Montag, 21. September 2015

Jochen Distelmeyer - die Geschichte eines Scheiterns

Kaum jemand, der es gelesen hat, fand „Otis“ wirklich überzeugend. Genüsslich wurde der erste Roman des Blumfeld-Sängers in den Feuilletons zerrissen. Nicht mal ein Dutzend Zuhörer fanden im März den Weg zur Lesung in der Schorndorfer Manufaktur. Doch warum scheitern Musiker eigentlich so häufig beim Schreiben von Büchern?

Vielleicht, weil das Medium so unterschiedlich ist: auf der einen Seite die dichtende, verdichtete, deklamierende und zugespitzte Sprache des Popsongs. Auf der anderen das Epische, Detailreiche, Vielgestaltige und Ausufernde des Romans. Vielleicht auch, weil sich mancher Sänger aus grandioser Selbstüberschätzung zu Höherem berufen fühlt. Schließlich wird gemeinhin – von Ausnahmen wie Dylan oder Cohen mal abgesehen – nur derjenige als Literat ernst genommen, der seine Texte nicht singend vorträgt, sondern zwischen zwei Buchdeckeln packt. Und weil es der Sänger gewohnt ist, von den Massen gehört und bewundert zu werden, hält er seine Texte für wichtig genug, dass sie da auch hingehören.

Musiker-Romane: Leider allzu oft nur ein großes Missverständnis

Auf eben jene Bekanntheit stürzen sich dann allzu oft auch renommierte Verlage – im hoffentlich vollen Bewusstsein, zwar keine große Literatur, dafür aber einen auflagenstarken Bestseller zu landen. Diese Melange ermöglicht erst jenes Missverständnis, das sich am Ende in den Regalen der Buchläden der Republik findet. Und das von niemandem so recht geschätzt wird.

Das muss beileibe nicht immer so sein. Es gibt auch leuchtende Gegen-Beispiele, allen voran jenes von Sven Regener, der als Sänger von Element of Crime gehaltvolle melancholische Chansons schrieb. Und dann als Schriftsteller eine zweite, ungleich größere Bekanntheit erreichte. Sein lakonisch-komischer „Herr Lehmann“ war völlig zu Recht ein Erfolg. Leander Haußmanns Verfilmung mit Christian Ulmen in der Hauptrolle wurde 2003 sogar ein veritabler Erfolg an den Kinokassen. Aber auch Kollegen aus der deutschen Musikszene wie Peter Licht oder Frank Spilker (Die Sterne) haben als Schriftsteller zumindest nicht gerade unglücklich debütiert.

Jetzt also Distelmeyer, der als Sänger von Blumfeld zunächst Diskurs-Rock, dann Songwriter-Pop machte und unter Musikkritikern lange Zeit als sakrosankt galt. Zumindest bis zum Ende von Blumfeld und seinem Solo-Album „Heavy“. Distelmeyer galt mit seinen wortgewaltigen Texten, zumal den frühen aus den 90er Jahren, als einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten Hamburger Schule.

Dass gerade Distelmeyer irgendwann mit einem Roman aufwarten würde, war im Grunde absehbar. Schließlich finden sich in den frühen, diskursiven Texten des Wahl-Hamburgers zahllose literarische Bezüge: von Gottfried Benn bis Rolf-Dieter Brinkmann oder Else Lasker-Schüler. Hardcore-Fans machten es sich einst zur Aufgabe, die Texte darauf abzuklappern und mit Fußnoten zu versehen. Auch hat seine einstige Band ihren Namen von einer Erzählung Kafkas. Und auf zwei Blumfeld-Alben rezitierte der Sänger lange Gedichte. Das Gefühl und der Anspruch für das Literarische schienen also durchaus vorhanden zu sein.

Dennoch entstand „Otis“ nun als Nebenprodukt auf der Suche nach Songtexten. Einer Suche, die so ausuferte, dass der Autor beschloss, daraus einen Roman zu stricken. Das merkt man der Geschichte nun leider auch an: Tristan Funke, Schriftsteller und Protagonist des Romans, flieht aus Liebeskummer in die Hauptstadt und arbeitet dort an einem Romanprojekt zu Homers Odyssee, das am Ende – kaum überraschend – grandios scheitern wird.

