Montag, 15. Oktober 2018

Impressionen No. LV: Kunstsinn


Pax Profanum. 

Duo Kaos.

Django Mobil.
 
 
Les Ateliers Denino et La Cie de l'Echelle.

Kunst. Sinn. Festival.




Trotzki, Goethe und das Glück

Kaum war ich von der Spritze runter,
tappte ich in die nächste Falle:
die Revolution.

Die Revolution hieß Louise,
hatte unglaublich schmale Hüften,
blitzende Augen, flatterndes schwarzes
Haar, kaum aus Paris
und war Trotzkistin.

Wir wohnten zusammen in einem
der besetzten Häuser, hielten uns
glänzend in Schuß, hielten es sogar
für Liebe, und ich palaverte,
wenn Palaver gefragt war,
schwenkte Fahnen, wenn Fahnen
gefragt waren, und frühstückte
entgegen allen Lehren
des Großen Vorsitzenden
mit einer Flasche Wermut
und einem netten dekadenten Gefühl
im Bett.

Das ist das Glück, dachte ich.

Das ist das Glück, sagte ich zu Louise.
Warum lassen wir die Revolution nicht sausen,
das sinnlose Palaver und die Fahnen
und die endlosen Auseinandersetzungen
um die Maschinenfabrik in Shanghai,
suchen uns irgendeinen stillen Winkel
wo ich in Ruhe mein Bier trinken und
zwischendurch mal'n Gedicht schreiben kann,
et du reste l'amour?

Und Trotzki? schrie Louise,
und die Genossen im Knast?
Dein bourgeoises Bier, pah! Bier
und Gedichte, während die Revolution
organisiert wird!

Von da an ging alles schief. Als ich
im Suff mal mit einer anderen ankam,
ging Louise mit dem Messer
auf mich los. Dann mischte sie
bei einer Frauengruppe mit und ich
mußte nehmen, was kam:
meistens nur Bier und manchmal irgendeine
neurotische Studentin, und später selbst das
nicht mehr, und dann
schmissen sie mich raus,
und ich zog woandershin.

Das alles ist etliche Jahre her, aber neulich
traf ich ein Mädchen, das noch in den Kreisen
verkehrt, und fragte sie nach Louise.

Louise, sagte das Mädchen -
die ist wieder in Paris.
Sitzt sie im Zentralkomitee? fragte ich.
I wo, sagte das Mädchen, die hat irgendson
Goetheforscher geheiratet.

An dem Abend trank ich alles durcheinander,
trank wie lebensmüde, aber als ich gestern
an dem Haus vorbeikam - es sieht
inzwischen ziemlich verkommen aus,
absolut déjà vu -
dachte ich, na ja,
vielleicht hast du doch Glück gehabt.

(Jörg Fauser, 1975)

Mittwoch, 8. August 2018

Impressionen No. LIV: Rückkehr

(Schaffhausen)

 Nimbus.
(Trier)



In der Wa(h)renwelt.
(Stuttgart)

Für Feng Huixi


(Lu Xun, 1930, aus: Kowallis, Jon: The Lyrical Lu Xun: A Study of His Classical-Style Verse, University of Hawaii Press, 1996)

Mittwoch, 4. Juli 2018

Widerstand als Tragödie


Hans Falladas NS-Roman "Jeder stirbt für sich allein" war lange Zeit beinahe aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. In den letzten Jahren wurde er wiederentdeckt - und das weit über Deutschland hinaus. Völlig zurecht, denn Falladas letzter Prosatext ist zugleich auch sein wichtigster.

Otto Quangel ist kein Mann der großen Worte. Der Tischlermeister möchte am liebsten seine Ruhe. Doch mit dem zurückgezogenen Leben im Berlin der 40er Jahre ist es schlagartig vorbei, als ihn und seine Frau Anna die Nachricht vom Soldatentod ihres einzigen Sohnes im Westfeldzug erreicht.

Schon vor dieser Nachricht war Quangel kein überzeugter Nationalsozialist. Doch nun wird er zum  Regime-Gegner und beschließt, seine innere Ablehnung nach außen zu tragen, indem er Postkarten mit kritischen Botschaften - in ungelenkem, einfachem Deutsch - schreibt und diese nach der Arbeit und an Wochenenden in Hausfluren des ganzen Stadtgebiets verteilt. Erst mehr als zwei Jahre und annähernd 300 Karten später erwischt sie die Gestapo schließlich. Die beiden kommen in Haft und werden zu Tode verurteilt.

"Jeder stirbt für sich allein", der letzte Roman von Hans Fallada, dreht sich zuvorderst um das Schicksal der Quangels, für die es ein reales Vorbild gibt: das Ehepaar Otto und Elise Hampel. Der 1947 erschienene Roman ist einer der ersten Texte der Nachkriegszeit, der sich explizit mit der NS-Herrschaft und dem Widerstand gegen sie befasst.

Ein Haus als Panoptikum der NS-Gesellschaft

Das Berliner Haus, in dem die Quangels leben, ist aber viel mehr. Nämlich ein Spiegel der Gesellschaft unter der entmenschlichten Herrschaft der NSDAP: Es gibt da die jüdische Dame, die Unterschlupf bei einem Nachbarn sucht und sich in der Verzweiflung der einsamen Sicherheit aus dem Fenster stürzt; die alkoholgetränkte SS-Familie, für die das System eine grausame Perspektive bietet, um endlich Macht und Gewalt ausüben zu können; den Kleinganoven, der in seiner Gier nach Geld jegliche Moral und schließlich alles verliert; den intellektuellen Widerständler, der vor lauter Geist die Menschlichkeit vergisst. Sie alle leben unter einem Dach und doch in völlig unterschiedlichen Welten.

Das Dritte Reich hat das Band der Zivilisation zwischen ihnen zerrissen, jeder ist am Ende nur sich selbst der nächste, alle verlieren - und "jeder stirbt für sich allein". Bei den Quangels geht das recht lange gut, sind sie doch besonders isoliert. Deshalb dauert es, bis ihnen die Gestapo auf die Schliche kommt. Nur, um dann umso härter zurückzuschlagen.

Tragische Figuren statt großer Helden

Fallada, der in seiner Prosa sehr nah an der Sprache der einfachen Berliner ist und uns die Geschichte trotzdem aus einer distanzierten, nüchternen Perspektive präsentiert, hat sich keine großen Helden als Protagonisten gesucht, sondern zwei eher einfache, tragische Gestalten, deren Widerstand nicht nur ins Leere läuft sondern obendrein auch andere Menschen mit in den Abgrund reißt.

Er offenbart damit die Tragödie unter diesem totalitären System: Um aufrichtig zu bleiben, muss das Individuum ein Risiko eingehen, das nicht nur andere gefährdet, sondern am Ende, wenn das Regime den Widerstand bricht, zum Verrat führen kann.

Ein wichtiges, ein großes, und ein lange Zeit unterschätztes Buch. Eines, das der Autor in den letzten Wochen vor seinem Tod, körperlich längst gebrochen, in einer Nervenheilanstalt verfasst hat. Und das auch von künftigen Generationen möglichst aufmerksam gelesen werden sollte.

Dienstag, 3. Juli 2018

Blaze of suicide glory

Christian Rottler macht jetzt Punkrock - zumindest für seine Verhältnisse. Wer die Gelegenheit hatte, ihn in den letzten zwei Jahren mit seiner Band Lenin Riefenstahl einmal live zu sehen, konnte sich davon bereits ein Bild machen. Auf der Bühne interpretiert er seine verschachtelten Kompositionen längst als straighte Hymnen. Was im Live-Kontext durchaus funktioniert.

