Mittwoch, 31. Januar 2018

Knausgards Kampf

 

760 schonungslos offene Seiten über das oft komplizierte, bisweilen auch tragische Familienleben eines weißen, männlichen Schriftstellers - ist das nun große Literatur oder banale Selbstbespiegelung? Nach der Lektüre von "Lieben", dem zweiten Band des  autobiographischen Projekts von Karl-Ove Knausgard fällt die Antwort darauf gar nicht so leicht. 

Denn dieser Roman enthält beides: Höchst banale Alltagsbeschreibungen (Brote schmieren, Kaffee trinken, Windeln wechseln, Zeitung lesen, auf dem Balkon rauchen), aber auch kluge, essayistische Gedanken über das Leben, die Literatur und den schier unmöglichen Versuch, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen und dabei sich auch noch literarisch selbst zu verwirklichen.

Der norwegische Schriftsteller Karl-Ove Knausgard (Jahrgang 1968) ist in diesem Band frisch nach Schweden ausgewandert, hat sich dort in seine zweite Frau verliebt und steckt in einem Dilemma: Er hadert mit seinem bisherigen Schaffen und weiß nicht so recht, worüber er schreiben soll. Das einzige, was für ihn feststeht: Dass er unbedingt schreiben will, denn nur beim Schreiben ist er wirklich glücklich. Und so kämpft er sich schreibend frei, indem er seinen Alltag literarisiert. Und dabei keine Rücksicht auf Familie und Freunde (die er mit Klarnamen benennt) nimmt, am allerwenigsten aber auf sich selbst.

Permanente Selbstzweifel

Wirklich kein Detail ist ihm zu peinlich, um es wegzulassen. Der Leser erfährt alles: dass seine Frau eine bipolare Störung hat, seine Schwiegermutter heimlich Schnaps trinkt, während sie auf seine Kinder aufpasst. Er selbst sich gerne bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt, nur um zu vergessen. Wir lesen, wie schwer ihm der Alltag mit vier Kindern fällt, er sich dabei permanent nach seiner einsamen Hütte sehnt, wo er schreiben kann - und dabei doch beständig an sich und seinen Fähigkeiten als Schriftsteller zweifelt.

Wir können dabei zusehen, wie aus stürmischer Liebe kalter, trister, von Streit geprägter Alltag wird. Und erfahren, welche Bücher Knausgard liest, welche Autoren ihn geprägt haben. Wir können manch klugem Gespräch mit Freunden folgen und zugleich banalsten Small Talk lesen. Lernen dabei, wie groß die Unterschiede zwischen Norwegen und Schweden doch sind - weshalb der Autor in seiner neuen Heimat im Alltag meist lieber die Klappe hält.

Das liest sich, so deprimierend und voller Längen die Lektüre auch ist, erstaunlich leicht. An vielen Stellen kann sich der Leser in diesem nicht allzu außergewöhnlichen Leben eines weißen Europäers auch durchaus wiederfinden (sofern er selbst einer von ihnen ist).

Der passende Originaltitel: Min Kamp

Doch bleibt die Frage: Ist das nun große Literatur? Zumal "Lieben" ja nur ein Teil des sechsbändigen Zyklus ist, der es insgesamt auf mehr als 3000 Seiten bringt und im Original den Titel "Min Kamp" trägt. Knausgard also explizit Bezug nimmt auf Hitlers grauenhaft wehleidig geschriebene, doch wirkungsmächtige Autobiographie (worauf er im letzten Band "Kämpfen" näher eingeht). Der mit einer ausführlichen Beschreibung des eigenen Vaters beginnt. Einem Menschen, der Karl-Oves Existenz permanent in Frage stellt, schließlich dem Alkohol verfällt und daran jämmerlich zu Grunde geht.

Keine Frage, der Titel ist klug gewählt. Denn es handelt sich bei dem Roman-Projekt tatsächlich um einen Kampf: Knausgards Kampf mit sich selbst, seiner Geschichte, seinem Leben, dabei die Blumfeld'sche Frage stellend: "War das etwas schon alles?" Ein Kampf, der nach tausenden von Seiten mitnichten zu Ende ist. Auch die folgenden Bücher des Norwegers sind autobiographisch.