In der Zwischenzeit quält sich der Leser durch viele nichtssagende Dialoge, durch Beschreibungen des Innenlebens gelangweilter Hauptstädter – und fragt sich, wohin der Autor mit seiner Geschichte eigentlich will. Daneben serviert Distelmeyer etliche zwar interessante, doch selten für die Geschichte notwendige Exkurse, etwa zum Holocaustmahnmal, der Geschichte des Tierparks und natürlich Homers Odyssee. Oder steigt in eine Nebenerzählung ein, die weder zu Ende erzählt wird noch in irgendeinem Zusammenhang mit der Geschichte steht. In die Mitte des Romans hat der Autor dann ein skurriles Theaterstück namens „Das Loch“ gepackt, was angesichts der eher bescheidenen Rahmenhandlung doch reichlich prätentiös wirkt. Kaum zu fassen, dass der Mann mal für große Texte stand.

Weshalb der Roman dennoch lohnt? Weil er ein gutes Negativ-Beispiel liefert, wie es ein Autor nicht machen sollte. Und der Leser nach rund 80 Seiten erleichtert feststellt, dass „Otis“ dennoch kein Totalausfall ist, sondern durchaus lesbar. Immerhin.

Otis. Jochen Distelmeyer. 288 Seiten. Rowohlt Verlag. ISBN 97-3-498-01203-8

Dienstag, 15. September 2015

Michel Houellebecq: Eine Abrechnung mit der französischen Republik

Es war der Literaturskandal des Jahres: Michel Houellebecqs Beschreibung eines Frankreichs im Ausnahmezustand. Einer Republik, die nicht mehr an sich selbst glaubt und darum ihr Heil im Islam sucht.

Die Wucht, mit der das Buch in der literarischen Welt – und auch darüber hinaus – aufgenommen wurde, sie erklärt sich vor allem aus dem seltsamen historischen Zufall, dass am Tag der Veröffentlichung Terroristen das Büro der Satiriker von Charlie Hebdo stürmten. Auf dem Cover: eine Karikatur des Autors Houellebecq.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Buch ist keine islamfeindliche Hetzschrift, auch wenn der Franzose mit dem seltsamen Haarschnitt und dem ungesunden Lebenswandel gerne provoziert. Auch wenn Houellebecq mit Sicherheit kein großer Menschenfreund ist und sich daher in der Vergangenheit unter anderem abfällig über den Islam geäußert hat. Denn bei der Lektüre von „Unterwerfung“ wird schnell klar, wem hier eigentlich der Frontalangriff gilt: der Französischen Republik und ihren Eliten, die sich Houellebecq nicht scheut zu nennen und – von Hollande und Sarkozy bis Henry-Levy – namentlich zu diffamieren. Zu dieser Elite zählt sich auch Literaturprofessor François, der Ich-Erzähler des Romans. Doch an die Werte der Republik glaubt er schon lange nicht mehr. Stattdessen flüchtet sich der oberflächlich Unpolitische in seine Bücherwelt (der Professor ist Experte für den Schriftsteller Joris-Karl Huysman), unbefriedigende Liebschaften mit seinen Studentinnen und den Alkohol. Doch so einsam und trüb seine Existenz, so klar der Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse.

Und die sind zu Beginn des Romans im Frankreich des Jahres 2012 reichlich prekär. Das Land wird zerrieben zwischen den politischen Extremen, zwischen Front National, Identitärer Bewegung und islamischen Extremisten. Auf den Straßen tobt ein blutiger Bürgerkrieg, von dem das Volk nichts mitbekommen soll. Und bei den Wahlen schickt sich derweil ein Muslim an, Präsident zu werden. Was ihm schließlich auch gelingt.

François nimmt diese gesellschaftlichen Veränderungen vor der Schablone seiner eigenen, zunehmend ins Abseits schlitternden Existenz wahr. Mit dem Sieg der muslimischen Partei und unter dem Präsident Mohamed Ben Abbès kehrt schnell Ruhe ein. Schnell zeigt sich, zumal für die Elite, dass die neue Führung mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt. Viele, die gerade noch glühende Verfechter der Aufklärung waren, konvertieren – und wechseln die Seiten.

Im Grunde also ein recht simpler Plot, der dennoch eine beachtliche Sogwirkung entfaltet – und am Ende dieses leicht lesbaren Buchs mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Denn das hat Houellebecqs Romane seit jeher ausgezeichnet: dass er bei seiner Gesellschafts- und Kulturkritik niemanden ausnimmt, auf keiner Seite steht, keine Politik betreibt – und sich daher auch nicht so einfach vereinnahmen lässt.

Unterwerfung. Michel Houellebecq. 260 Seiten. DuMont Buchverlag. ISBN: 978-383-2-19795-7