Wer Rottler vor allem als den Autor von "Feuer" kennt, dürfte davon vielleicht überrascht sein und sich durchaus schwer tun mit der neuen Einfachheit, die seine Musik prägt. Denn von der feinfühlig-verschrobenen Art, Musik zu machen, die das nach wie vor unveröffentlichte Album "Augenrändercharme" prägte, ist auf der Bühne nur wenig geblieben.

Das kann aber auch eine musikalische Chance sein, wie "Gerald", die demnächst erscheinende erste Single von Lenin Riefenstahl (die ich vorab schon einmal hören konnte) zeigt. Ein düsteres, persönliches Stück, das eine Lebensgeschichte in sechs erstaunlich kurzen Minuten abhandelt: Kind reicher Eltern, weißes Cabrio mit 18, dann Keplerstraße Unipark, Morphium, offene Venen und der bodenlose Sturz in eine Drogenkarriere, schließlich "Suicide Glory".

Kein leichter Stoff - um im Bild zu bleiben, und dem Vernehmen des Künstlers nach auch ein verdammt realer. Der da porträtiert wird hat wirklich gelebt und war offensichtlich ein Freund.

Musikalisch wirkt der Nachruf, trotz aller Punk-Ästhetik, nicht eindimensional. Die ersten Akkorde könnten auch ein Tocotronic-Stück eröffnen, aus dem grölend auf Englisch vorgetragenen Refrain spricht Wipers-Wut - und der Spoken-Word-Teil mit der angefunkten Basslinie erinnert fern an frühe Sterne-Platten.

Gefällig ist das nur bedingt, radiotauglich wie einige seiner früheren Songs schon gar nicht. Eine bemerkswerte Weiterentwicklung aber allemal.

Dienstag, 22. Mai 2018

Ohne Worte

"Ich wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg und Millione Tote. Frauen, Kinder. Mir egal. Hauptsache es geht los. Insbesondere würde ich laut lachen, wenn sowas auf der Gegendemo passieren würde. Tote, Verkrüppelte. Es wäre so schön. Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen. SIEG HEIL!"

"Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde."

(G., ein Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten und Stellvertretenden AfD-Vorsitzenden in Baden-Württemberg, Christina Baum, die dessen private Aussagen bei Facebook für politisch nicht relevant hält.)

Anmerkung: Der AfD-Mann bestreitet die Aussagen, hält sie für Fälschungen und hat vor Gericht gegen Kontext geklagt. In erster Instanz erfolgreich, weshalb die Links zu den ursprünglichen Artikeln vorläuftig nicht mehr abrufbar sind.

Nachtrag: die Zeitung Kontext hat mittlerweile in zweiter Instanz Recht bekommen, der Name darf wieder genannt und der Artikel verbreitet werden.

Freitag, 20. April 2018

Gaus und Arendt

Der Journalist Günter Gaus spricht mit Hannah Arendt. Es ist die erste Frau in seiner Reihe "Zur Person" - und knapp 20 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches auch eine der ersten großen unter Hitler verstoßenen und der Vernichtung entgangenen Deutschen.

Die Philosophin erklärt in diesem Interview aus dem Jahr 1964 unter anderen, weshalb sie sich nicht als solche versteht, wie sie als Jüdin die NS-Zeit geprägt hat, warum sie in ihrer Beobachtung des Eichmann-Prozesses den Beschuldigten als "Hanswurst" wahrgenommen hat und bisweilen laut lachen musste.

Ein ungemein dichtes, aber zugleich unterhaltsames Gespräch, das in dieser Form im heutigen Fernsehen undenkbar ist. Und das nicht nur, weil die beiden in den 72 Minuten etwa ein Dutzend Zigaretten rauchen.

Täter in Uniform

Bei der Einhaltung der Menschenrechte ist Deutschland keineswegs in allen Bereichen der Klassenprimus, für den er sich gerne hält. Besonders deutlich zeigt sich das am Umgang der Justiz mit Tätern in Uniform.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar", heißt es im Grundgesetz. Nicht selten sind es aber gerade staatliche Exekutivorgane, die gegen dieses oberste Grundrecht verstoßen.

Wenn etwa Polizisten mit dem Knüppel gegen unbescholtene Bürger vorgehen, diese in den Zellen misshandeln, rassistisch beleidigen und es bisweilen sogar zu Mord und Totschlag im Dienst kommt.

Dass auch hierzulande Menschenrechte im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten werden, hat nicht zuletzt der UN-Menschenrechtsrat wiederholt festgestellt - und dafür als Beispiel den Umgang mit der NSU-Mordserie angeführt.

An wen wenden bei Polizeigewalt?

Wer Polizisten zum Opfer fällt, hat ein großes Problem: An wen soll er sich mit seiner Anzeige wenden? Die Polizei? Wohl kaum. Weshalb viele Opfer die Taten einfach hinnehmen, die Dunkelziffer also sehr hoch sein dürfte.

Wer diesen Schritt dennoch wagt, hat es in Deutschland vor Gericht schwer. Polizeibeamte werden nur in den seltsten Fällen für Körperverletzungen im Amt verurteilt. Wenn Aussage gegen Aussage steht, gilt das Wort eines Staatsdieners in der Regel als glaubhafter.

Dafür erhalten die Opfer in der Regel umgehend eine Gegenanzeige, in der ihnen Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung oder Beleidigung vorgeworfen wird. Was vor deutschen Gerichten deutlich häufiger zu einer Verurteilung führt als Anzeigen gegen Polizisten. So können staatliche Opfer in unserem Rechtsstaat schnell zu Tätern werden.

Amnesty fordert unabhängige Anlaufstelle

Obwohl Amnesty International schon lange eine unabhängige Anlaufstelle für die Opfer fordert (damit dieses sich nicht an die Polizei wenden müssen), gibt es diese bislang in keinem einzigen Bundesland. Auch die Bundesregierung sieht hier nach wie vor keinen Handlungsbedarf. Statt struktureller Polizeigewalt sieht diese nur bedauerliche Einzelfälle.

Dass es in Deutschland durchaus ein strukturelles Problem gibt, verdeutlicht das SWR2-Radiofeature "Täter in Uniform - Polizeigewalt in Deutschland". Dem Zuhörer geht es dabei ähnlich wie den im Beitrag erwähnten Opfern: Er ist geneigt, ein bisschen den Glauben an diesen Rechtsstaat zu verlieren.

(Von dem dürfte - zumindest in Bayern - demnächst nicht mehr allzu viel übrig bleiben, wenn das, so Heribert Prantl "schärfste, umfassendste, grundrechtsverbrauchendste Polizeigesetz der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte" tatsächlich verabschiedet werden sollte.)

Freitag, 13. April 2018

Impressionen No. LIII: Kontraste

(Puno, Peru)

(Schillerplatz, Stuttgart)

  
 Achtlos.
(Wasenmühle, Urbach)

Avril 14th.
(Stadtbibliothek, Stuttgart)

Die Zerreißung der Stille am Mittag

In memoriam Seamus Heaney

Wieder das Scharren in der Luft, Gitarren
Aus Stacheldraht, weit übers Land gespannt.
Zikadenfunk, Telephonie der Gliederfüßler,
Die sich die Beine wetzen, sandpapierne Zungen.