Mehr Verdichtung, bitte!

Banal ist das keineswegs. Vieles aus dem zweiten Band "Lieben" klingt nach, bleibt haften. Etwa der verzweifelte Moment, als er sich bei einem Schriftstellertreffen betrunken nachts das Gesicht mit dem Messer zerschneidet und die Scham am nächsten Morgen schier unerträglich wird.

Um große Literatur handelt es sich dabei aber auch nicht. Dazu fehlt es dem opulenten Werk an literarischer Stringenz. Ein sorgsamer Lektor hätte sicher etliche Passagen kürzen können, ohne dass es dem Buch geschadet hätte. So schweigsam und schüchtern Knausgard in der Realität auch sein mag: Das größte Problem dieses durchaus lesenswerten Romans ist seine Geschwätzigkeit.

Mittwoch, 24. Januar 2018

Mixtape No. 15: Meister und Idiot


1. Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi - Im Labyrinth (2017)
2. grim104 - 2. Mai (2013)
3. Tocotronic - Electric Guitar (2017)
4. Faber - In Paris brennen Autos (2017)
5. Sonic Youth - Incinerate (2006)
6. Palm - Dog milk (2018)
7. The Smiths - How soon is now (1985)
8. The Fall - The classical (1982)
9. Dinosaur Jr. - Sludgefeast (1987)
10. Shellac - Watch song (2000)
11. Tortoise - Swung from the gutters / Don't look back (live, 2013)
12. Logh - The smoke will lead you home (2005)

...und hier wie immer das Mixtape als Youtube-Playlist.

Montag, 22. Januar 2018

High Fidelity No. 9: Reflexe und Reflexionen


Meine Bücher des Jahres 2017:
1.  Martin Walser - Ehen in Philippsburg
2. Jerome Leroy - Der Block
3. Alec Ash - Wish lantern
4. Oliver Nachtwey - Die Abstiegsgesellschaft
5. Thomas Wagner - Die Angstmacher

BELLETRISTIK:

Teju Cole - Jeder Tag gehört dem Dieb: Nüchtern geschriebene Novelle über die Rückkehr eines Emigranten nach Lagos und seine innere Zerissenheit zwischen alter und neuer Heimat. Ein etwas flüchtiges Buch mit vielen Schwarz-Weiß-Fotografien von Cole, der selbst in Nigeria aufgewachsen ist.

Philip Roth - The plot against America: In den 40er Jahren wählen die US-Amerikaner einen Faschisten zum Präsidenten, der sich direkt mit Hitler verbündet. Doch ist er (der Flugpionier Lindbergh) wirklich eine Gefahr für die amerikanischen Juden? Es gibt nämlich auch unter ihnen welche, die ihn unterstützen. Die Familie des Protagonisten, die darüber langsam zerbricht, nicht. So schnörkel- wie schonungslos beschreibt Roth den unaufhaltsamen Niedergang der Familie.

Paul Auster - City of glass: Der erste, sehr gute Teil seiner New York-Trilogie ist ein großes Verwirrspiel, dreht sich um Fragen der Identität und darüber, wie sehr wir unseren Wahrnehmungen trauen können.

Martin Walser - Flugzeuge über dem Haus: Walsers Erstling ist noch sehr geprägt von Kafka, über den er einige Jahre zuvor promovierte. Lesenswert, aber entsprechend kafkaesk sind die gleichnishaften Kurzgeschichten, die gegen Ende hin immer absurder werden.

Martin Walser - Ehen in Philippsburg: Ein wirklich großer deutscher Nachkriegsroman, der im fiktiven Philippsburg spielt, aber (wie ich erst nach der Lektüre erfahren habe) eigentlich Stuttgart in den späten 50er Jahren zeigt (vieles davon trägt wohl autobiografische Züge, schließlich hat Walser eine Zeit lang beim SDR gearbeitet). Dabei zeichnet Walser ein Sittenbild der Wirtschaftswunderzeit, in dem die Schrecken der jüngsten Vergangenheit nur subkutan spürbar sind und in der bei aller spießigen Enge doch ebenso Fürchterliches zu Tage tritt.

