneanstellen sollte, habe ich mich dann zu eben diesem Verfahren durchgerungen - und muss sagen, dass dieser modus operandi vielleicht nicht der schlechteste war, denn: Frei nach "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen" kann ich mich nun auf zwei hochwertige Filme freuen, die dem stumpfen Ertragen von Babel hoffentlich differenzierte Auseinandersetzung gegenüberstellen werden. (Seltsam, an und für sich sollte obige Redewendung ja dem chronologischen Konsum entsprechen -).
Von den von Dir anzitierten Qualitäten sehe ich leider recht wenig, lediglich die Regie ist tatsächlich gut; das an und für sich ja als grundlegend zu erwartende Problem der Kommunikation wurde aufs primitivste umgesetzt, ich habe in der lustigen Riege des tragikomischen Team America im Wilden Kurdistan, der notgeilen, selbstredend hoch traumatischen (traumatisierenden?) Tokyoter Biatch und Hanni und Nanni auf Tagesfahrt an die us-mexikanische Borderline vielleicht noch einen schwulen polnischen Pantomimen vermisst, der etwa in - Nun gut, soviel dazu.
Um dem Film nicht gar zu viel Unrecht zu tun, muss man sagen, dass er im zeitgenössischen cineastischen Kontext zweifellos herausragt.... etc.

Mr. Ray