Was alles mitschwingt im Gezirp: Befehle
Marschierender Legionen, Peitschenhiebe
Über den Köpfen wilder Söldnerhaufen, Rasseln
Uralter Schlüssel, keiner passt mehr, Haß-

Parolen und Zitate von Cäsaren.

Tief in die Landschaft sägt sich das und kündigt
Vergangene Zukunft an - Vandalenzüge
Und Plünderungen, Feuersbrünste, alles das,
Wovon nur dieses Scharren blieb,
Das in der Luft steht vor den Toren Roms,
Ein Wirbel brennender Papiere -

Zerrissenes, Zerrissenes.

(Durs Grünbein)

Samstag, 31. März 2018

Zwischen zwei Welten

Spätestens seit dem gescheiterten Putsch im Juni 2016 geht ein gesellschaftlicher Riss nicht nur durch die Türkei, sondern auch durch dieses Land. Ein Riss, der Bio-Deutsche und Deutsch-Türken genauso voneinander entfremdet, wie die türkischstämmige Community und ihre Familien.

Alte Klischees flammen dabei auf; vermeintliche Loyaltitäten, die bislang kaum eine Rolle gespielt haben, werden plötzlich zu existenziellen Fragen; einstige Freunde werden zu Feinden, tolerante Mitmenschen zu Rassisten; Menschen, die sich längst deutsch gefühlt haben plötzlich wieder zu Türken - und manch einer, der sich längst im akademischen Establishment angekommen wähnte gar zum fanatischen Anhänger des Turanismus.

Ein absolut hörenswertes ARD Radio Feature von Sammy Khamis geht diesen Befindlichkeiten nach und zeichnet das Bild einer innerdeutschen deutsch-türkischen Beziehung, die wahrlich schon mal bessere Zeiten erlebt hat.

Freitag, 30. März 2018

Matthäus-Passion



Zum Karfreitag: Johann Sebastian Bachs meisterhaftes Oratorium in einer Interpretation von Masaaki Suzuki und dem Bach-Collegium Japan.

Montag, 19. März 2018

Der Störenfried

Der Vorhang wich. Im Saale wurd es stiller.
Das Licht ging aus, die letzte Türe zu.
Man gab was Altes, Lessing oder Schiller,
doch Altes läßt den Neuen keine Ruh.

Nach fünf Minuten kam der erste Nackte.
Auf seinem Rücken stand in Braun: SA.
Braun war auch das, was er dann schreiend kackte
auf jenen Abort, der mal Bühne war.

Urin? Gab’s auch. Ein Yeti wurd geschlachtet,
zwei Hauptpersonen liebten sich im Blut.
Ich hab nicht weiter auf das Stück geachtet:
Ich mußte husten. Das kam gar nicht gut.

Ich mußte husten! Just als zweie kotzten.
Ich weiß, daß sich das wirklich nicht gehört:
Man hustet nicht. Die Hauptpersonen glotzten,
auch’s Restensemble fühlte sich gestört.

Mit seinen Blicken streute es die Asche
mir bös aufs Haupt, das Haupt des Trampeltiers.
Ein Hustenbonbon zog ich aus der Tasche.
Jedoch wie laut das Knistern das Papiers!

Die um mich saßen, ballten ihre Hände
in Wut zur Faust und schlugen auf mich ein.
Die auf der Bühne kamen bald zum Ende:
Ein Punker-Papst gebar ein wildes Schwein.

Ich hab das Stück, und wie es hieß, vergessen.
Ich weiß nur die Moral von dem Gedicht.
Mag auch ein Störenfried gern Kreide fressen:
Die sich an nichts mehr stören, stört er besser nicht.

(Thomas Gsella, 2011)

Samstag, 24. Februar 2018

Mixtape No. 16: Miles smiles



EIN MILES DAVIS-MIXTAPE

1. Right off (A tribute to Jack Johnson, 1971)
2. Shhh / Peaceful (In a silent way, 1969)
3. Miles runs the voodoo down (Bitches Brew, 1970)
4. Agitation (E.S.P., 1965)
5. All blues (Kind of blue, 1959)
6. Two bass hit (Milestones, 1958)
7. Boplicity (Birth of the cool, 1957)
8. Black satin (On the corner, 1972)
9. Footprints (Miles smiles, 1967)
10. Directions (Black beauty: Live at Filmore East, 1973)
11. So what (Kind of blue, 1959)
12. Bitches brew (Bitches brew, 1970)

...die ganze Youtube-Playlist gibt es hier.

Freitag, 23. Februar 2018

Lokalpolitik als Farce

Im Remstal wird gerade vielerorts ein neuer Bürgermeister gewählt. Eine eigentlich normale, kaum erwähnenswerte Sache in einer Demokratie, die hier auf der kleinsten Ebene Bürger mitenscheiden lässt. Doch vor allem in einer Kommune ist gerade gar nichts mehr normal.

In diesen stürmischen Zeiten, da ein Mann mit dem Verstand eines Siebenjährigen das mächtigste Land der Welt regiert, im Bundestag Abgeordnete sitzen, die nach der Rede einer Auschwitz-Überlebenden nicht applaudieren und die einem deutschen Journalisten eben das absprechen (nämlich Deutscher und Journalist zu sein), ist offenbar vieles möglich, was noch vor kurzem undenkbar schien.

Und so entpuppten sich auch die Bürgermeisterwahlen in der Gemeinde Plüderhausen, die seit 32 Jahren von einem Parteilosen regiert wird, schnell als ein unerwartetes, bisweilen bizarres Spektakel, das es in dieser Form in dieser Gegend zuvor wohl noch nie gegeben hat. Und dem man als Beobachter bisweilen fassungslos gegenüber stand.

Der kleine Trump und die großen Verschwörungen

Es traten auf: ein illustrer Unternehmer, der mit Erotikclips reich wurde, einst einen Fernsehsender mit viel Esoterik und Narzissmus betrieb, sich seit geraumer Zeit mit "Seine Heiligkeit" ansprechen lässt und zugleich das Vereinigte Heilige Deutsche Königreich ausgerufen hat (ein immaterielles Reich, wohlgemerkt). Der SWR nannte ihn, der sich selbst als "Christbuddhist" bezeichnet, deshalb kürzlich den "Trump von Plüderhausen".

Des weiteren eine Dame, die eigentlich Bundeskanzlerin werden möchte, sich aber in mittlerweile rund 50 Gemeinden um das Bürgermeisteramt bewirbt. Die nicht nur Pizzagate für wahr hält, sondern auch an vergleichbare Verschwörungen in Deutschland glaubt. Im Internet mit zahlreichen skurrilen Videos präsent ist. Und wenn sie denn gewählt werden sollte, eigentlich nur eines verspricht: nicht regieren zu wollen. Die sich mit jenem illustren Unternehmer verbündete, eine Doppelspitze ankündigte, nur um kurz vor der Wahl dann mit "seiner Heiligkeit" zu brechen.