Martin Walser - Jenseits der Liebe: Jenes Buch, das Reich-Ranicki (nicht ganz zu unrecht) in der  FAZ so großartig verriss, dass der Autor ihn später literarisch sterben ließ. Stammt aus der kurzen Phase, in der Walser mit dem Kommunismus liebäugelte. Entsprechend hölzern wirkt der Versuch einer Kritik der Arbeitswelt anhand der Arbeitsbiografie des scheiternden Franz Horn.

Martin Walser - Meßmers Gedanken: Eine Sammlung von Aphorismen, die sich mehrmals zu lesen lohnt und in der Walser nicht nur kluge (wenn auch oft widersprüchliche) Sätze formuliert, sondern auch ziemlich offen über seine Schwächen spricht.

Riad Sattouf - Der Araber von morgen, Teil 3: Der dritte Teil der großartigen Graphic Novel, in der Riad Sattouf seine Kindheit zwischen Frankreich und dem Nahen Osten beleuchtet, spielt diesmal größtenteils in Syrien und ist so großartig wie die beiden vorherigen Teile. Weitere werden folgen.

Udo Stein - Mythos Neuseeland: Musste ich für die Arbeit lesen und rezensieren. Der Autor ist emeritierter Professor, lebte lange und arbeitete lange Jahre in Neuseeland und dekonstruiert anhand dieses Romanes den Mythos von Neuseeland als schönster und nettester Fleck der Erde, der sich sowohl innerhalb des Landes als auch bei den Touristen anhaltender Beliebtheit erfreut.

Jerome Leroy - Der Block: Es ist die entscheidende Nacht für den Patriotischen Block: Draußen tobt der Bürgerkrieg, drinnen verhandelt die rechtsradikale Partei über die Regierungsbeteiligung. Wir erleben diese Nacht anhand der Innenansichten eines Parteiintellektuellen, dessen Frau mitverhandelt. Und seines Freundes, des obersten Parteischlägers, der bei einer parteiinternen Säuberungsaktion aus dem Weg geschaffen werden soll und auf der Flucht ist. Der Autor will gar nicht verhehlen, dass er in Teilen über den Front National schreibt. Ein packendes Buch, das einen Tief in die Abgründe rechtsradikalen Denkens führt, aber auch dabei hilft, seinen Erfolg zu verstehen.

Peter Handke - Die Angst des Tormanns beim Elfmeter: Auch bei der zweiten Lektüre hat sich mir die viel beschworene Größe dieses kleinen Buches leider nicht erschlossen.

Irmgard Kleinle-Schneider - Es kann vor Abend anders werden: Musste ich für die Arbeit lesen und rezensieren. Halbautobiografische Lebensgeschichte einer Frau, die das Schicksal hart erwischt, die tief fällt und dank Gottes Hilfe und ihren starken Willen doch noch glücklich wird.


SACHBUCH:

Oliver Nachtwey - Die Abstiegsgesellschaft:
Eine luzide soziologische Analyse, die sich obendrein noch gut liest. Sollte auch der ein oder andere linke Politiker mal zur Hand nehmen. Nachtwey zeichnet recht gut nach, wie sich diese Gesellschaft von einer Aufstiegs- in eine Abstiegsgesellschaft gewandelt hat, welche Konsequenzen das hat - und warum sich das gar nicht so leicht ändern lässt.  

Alec Ash - Wish lantern: Ein tiefer Einblick in das Leben junger Menschen in China. Sehr unterschiedlicher Menschen (von einfachen Bauernkindern bis zur Tochter eines Parteikaders), die der Autor lange begleitet und ihren Werdegang in einem halbliterarischen Stil porträtiert hat. Wer etwas über den Alltag in China erfahren möchte, sollte unbedingt "Wish lantern" lesen. Danach sind alle Klischees über "die Chinesen" im Kopf wie weggeblasen.

Michael Winterhoff - Warum unsere Kinder Tyrannen werden: Ein Buch, das lieber nicht lesen sollte, wer Kinder hat (oder mit ihnen arbeitet). Winterhoff zeichnet ein sehr düsteres Bild der Mädchen und vor allem Jungen, die in Deutschland leben. Vielleicht, weil er als Psychotherapeut ja nur mit Problemfällen zu tun hat. Glücklicherweise hatte ich das Buch nur aus der Bücherei geliehen.