Außerdem ein Herr, der sich bereits mehrfach erfolglos um ein solches Amt beworben hat, aus dem Badischen stammt und von allen Mitbewerbern am ehesten als seriöser Kandidat gelten darf. Offensichtlich aber weder das Format noch die Kompetenz für das Amt mitbrachte.*

Ganz anders hingegen jener bereits erwähnte Unternehmer. Dieser gebierte sich während des Wahlkampfs als Aufklärer, witterte Verschwörungen zwischen Presse und Bürgermeister, verlangte aber für einen Auftritt bei einer Wahlveranstaltung der Lokalzeitung 75 000 Euro Gage - und verweigerte, weil er diese nicht bekam, den Platz auf der Bühne, blieb stattdessen beleidigt in der ersten Reihe sitzen. Im Anschluss erklärte er dann mehrfach, doch nicht Bürgermeister werden zu wollen. Belagerte aber trotzdem nahezu täglich das Rathaus, filmte dort mit dem Smartphone und stellte die Aufnahmen ungefragt ins Netz. Zeitgleich bewarb er sich in der Nachbargemeinde um das höchste politische Amt.

Stellenweise glich dieser Wahlkampf einer schlechten Seifenoper. Wir dürfen gespannt sein, ob sich im Nachbarort bald vergleichbares anbahnt. Denn auch dort hat sich neben dem Unternehmer die Dame mit den skurrilen Videos beworben.

Um eines klarzustellen: All das ist in einer Demokratie durchaus erlaubt. In kleinen Kommunen kann sich quasi jeder (auch ohne Unterschriften von Unterstützern) auf das Amt des Bürgermeisters bewerben. Und dass sich viele Bewerber finden, ist an sich auch ein gutes Zeichen. Lokalpolitik wird aber in dem Moment zur Farce, wenn von den Kandidaten kaum einer die Kompetenz und das nötige Verständnis für die Aufgaben eines Schultes hat.

Bürgermeister - eigentlich kein attraktiver Job

Denn: Eine Kommune zu führen ist in den seltensten Fällen ein Amt, in dem man glänzen kann. Große Projekte sind die Ausnahme, dafür hohe Schulden eher die Regel. Hinzu kommen die Vorgaben aus höheren politischen Ebenen und der Umstand, dass die Gemeinderäte stets das letzte Wort haben, duchzuregieren also in den seltensten Fällen möglich ist. Dafür sind Bürgermeister häufig abends und am Wochenende unterwegs, haben lange Gemeinderatssitzungen und müssen sich schnell in komplizierte juristische Fachbereiche einarbeiten.

Kurz gesagt: Bürgermeister zu sein ist (von der ordentlichen Bezahlung abgesehen) eigentlich kein besonders attraktiver Job. Dass sich immer häufiger Kandidaten um das Amt bewerben, die dafür offensichtlich nicht qualifiziert sind, zeugt von einem Verständnis von Politik, lokaler zumal, das wenig mit der Realtität zu tun hat.

Die Krise der Demokratie, die auf den höheren politischen Ebenen längst offensichtlich ist, hat, das verdeutlicht das Beispiel Plüderhausen, auch die Kommunen erreicht. Was kein gutes Zeichen für den Zustand dieser Republik ist. Es wäre dem Amtsinhaber (und vor allem der Gemeinde) ein Wahlkampf mit ernst zu nehmenden Mitbewerbern zu wünschen gewesen. Bleibt nur zu hoffen, dass am Ende die politische Klugheit bei allen Beteiligten siegt. Der Demokratie und den Bürgern wäre damit allemal geholfen.

Nachtrag:
Hat die politische Klugheit gesiegt? Entscheidet selbst

*...und danach nicht einmal die Größe, seine Niederlage auch einzugestehen und dem Sieger zu gratulieren...

Donnerstag, 22. Februar 2018

Nachrichten nach dem Wiki-Prinzip

Die aktuelle Startseine von Wikitribune (Screenshot)
Nachrichten kommen von Journalisten? Diese eigentlich profane Frage wird von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales gerade ganz anders beantwortet. Der US-Amerikaner hat von dem Geschäft recht basisdemokratische Vorstellungen - und deshalb eine Plattform gestartet, auf der die Leser explizit auch an den Artikeln mitschreiben und eigene verfassen dürfen. 

Noch ist das Projekt wohlgemerkt in der Pilotphase. Doch die ersten Artikel zeigen: Es könnte funktionieren. Die englischsprachigen Texte sind nüchtern, sachlich und mit vielen Fußnoten versehen. Meist haben wenig mehr als fünf Personen etwas an ihnen geändert. (Eigene Beiträge der Leser sind aber noch kaum zu finden.)

Auch in den Diskussionen, die es zu den Texten gibt, ist wenig von dem zu spüren, das Zeitungsverlage umtreibt, bisweilen auch quält: Argwohn, Hass und die Neigung, Berichten der Presse zu misstrauen, sofern sie dem eigenen Weltbild zuwider laufen.

13 Redakteure, 7700 angemeldete Nutzer

Wohl auch, weil laut Süddeutscher Zeitung Wikitribune, so der Name des Mediums, erst 7700 angemeldete Nutzer hat. Und diese vermutlich zu einem großen Teil aus dem Bestand der Wikipedia-Schreiber stammen.

Die Idee ist, keine Frage, durchaus interessant: Das Wissen der vielen zu nutzen, die oft besser Bescheid wissen als ein einzelner Mensch (und sei es auch seine Profession). Schwarmintelligenz wird so etwas gemeinhin genannt. Nachrichtentexte zudem an aktuelle Gegebenheiten anzupassen, aus ihnen also relativ zeitlose, an Fakten orientierte Berichte zu machen. Das klingt spannend.

Doch lässt sich das tatsächlich für ein so heiklen Bereich wie Nachrichten verwirklichen? Es sind zumindest Zweifel angebracht. Weshalb auch Jimmy Wales 13 Redakteure beschäftigt, die ihr Handwerk durchaus verstehen.

Fakten - oder Ärger und Frust?

Wer Diskussionen auf Nachrichtenseiten (oder gar sozialen Medien) professionell begleiten muss, hat nämlich die gegenteilige Erfahrung gemacht: Dass nicht das sachliche Argument zählt, sondern die laute Rede, das Zuspitzen, die Polemik - und der Verdacht, der zuständige Redakteur sei bezahlt oder gar von der hohen Politik instruiert.

Selten kann auch ich mich daher an eine Online-Diskussion auf den Plattformen meines Arbeitgebers erinnern, aus der ich mehr gezogen hätte als Ärger und Frust.

Indes: Das Beispiel Wikipedia zeigt, dass solch ein Open Source-Projekt (notwendig ist lediglich eine Anmeldung als Nutzer mit Emailadresse) durchaus funktionieren kann.

Ob Nachrichten nach dem Wiki-Prinzip auch langfristig von Mehrwert sind, diesen Beweis ist der Wikipedia-Gründer natürlich noch schuldig. Vorerst wird das Projekt an dieser Stelle aber wohlwollend und interessiert beobachtet. 

"Stuttgart ist eine beschädigte Stadt"



"Stuttgart ist eine beschädigte, eine menschenfeindliche Stadt. Die Bahnhofs-Baustelle im Herzen der Stadt: Dass die grüne Administration, der Oberbürgermeister und der Ministerpräsident, nicht in der Lage ist, den Bürgern diese noch Jahre dauernde Zumutung zu ersparen, ist eine Schande. Dazu der Autowahn. Wenn Sie die Stadt betreten, wissen Sie, wer hier die Macht hat. Die Macht haben Daimler und Porsche. Stuttgart ist im Augenblick eine absolute Katastrophe."

Claus Peymann im Interview mit der Stuttgarter Zeitung (22. Februar 2018)




Samstag, 17. Februar 2018

Das kulturbefördernde Füll

Ein wünschbar bürgerlich Idyll
erschafft, wenn du ihn trägst, der Füll.

Er kehrt, nach Vorschrift aufgehoben,
die goldne Spitze stets nach oben.

Wärst du ein Tier und sprängst auf Vieren,
er würde seinen Saft verlieren.

Trag einen Füll drum! (Du verstehst:
Damit du immer aufrecht gehst.)

(Christian Morgenstern)

Sonntag, 11. Februar 2018

Die Parteien von innen heraus verändern

Personaldebatten, Koalitionsvertrag oder GroKo - Ja/Nein? Alles nur Strohfeuer! Mein Kommentar vor der Wahl gilt nach wie vor: Die Parteien müssen von innen heraus verändert werden!

Über mögliche Anreize für die Jugend habe ich (ebenfalls vor der Wahl) mit Politikwissenschaftler Uwe Jun gesprochen:

Herr Prof. Jun, einst galten Jugendorganisationen als kritische Mahner gegenüber ihren Mutterparteien. Ist das heute noch so? 

Kritische Mahner sind sie auch heute noch. Wenn Fundamentalkritik an der eigenen Partei kommt, dann in der Regel von den Jugendorganisationen. Sie sind diejenigen, die die reine Lehre der Parteien hochhalten. Allerdings sind sie von der Quantität her eher eine Randerscheinung geworden. Dabei gilt: Umso ländlicher eine Region, desto schwerer wird es, junge Mitglieder zu gewinnen. In den großen Städten sind sie aber durchaus noch präsent.

Junge Menschen sind schwer für Parteipolitik zu begeistern. Woran liegt das?

Dafür gibt es vielfältige Gründe. Zunächst einmal hat sich das Freizeitverhalten individualisiert. Vieles spielt sich heute online ab. Offline-Aktivitäten sind viel schwieriger zu organisieren. Außerdem haben sich die Lebensstile pluralisiert. Junge Menschen sind deshalb heute nicht mehr so leicht bereit, sich für längere Zeit in Großorganisationen zu engagieren. Außerdem gelten Parteien nun mal als uncool, unsexy und von Älteren dominiert.

Oft ist die Rede von einer generell unpolitischen Jugend. Was sagt die Politikwissenschaft dazu? 

So pauschal lässt sich das nicht sagen. Das politische Interesse läuft aber sehr stark auseinander. Auf der einen Seite gibt es jene, die sich intensiv mit Politik auseinandersetzen, auf der anderen Seite solche, die daran überhaupt nicht interessiert sind. Generell ist das Politikinteresse bei jungen Menschen aber eher punktuell und an bestimmten Themen orientiert. Event-Ereignisse wie die Großdemonstrationen gegen TTIP haben es da leichter als grundsätzlich auf Dauer angelegte Parteien. Außerdem hat sich das Partizipationsverhalten inzwischen geändert. Einen Politiker bei Facebook liken, das verstehen heute manche schon als Form politischer Teilhabe.

In Großbritannien haben Zehntausende junge Menschen die sozialdemokratische Labour-Partei von unten gekapert. Wäre so etwas in Deutschland auch denkbar?


Im Moment halte ich das für eher unrealistisch. Denn hierbei handelt es sich um ein spezifisch britisches Phänomen, das sich durch die starke soziale Ungleichheit, extrem hohe Studiengebühren und eine verbreitete politische Unzufriedenheit erklären lässt. Deutschland ist im Gegensatz dazu ein Hort der Stabilität in Europa. Mehr als 80 Prozent der Bürger sind im Moment zufrieden mit ihrer sozialen Situation. Und selbst wenn sich das ändern sollte, wonach es im Moment aber nicht aussieht, ist noch nicht absehbar, ob sich die Unzufriedenheit innerhalb der bestehenden Organisationen äußert oder sich vielmehr gegen die Etablierten richtet, wie wir das gerade in Frankreich erleben.

Was können Jugendorganisationen tun, um mehr junge Menschen als Mitglieder zu gewinnen?


Sie könnten den Bürgern mehr Partizipationsmöglichkeiten anbieten und zum Beispiel direktdemokratische Elemente innerhalb der Parteien stärken. Mehr Mitgliederbeteiligung wäre ein starker Anreiz, einzutreten. Die Parteien würden dann vielleicht wieder mehr etwas mehr Boden unter die Füße bekommen.

(Das Interview erschien am 16. September 2017 zuerst in den Schorndorfer Nachrichten)

Freitag, 9. Februar 2018

Impressionen No. LII: Retrospektiv


 Smerdjakov und die Schuld.


 In der Schwarzwaldhölle.


 An der Schwelle.

Ein Wort
Ein Wort, ein Satz - aus Chiffren steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen,
und alles ballt sich zu ihm hin.

Ein Wort - ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich -
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.
 (Gottfried Benn, 1941)


Mittwoch, 31. Januar 2018

Knausgards Kampf

 

760 schonungslos offene Seiten über das oft komplizierte, bisweilen auch tragische Familienleben eines weißen, männlichen Schriftstellers - ist das nun große Literatur oder banale Selbstbespiegelung? Nach der Lektüre von "Lieben", dem zweiten Band des  autobiographischen Projekts von Karl-Ove Knausgard fällt die Antwort darauf gar nicht so leicht. 

Denn dieser Roman enthält beides: Höchst banale Alltagsbeschreibungen (Brote schmieren, Kaffee trinken, Windeln wechseln, Zeitung lesen, auf dem Balkon rauchen), aber auch kluge, essayistische Gedanken über das Leben, die Literatur und den schier unmöglichen Versuch, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen und dabei sich auch noch literarisch selbst zu verwirklichen.

Der norwegische Schriftsteller Karl-Ove Knausgard (Jahrgang 1968) ist in diesem Band frisch nach Schweden ausgewandert, hat sich dort in seine zweite Frau verliebt und steckt in einem Dilemma: Er hadert mit seinem bisherigen Schaffen und weiß nicht so recht, worüber er schreiben soll. Das einzige, was für ihn feststeht: Dass er unbedingt schreiben will, denn nur beim Schreiben ist er wirklich glücklich. Und so kämpft er sich schreibend frei, indem er seinen Alltag literarisiert. Und dabei keine Rücksicht auf Familie und Freunde (die er mit Klarnamen benennt) nimmt, am allerwenigsten aber auf sich selbst.

Permanente Selbstzweifel

Wirklich kein Detail ist ihm zu peinlich, um es wegzulassen. Der Leser erfährt alles: dass seine Frau eine bipolare Störung hat, seine Schwiegermutter heimlich Schnaps trinkt, während sie auf seine Kinder aufpasst. Er selbst sich gerne bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt, nur um zu vergessen. Wir lesen, wie schwer ihm der Alltag mit vier Kindern fällt, er sich dabei permanent nach seiner einsamen Hütte sehnt, wo er schreiben kann - und dabei doch beständig an sich und seinen Fähigkeiten als Schriftsteller zweifelt.

Wir können dabei zusehen, wie aus stürmischer Liebe kalter, trister, von Streit geprägter Alltag wird. Und erfahren, welche Bücher Knausgard liest, welche Autoren ihn geprägt haben. Wir können manch klugem Gespräch mit Freunden folgen und zugleich banalsten Small Talk lesen. Lernen dabei, wie groß die Unterschiede zwischen Norwegen und Schweden doch sind - weshalb der Autor in seiner neuen Heimat im Alltag meist lieber die Klappe hält.