Constantin Schreiber - Inside Islam: Was auch für dieses Buch gilt, das den Besuch deutscher Moscheen in einem reißerischen Ton als eine Art Safari zu den Wilden beschreibt. Immerhin aber Einblicke bietet in das, was in deutschen Moscheen so gepredigt wird. Ganze Predigten in deutschen Übersetzungen inklusive.

Robert & Sarah Levine - Do parents matter? Ein wirklich tolles, fundiertes Buch zweier Ethnologen, die Jahrzehnte lang Erziehungsarten weltweit beobachtet haben. Und die zu dem Ergebnis kommen, dass der Einfluss der Eltern nicht überschätzt werden sollte. Dass gänzlich konträre Formen der Erziehung das gleiche Ergebnis zur Folge haben können. Und dass es daher nicht die eine, richtige geben kann.

Robin Alexander - Die Getriebenen: Zeichnet minutiös nach, wie Politik und Medien im Herbst auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise agierten: ziemlich getrieben. Widerlegt dabei die These, dass die Kanzlerin aus Überzeugung die Willkommenskultur ausrief. Die Grenzschließung, so Alexander, war wohl von Merkel schon fast beschlossene Sache. Im entscheidenden Moment hatte sich aber in der Regierung niemand getraut, auch die Konsequenzen dafür zu übernehmen.

Tuvia Tenenbom - Allein unter Flüchtlingen: Tenenbom ist bekannt für seine Recherchereisen, bei denen er einfachen Menschen begegnet und in durchaus in witziger Art und Weise daraus Bücher strickt. Zuletzt über die Amis, diesmal über die Deutschen, die Flüchtlinge und die Umgang der einen mit den anderen. Der israelische Jude Tenenbom spricht arabisch und kommt deshalb ziemlich nah ran. Das Bild ist an vielen Stellen ziemlich hässlich. Dennoch: Tenenbom wird, wie ich finde, zu Unrecht von den Rechten vereinnahmt.

Peter Kuntze - Chinas konservative Revolution: SZ-Autor im Ruhestand, der in diesem Büchlein, erschienen in einem rechten Kleinverlag, recht klug über die konservative Wende im kommunistischen China schreibt.

Rolf Peter Sieferle - Finis Germania: Hat letztes Jahr einen peinlichen Literatur- und Medienskandal ausgelöst, der nicht hätte sein müssen. Sieferle war zu Lebzeiten ein respektierter Wissenschaftler, driftete aber vor seinem selbst gewählten Tod hart nach rechts. Diese unsortierten, posthum erschienen Aphorismen tragen nicht viel zum Verständnis der Lage bei, lassen aber gut verstehen, warum Sieferle den Freitod wählte. 

Matthias Rüb - Che Guevara: Ein FAZ-Korrespondent, der eine Che-Kurzbiografie schreibt kann wohl a priori nichts Gutes an dem Revolutionär finden. Rüb versucht, den Mythos zu dekonstruieren, was ihm stellenweise auch gelingt. Beschreibt den Revolutionär dabei sehr unvorteilhaft als keineswegs von der Sache überzeugten, blutrünstigen Rassisten. 

Thomas Wagner - Die Angstmacher: Ein Linker, der die Rechten nicht nur studiert, sondern auch mit ihnen redet und dabei etwas kluges beizutragen hat. Das beste Buch über die Neue Rechte, das ich kenne. Wagner geht dabei ziemlich hart ins Gericht mit seinen Linken - und zeigt überzeugend auf, weshalb 68 nicht nur der Beginn einer (gescheiterten) linken Revolte war, sondern auch das Fundament legte für den Aufstieg der Neuen Rechten.

Philipp Blom - Was auf dem Spiel steht: Der Historiker versucht sich in aller Kürze an einem Rundumschlag zur politischen, ökonomischen und ökologischen Lage. Und sieht uns auf recht düstere Zeiten zusteuern. Blom packt meines Erachtens aber etwas zu viel in diesen sehr dichten Text. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen.