Das liest sich, so deprimierend und voller Längen die Lektüre auch ist, erstaunlich leicht. An vielen Stellen kann sich der Leser in diesem nicht allzu außergewöhnlichen Leben eines weißen Europäers auch durchaus wiederfinden (sofern er selbst einer von ihnen ist).

Der passende Originaltitel: Min Kamp

Doch bleibt die Frage: Ist das nun große Literatur? Zumal "Lieben" ja nur ein Teil des sechsbändigen Zyklus ist, der es insgesamt auf mehr als 3000 Seiten bringt und im Original den Titel "Min Kamp" trägt. Knausgard also explizit Bezug nimmt auf Hitlers grauenhaft wehleidig geschriebene, doch wirkungsmächtige Autobiographie (worauf er im letzten Band "Kämpfen" näher eingeht). Der mit einer ausführlichen Beschreibung des eigenen Vaters beginnt. Einem Menschen, der Karl-Oves Existenz permanent in Frage stellt, schließlich dem Alkohol verfällt und daran jämmerlich zu Grunde geht.

Keine Frage, der Titel ist klug gewählt. Denn es handelt sich bei dem Roman-Projekt tatsächlich um einen Kampf: Knausgards Kampf mit sich selbst, seiner Geschichte, seinem Leben, dabei die Blumfeld'sche Frage stellend: "War das etwas schon alles?" Ein Kampf, der nach tausenden von Seiten mitnichten zu Ende ist. Auch die folgenden Bücher des Norwegers sind autobiographisch.

Mehr Verdichtung, bitte!

Banal ist das keineswegs. Vieles aus dem zweiten Band "Lieben" klingt nach, bleibt haften. Etwa der verzweifelte Moment, als er sich bei einem Schriftstellertreffen betrunken nachts das Gesicht mit dem Messer zerschneidet und die Scham am nächsten Morgen schier unerträglich wird.

Um große Literatur handelt es sich dabei aber auch nicht. Dazu fehlt es dem opulenten Werk an literarischer Stringenz. Ein sorgsamer Lektor hätte sicher etliche Passagen kürzen können, ohne dass es dem Buch geschadet hätte. So schweigsam und schüchtern Knausgard in der Realität auch sein mag: Das größte Problem dieses durchaus lesenswerten Romans ist seine Geschwätzigkeit.

Mittwoch, 24. Januar 2018

Mixtape No. 15: Meister und Idiot


1. Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi - Im Labyrinth (2017)
2. grim104 - 2. Mai (2013)
3. Tocotronic - Electric Guitar (2017)
4. Faber - In Paris brennen Autos (2017)
5. Sonic Youth - Incinerate (2006)
6. Palm - Dog milk (2018)
7. The Smiths - How soon is now (1985)
8. The Fall - The classical (1982)
9. Dinosaur Jr. - Sludgefeast (1987)
10. Shellac - Watch song (2000)
11. Tortoise - Swung from the gutters / Don't look back (live, 2013)
12. Logh - The smoke will lead you home (2005)

...und hier wie immer das Mixtape als Youtube-Playlist.

Montag, 22. Januar 2018

High Fidelity No. 9: Reflexe und Reflexionen


Meine Bücher des Jahres 2017:
1.  Martin Walser - Ehen in Philippsburg
2. Jerome Leroy - Der Block
3. Alec Ash - Wish lantern
4. Oliver Nachtwey - Die Abstiegsgesellschaft
5. Thomas Wagner - Die Angstmacher

BELLETRISTIK:

Teju Cole - Jeder Tag gehört dem Dieb: Nüchtern geschriebene Novelle über die Rückkehr eines Emigranten nach Lagos und seine innere Zerissenheit zwischen alter und neuer Heimat. Ein etwas flüchtiges Buch mit vielen Schwarz-Weiß-Fotografien von Cole, der selbst in Nigeria aufgewachsen ist.

Philip Roth - The plot against America: In den 40er Jahren wählen die US-Amerikaner einen Faschisten zum Präsidenten, der sich direkt mit Hitler verbündet. Doch ist er (der Flugpionier Lindbergh) wirklich eine Gefahr für die amerikanischen Juden? Es gibt nämlich auch unter ihnen welche, die ihn unterstützen. Die Familie des Protagonisten, die darüber langsam zerbricht, nicht. So schnörkel- wie schonungslos beschreibt Roth den unaufhaltsamen Niedergang der Familie.

Paul Auster - City of glass: Der erste, sehr gute Teil seiner New York-Trilogie ist ein großes Verwirrspiel, dreht sich um Fragen der Identität und darüber, wie sehr wir unseren Wahrnehmungen trauen können.

Martin Walser - Flugzeuge über dem Haus: Walsers Erstling ist noch sehr geprägt von Kafka, über den er einige Jahre zuvor promovierte. Lesenswert, aber entsprechend kafkaesk sind die gleichnishaften Kurzgeschichten, die gegen Ende hin immer absurder werden.

Martin Walser - Ehen in Philippsburg: Ein wirklich großer deutscher Nachkriegsroman, der im fiktiven Philippsburg spielt, aber (wie ich erst nach der Lektüre erfahren habe) eigentlich Stuttgart in den späten 50er Jahren zeigt (vieles davon trägt wohl autobiografische Züge, schließlich hat Walser eine Zeit lang beim SDR gearbeitet). Dabei zeichnet Walser ein Sittenbild der Wirtschaftswunderzeit, in dem die Schrecken der jüngsten Vergangenheit nur subkutan spürbar sind und in der bei aller spießigen Enge doch ebenso Fürchterliches zu Tage tritt.

Martin Walser - Jenseits der Liebe: Jenes Buch, das Reich-Ranicki (nicht ganz zu unrecht) in der  FAZ so großartig verriss, dass der Autor ihn später literarisch sterben ließ. Stammt aus der kurzen Phase, in der Walser mit dem Kommunismus liebäugelte. Entsprechend hölzern wirkt der Versuch einer Kritik der Arbeitswelt anhand der Arbeitsbiografie des scheiternden Franz Horn.

Martin Walser - Meßmers Gedanken: Eine Sammlung von Aphorismen, die sich mehrmals zu lesen lohnt und in der Walser nicht nur kluge (wenn auch oft widersprüchliche) Sätze formuliert, sondern auch ziemlich offen über seine Schwächen spricht.

Riad Sattouf - Der Araber von morgen, Teil 3: Der dritte Teil der großartigen Graphic Novel, in der Riad Sattouf seine Kindheit zwischen Frankreich und dem Nahen Osten beleuchtet, spielt diesmal größtenteils in Syrien und ist so großartig wie die beiden vorherigen Teile. Weitere werden folgen.

Udo Stein - Mythos Neuseeland: Musste ich für die Arbeit lesen und rezensieren. Der Autor ist emeritierter Professor, lebte lange und arbeitete lange Jahre in Neuseeland und dekonstruiert anhand dieses Romanes den Mythos von Neuseeland als schönster und nettester Fleck der Erde, der sich sowohl innerhalb des Landes als auch bei den Touristen anhaltender Beliebtheit erfreut.

Jerome Leroy - Der Block: Es ist die entscheidende Nacht für den Patriotischen Block: Draußen tobt der Bürgerkrieg, drinnen verhandelt die rechtsradikale Partei über die Regierungsbeteiligung. Wir erleben diese Nacht anhand der Innenansichten eines Parteiintellektuellen, dessen Frau mitverhandelt. Und seines Freundes, des obersten Parteischlägers, der bei einer parteiinternen Säuberungsaktion aus dem Weg geschaffen werden soll und auf der Flucht ist. Der Autor will gar nicht verhehlen, dass er in Teilen über den Front National schreibt. Ein packendes Buch, das einen Tief in die Abgründe rechtsradikalen Denkens führt, aber auch dabei hilft, seinen Erfolg zu verstehen.

Peter Handke - Die Angst des Tormanns beim Elfmeter: Auch bei der zweiten Lektüre hat sich mir die viel beschworene Größe dieses kleinen Buches leider nicht erschlossen.

Irmgard Kleinle-Schneider - Es kann vor Abend anders werden: Musste ich für die Arbeit lesen und rezensieren. Halbautobiografische Lebensgeschichte einer Frau, die das Schicksal hart erwischt, die tief fällt und dank Gottes Hilfe und ihren starken Willen doch noch glücklich wird.


SACHBUCH:

Oliver Nachtwey - Die Abstiegsgesellschaft:
Eine luzide soziologische Analyse, die sich obendrein noch gut liest. Sollte auch der ein oder andere linke Politiker mal zur Hand nehmen. Nachtwey zeichnet recht gut nach, wie sich diese Gesellschaft von einer Aufstiegs- in eine Abstiegsgesellschaft gewandelt hat, welche Konsequenzen das hat - und warum sich das gar nicht so leicht ändern lässt.  

Alec Ash - Wish lantern: Ein tiefer Einblick in das Leben junger Menschen in China. Sehr unterschiedlicher Menschen (von einfachen Bauernkindern bis zur Tochter eines Parteikaders), die der Autor lange begleitet und ihren Werdegang in einem halbliterarischen Stil porträtiert hat. Wer etwas über den Alltag in China erfahren möchte, sollte unbedingt "Wish lantern" lesen. Danach sind alle Klischees über "die Chinesen" im Kopf wie weggeblasen.

Michael Winterhoff - Warum unsere Kinder Tyrannen werden: Ein Buch, das lieber nicht lesen sollte, wer Kinder hat (oder mit ihnen arbeitet). Winterhoff zeichnet ein sehr düsteres Bild der Mädchen und vor allem Jungen, die in Deutschland leben. Vielleicht, weil er als Psychotherapeut ja nur mit Problemfällen zu tun hat. Glücklicherweise hatte ich das Buch nur aus der Bücherei geliehen.

Constantin Schreiber - Inside Islam: Was auch für dieses Buch gilt, das den Besuch deutscher Moscheen in einem reißerischen Ton als eine Art Safari zu den Wilden beschreibt. Immerhin aber Einblicke bietet in das, was in deutschen Moscheen so gepredigt wird. Ganze Predigten in deutschen Übersetzungen inklusive.

Robert & Sarah Levine - Do parents matter? Ein wirklich tolles, fundiertes Buch zweier Ethnologen, die Jahrzehnte lang Erziehungsarten weltweit beobachtet haben. Und die zu dem Ergebnis kommen, dass der Einfluss der Eltern nicht überschätzt werden sollte. Dass gänzlich konträre Formen der Erziehung das gleiche Ergebnis zur Folge haben können. Und dass es daher nicht die eine, richtige geben kann.

Robin Alexander - Die Getriebenen: Zeichnet minutiös nach, wie Politik und Medien im Herbst auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise agierten: ziemlich getrieben. Widerlegt dabei die These, dass die Kanzlerin aus Überzeugung die Willkommenskultur ausrief. Die Grenzschließung, so Alexander, war wohl von Merkel schon fast beschlossene Sache. Im entscheidenden Moment hatte sich aber in der Regierung niemand getraut, auch die Konsequenzen dafür zu übernehmen.

Tuvia Tenenbom - Allein unter Flüchtlingen: Tenenbom ist bekannt für seine Recherchereisen, bei denen er einfachen Menschen begegnet und in durchaus in witziger Art und Weise daraus Bücher strickt. Zuletzt über die Amis, diesmal über die Deutschen, die Flüchtlinge und die Umgang der einen mit den anderen. Der israelische Jude Tenenbom spricht arabisch und kommt deshalb ziemlich nah ran. Das Bild ist an vielen Stellen ziemlich hässlich. Dennoch: Tenenbom wird, wie ich finde, zu Unrecht von den Rechten vereinnahmt.

Peter Kuntze - Chinas konservative Revolution: SZ-Autor im Ruhestand, der in diesem Büchlein, erschienen in einem rechten Kleinverlag, recht klug über die konservative Wende im kommunistischen China schreibt.

Rolf Peter Sieferle - Finis Germania: Hat letztes Jahr einen peinlichen Literatur- und Medienskandal ausgelöst, der nicht hätte sein müssen. Sieferle war zu Lebzeiten ein respektierter Wissenschaftler, driftete aber vor seinem selbst gewählten Tod hart nach rechts. Diese unsortierten, posthum erschienen Aphorismen tragen nicht viel zum Verständnis der Lage bei, lassen aber gut verstehen, warum Sieferle den Freitod wählte. 

Matthias Rüb - Che Guevara: Ein FAZ-Korrespondent, der eine Che-Kurzbiografie schreibt kann wohl a priori nichts Gutes an dem Revolutionär finden. Rüb versucht, den Mythos zu dekonstruieren, was ihm stellenweise auch gelingt. Beschreibt den Revolutionär dabei sehr unvorteilhaft als keineswegs von der Sache überzeugten, blutrünstigen Rassisten. 

Thomas Wagner - Die Angstmacher: Ein Linker, der die Rechten nicht nur studiert, sondern auch mit ihnen redet und dabei etwas kluges beizutragen hat. Das beste Buch über die Neue Rechte, das ich kenne. Wagner geht dabei ziemlich hart ins Gericht mit seinen Linken - und zeigt überzeugend auf, weshalb 68 nicht nur der Beginn einer (gescheiterten) linken Revolte war, sondern auch das Fundament legte für den Aufstieg der Neuen Rechten.

Philipp Blom - Was auf dem Spiel steht: Der Historiker versucht sich in aller Kürze an einem Rundumschlag zur politischen, ökonomischen und ökologischen Lage. Und sieht uns auf recht düstere Zeiten zusteuern. Blom packt meines Erachtens aber etwas zu viel in diesen sehr dichten Text. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen.

Daniel Schreiber - Nüchtern: An einem Abend in der entsprechenden Stimmung durchgelesen, zum zweiten Mal. Nach wie vor eines der klügeren Bücher über das Trinken - und warum es irgendwann einfach besser ist, damit aufzuhören.

Stefan Zweig - Die Welt von gestern: Anhand seiner eigenen Biografie zeichnet Zweig eine Welt nach, die mit dem Ersten Weltkrieg verschwand: das Habsburger-Reich. Er tut dies aus der Perspektive der heilen Welt eines Bildungsbürger-Haushalts, die von den Wirren der Zeit schwer erschüttert wird. Das Buch endet recht düster mit dem Zeiten Weltkrieg. Zweig starb, bevor Hitler besiegt wurde. Dazwischen schreibt der überzeugte Europäer viel über seinen Werdegang, seine Reisen nach Russland, Indien, Lateinamerika, wenig persönliches ist darin jedoch zu erfahren. Sollte daber vor allem als Lehrstück gelesen werden von all jenen, die unbedingt zur Nationalstaaterei zurückkehren wollen.