Daniel Schreiber - Nüchtern: An einem Abend in der entsprechenden Stimmung durchgelesen, zum zweiten Mal. Nach wie vor eines der klügeren Bücher über das Trinken - und warum es irgendwann einfach besser ist, damit aufzuhören.

Stefan Zweig - Die Welt von gestern: Anhand seiner eigenen Biografie zeichnet Zweig eine Welt nach, die mit dem Ersten Weltkrieg verschwand: das Habsburger-Reich. Er tut dies aus der Perspektive der heilen Welt eines Bildungsbürger-Haushalts, die von den Wirren der Zeit schwer erschüttert wird. Das Buch endet recht düster mit dem Zeiten Weltkrieg. Zweig starb, bevor Hitler besiegt wurde. Dazwischen schreibt der überzeugte Europäer viel über seinen Werdegang, seine Reisen nach Russland, Indien, Lateinamerika, wenig persönliches ist darin jedoch zu erfahren. Sollte daber vor allem als Lehrstück gelesen werden von all jenen, die unbedingt zur Nationalstaaterei zurückkehren wollen.

Donnerstag, 11. Januar 2018

Der Verlorene

Zwanzig Jahre ist es nun her, dass in Weinstadt ein fünfjähriges Kind in seiner Pflegefamilie verhungerte. Eine Katastrophe, die nach wie vor schwer zu verstehen und zu erklären ist. Kollege Peter Schwarz hat vor einem Jahr einen seiner Leidensgenossen besucht, der das Martyrium damals als Neunjähriger nur knapp (auf gerade mal 11,8 Kilo abgemagert) überlebte - und dessen Dasein bis heute eine Tragödie ist. Zitat: "Die Beine sind ihm krumm gewachsen, Spätfolgen der Unterernährung. Er neigt dazu, H-Milch zu horten, die Tetrapacks reihen sich auf in Reih und Glied wie eine Armee, die gegen den Hunger beschützt."

Die Reportage, in der Schwarz uns so behutsam wie genau in dieses verworfene Leben blicken lässt, wurde kürzlich - völlig zurecht - mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet.

Sonntag, 7. Januar 2018

Die Wanderratten

Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.

Sie wandern viel tausend Meilen,
Ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.

Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl durch die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,
Die Lebenden lassen die Toten zurück.

Es haben diese Käuze
Gar fürchterliche Schnäuze;
Sie tragen die Köpfe geschoren egal,
Ganz radikal, ganz rattenkahl.

Die radikale Rotte
Weiß nichts von einem Gotte.
Sie lassen nicht taufen ihre Brut,
Die Weiber sind Gemeindegut.

Der sinnliche Rattenhaufen,
Er will nur fressen und saufen,
Er denkt nicht, während er säuft und frisst,
Dass unsre Seele unsterblich ist.

So eine wilde Ratze,
Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;
Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld
Und wünscht aufs neue zu teilen die Welt.

Die Wanderratten, o wehe!
Sie sind schon in der Nähe.
Sie rücken heran, ich höre schon
Ihr Pfeifen – die Zahl ist Legion.

O wehe! wir sind verloren,
Sie sind schon vor den Toren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und keiner weiß Rat.

Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen.
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigentum.

Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,
Nicht hohlwohlweise Senatsdekrete,
Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder,
Sie helfen Euch heute, Ihr lieben Kinder!

Heut helfen Euch nicht die Wortgespinste
Der abgelebten Redekünste.
Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,
Sie springen über die feinsten Sophismen.

Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,
Nur Argumente von Rinderbraten,
Begleitet mit Göttinger Wurst-Zitaten.

Ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten,
Behaget den radikalen Rotten
Viel besser als ein Mirabeau
Und alle Redner seit Cicero.

(Heinrich Heine, 1869)

Samstag, 6. Januar 2018

Impressionen No. LI: Südwest-Winter

Uff em Wald - Irgendwo im Nirgendwo.

Vor 20 Jahren: Hohenlohische Einöde.

Wo die Alb trauft.

Remstal-Aussichten.

Badische Aufstiege.


Freitag, 5. Januar 2018

Kubitscheks Metapolitik


Wenn es um den Aufstieg der Neuen Rechten geht, fällt immer häufiger ein Name: Götz Kubitschek. Eine 3sat-Dokumentation beleuchtet den Einfluss des Aktivisten und Verlegers - und zeigt, wie stark das, was er als Metapolitik bezeichnet, den politischen Mainstream bereits beeinflusst. 

Im Herzen ist Kubitschek immer noch Soldat. In einem "normalen Land" wäre er das auch heute noch, bekennt er in der Doku "Die rechte Wende - Beobachtungen jenseits der Mitte", die sich mit den neusten Entwicklungen innerhalb der intellektuellen Rechten beschäftigt. Aus der Bundeswehr ist der einstige Oberstleutnant längst ausgeschieden. Doch sein Kampf gilt nach wie vor der Verteidigung des deutschen Volkes.

Seit mehr als 15 Jahren arbeitet Kubitschek als Verleger, Journalist und intellektueller Vordenker an einer geistigen Wende. Seit der Flüchtlingskrise (die wie ein "Brandbeschleuniger" für seine Arbeit gewirkt habe) trägt diese Saat langsam auch Früchte. Längst sind Name und Gesicht des anti-bürgerlich rechten Aussteigers über die Szene hinaus bekannt. Was auf seinem Rittergut in Schnellroda metapolitisch (im Sinne eines Kulturkampfes von rechts) entworfen wurde, findet merklich immer mehr Eingang in den politischen Mainstream. (Sogar die New York Times hat ihn deshalb bereits so ausführlich wie präzise porträtiert.)

Am deutlichsten erkennbar ist sein Einfluss am Aufstieg der AfD. Wurde sein Mitgliedsantrag anno 2015 noch abgelehnt, so wirkt Kubitschek durch seinen Verlag Antaios, die Zeitschrift Sezession sowie dem Institut für Staatspolitik heute stärker in die Partei und vor allem ihren rechten "Flügel" hinein, wie er das als Mitglied wahrscheinlich könnte.

Im Grunde ist Parteipolitik dem gebürtigen Oberschwaben aber ohnehin zuwider. In einer Szene des Films spricht Kubitschek in der ostdeutschen Provinz vor AfD-Parteinachwuchs - und gibt ihnen  statt strategischen Anweisungen den Ratschlag, erst einmal etwas aus ihrem Leben zu machen. Nur wer fest im Leben stehe, könne seiner Meinung nach richtig politisch handeln. Die Jugend dankt dennoch mit Applaus.

Ein rechtes Netzwerk

Aber auch über die AfD entfaltet die politische Arbeit des 47-Jährigen mittlerweile ihre Wirkung. Beim Aufbau der Identitären Bewegung in Deutschland etwa, einem rechten Hausprojekt in Halle oder der fremdenfeindlichen Kampagne "Ein Prozent" (die neben dem Bau von Zähnen auch völkische Rapper wie "Komplott" fördert). Diesen rechten Projekten gemeinsam ist ein junges, modernes Erscheinungsbild und eine Rhetorik, die offen rassistische Formulierungen vermeidet. Stattdessen setzen sie auf linke, fast schon subversive, den 68ern entlehnte Aktionsformen, die sie in zeitgemäß geschnittenen Videos aufbereiten.

Daneben spricht Kubitschek bei Pegida-Demos und hat sich vernetzt mit Grenzgängern wie dem Ex-Anti-Deutschen und neu-völkischen Jürgen Elsässer, durchgeknallten Outlaws wie dem einstigen Katzenkrimi-Autor Akif Pirinci und Renegaten wie dem inzwischen verstorbenen Rolf Peter Sieferle, dessen umstrittene Aphorismen-Sammlung "Finis Germania" im vergangenen Jahr zum skandalösen Bestseller wurde.

Kubitschek wähnt sich dabei, ganz grundsätzlich, ganz soldatisch, im Kampf um den Erhalt des Deutschen, seiner Kultur, seines Volkes. Gerade weil er dabei keine kurzfristigen politischen Strategien verfolgt, sondern vielmehr den politischen Diskurs nach rechts drehen möchte, ist er im Moment so erfolgreich. Und das, was durch seine Arbeit entsteht, so gefährlich für diese Republik.