Donnerstag, 11. Januar 2018

Der Verlorene

Zwanzig Jahre ist es nun her, dass in Weinstadt ein fünfjähriges Kind in seiner Pflegefamilie verhungerte. Eine Katastrophe, die nach wie vor schwer zu verstehen und zu erklären ist. Kollege Peter Schwarz hat vor einem Jahr einen seiner Leidensgenossen besucht, der das Martyrium damals als Neunjähriger nur knapp (auf gerade mal 11,8 Kilo abgemagert) überlebte - und dessen Dasein bis heute eine Tragödie ist. Zitat: "Die Beine sind ihm krumm gewachsen, Spätfolgen der Unterernährung. Er neigt dazu, H-Milch zu horten, die Tetrapacks reihen sich auf in Reih und Glied wie eine Armee, die gegen den Hunger beschützt."

Die Reportage, in der Schwarz uns so behutsam wie genau in dieses verworfene Leben blicken lässt, wurde kürzlich - völlig zurecht - mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet.

Sonntag, 7. Januar 2018

Die Wanderratten

Es gibt zwei Sorten Ratten:
Die hungrigen und satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.

Sie wandern viel tausend Meilen,
Ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf.

Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl durch die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick,
Die Lebenden lassen die Toten zurück.

Es haben diese Käuze
Gar fürchterliche Schnäuze;
Sie tragen die Köpfe geschoren egal,
Ganz radikal, ganz rattenkahl.

Die radikale Rotte
Weiß nichts von einem Gotte.
Sie lassen nicht taufen ihre Brut,
Die Weiber sind Gemeindegut.

Der sinnliche Rattenhaufen,
Er will nur fressen und saufen,
Er denkt nicht, während er säuft und frisst,
Dass unsre Seele unsterblich ist.

So eine wilde Ratze,
Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;
Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld
Und wünscht aufs neue zu teilen die Welt.

Die Wanderratten, o wehe!
Sie sind schon in der Nähe.
Sie rücken heran, ich höre schon
Ihr Pfeifen – die Zahl ist Legion.

O wehe! wir sind verloren,
Sie sind schon vor den Toren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und keiner weiß Rat.

Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen.
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigentum.

Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,
Nicht hohlwohlweise Senatsdekrete,
Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder,
Sie helfen Euch heute, Ihr lieben Kinder!

Heut helfen Euch nicht die Wortgespinste
Der abgelebten Redekünste.
Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,
Sie springen über die feinsten Sophismen.

Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,
Nur Argumente von Rinderbraten,
Begleitet mit Göttinger Wurst-Zitaten.

Ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten,
Behaget den radikalen Rotten
Viel besser als ein Mirabeau
Und alle Redner seit Cicero.

(Heinrich Heine, 1869)

Samstag, 6. Januar 2018

Impressionen No. LI: Südwest-Winter

Uff em Wald - Irgendwo im Nirgendwo.

Vor 20 Jahren: Hohenlohische Einöde.

Wo die Alb trauft.

Remstal-Aussichten.

Badische Aufstiege.


Freitag, 5. Januar 2018

Kubitscheks Metapolitik


Wenn es um den Aufstieg der Neuen Rechten geht, fällt immer häufiger ein Name: Götz Kubitschek. Eine 3sat-Dokumentation beleuchtet den Einfluss des Aktivisten und Verlegers - und zeigt, wie stark das, was er als Metapolitik bezeichnet, den politischen Mainstream bereits beeinflusst. 

Im Herzen ist Kubitschek immer noch Soldat. In einem "normalen Land" wäre er das auch heute noch, bekennt er in der Doku "Die rechte Wende - Beobachtungen jenseits der Mitte", die sich mit den neusten Entwicklungen innerhalb der intellektuellen Rechten beschäftigt. Aus der Bundeswehr ist der einstige Oberstleutnant längst ausgeschieden. Doch sein Kampf gilt nach wie vor der Verteidigung des deutschen Volkes.

Seit mehr als 15 Jahren arbeitet Kubitschek als Verleger, Journalist und intellektueller Vordenker an einer geistigen Wende. Seit der Flüchtlingskrise (die wie ein "Brandbeschleuniger" für seine Arbeit gewirkt habe) trägt diese Saat langsam auch Früchte. Längst sind Name und Gesicht des anti-bürgerlich rechten Aussteigers über die Szene hinaus bekannt. Was auf seinem Rittergut in Schnellroda metapolitisch (im Sinne eines Kulturkampfes von rechts) entworfen wurde, findet merklich immer mehr Eingang in den politischen Mainstream. (Sogar die New York Times hat ihn deshalb bereits so ausführlich wie präzise porträtiert.)

Am deutlichsten erkennbar ist sein Einfluss am Aufstieg der AfD. Wurde sein Mitgliedsantrag anno 2015 noch abgelehnt, so wirkt Kubitschek durch seinen Verlag Antaios, die Zeitschrift Sezession sowie dem Institut für Staatspolitik heute stärker in die Partei und vor allem ihren rechten "Flügel" hinein, wie er das als Mitglied wahrscheinlich könnte.

Im Grunde ist Parteipolitik dem gebürtigen Oberschwaben aber ohnehin zuwider. In einer Szene des Films spricht Kubitschek in der ostdeutschen Provinz vor AfD-Parteinachwuchs - und gibt ihnen  statt strategischen Anweisungen den Ratschlag, erst einmal etwas aus ihrem Leben zu machen. Nur wer fest im Leben stehe, könne seiner Meinung nach richtig politisch handeln. Die Jugend dankt dennoch mit Applaus.

Ein rechtes Netzwerk

Aber auch über die AfD entfaltet die politische Arbeit des 47-Jährigen mittlerweile ihre Wirkung. Beim Aufbau der Identitären Bewegung in Deutschland etwa, einem rechten Hausprojekt in Halle oder der fremdenfeindlichen Kampagne "Ein Prozent" (die neben dem Bau von Zähnen auch völkische Rapper wie "Komplott" fördert). Diesen rechten Projekten gemeinsam ist ein junges, modernes Erscheinungsbild und eine Rhetorik, die offen rassistische Formulierungen vermeidet. Stattdessen setzen sie auf linke, fast schon subversive, den 68ern entlehnte Aktionsformen, die sie in zeitgemäß geschnittenen Videos aufbereiten.

Daneben spricht Kubitschek bei Pegida-Demos und hat sich vernetzt mit Grenzgängern wie dem Ex-Anti-Deutschen und neu-völkischen Jürgen Elsässer, durchgeknallten Outlaws wie dem einstigen Katzenkrimi-Autor Akif Pirinci und Renegaten wie dem inzwischen verstorbenen Rolf Peter Sieferle, dessen umstrittene Aphorismen-Sammlung "Finis Germania" im vergangenen Jahr zum skandalösen Bestseller wurde.

Kubitschek wähnt sich dabei, ganz grundsätzlich, ganz soldatisch, im Kampf um den Erhalt des Deutschen, seiner Kultur, seines Volkes. Gerade weil er dabei keine kurzfristigen politischen Strategien verfolgt, sondern vielmehr den politischen Diskurs nach rechts drehen möchte, ist er im Moment so erfolgreich. Und das, was durch seine Arbeit entsteht, so gefährlich für diese Republik.