Mittwoch, 4. Juli 2018

Widerstand als Tragödie


Hans Falladas NS-Roman "Jeder stirbt für sich allein" war lange Zeit beinahe aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. In den letzten Jahren wurde er wiederentdeckt - und das weit über Deutschland hinaus. Völlig zurecht, denn Falladas letzter Prosatext ist zugleich auch sein wichtigster.

Otto Quangel ist kein Mann der großen Worte. Der Tischlermeister möchte am liebsten seine Ruhe. Doch mit dem zurückgezogenen Leben im Berlin der 40er Jahre ist es schlagartig vorbei, als ihn und seine Frau Anna die Nachricht vom Soldatentod ihres einzigen Sohnes im Westfeldzug erreicht.

Schon vor dieser Nachricht war Quangel kein überzeugter Nationalsozialist. Doch nun wird er zum  Regime-Gegner und beschließt, seine innere Ablehnung nach außen zu tragen, indem er Postkarten mit kritischen Botschaften - in ungelenkem, einfachem Deutsch - schreibt und diese nach der Arbeit und an Wochenenden in Hausfluren des ganzen Stadtgebiets verteilt. Erst mehr als zwei Jahre und annähernd 300 Karten später erwischt sie die Gestapo schließlich. Die beiden kommen in Haft und werden zu Tode verurteilt.

"Jeder stirbt für sich allein", der letzte Roman von Hans Fallada, dreht sich zuvorderst um das Schicksal der Quangels, für die es ein reales Vorbild gibt: das Ehepaar Otto und Elise Hampel. Der 1947 erschienene Roman ist einer der ersten Texte der Nachkriegszeit, der sich explizit mit der NS-Herrschaft und dem Widerstand gegen sie befasst.

Ein Haus als Panoptikum der NS-Gesellschaft

Das Berliner Haus, in dem die Quangels leben, ist aber viel mehr. Nämlich ein Spiegel der Gesellschaft unter der entmenschlichten Herrschaft der NSDAP: Es gibt da die jüdische Dame, die Unterschlupf bei einem Nachbarn sucht und sich in der Verzweiflung der einsamen Sicherheit aus dem Fenster stürzt; die alkoholgetränkte SS-Familie, für die das System eine grausame Perspektive bietet, um endlich Macht und Gewalt ausüben zu können; den Kleinganoven, der in seiner Gier nach Geld jegliche Moral und schließlich alles verliert; den intellektuellen Widerständler, der vor lauter Geist die Menschlichkeit vergisst. Sie alle leben unter einem Dach und doch in völlig unterschiedlichen Welten.

Das Dritte Reich hat das Band der Zivilisation zwischen ihnen zerrissen, jeder ist am Ende nur sich selbst der nächste, alle verlieren - und "jeder stirbt für sich allein". Bei den Quangels geht das recht lange gut, sind sie doch besonders isoliert. Deshalb dauert es, bis ihnen die Gestapo auf die Schliche kommt. Nur, um dann umso härter zurückzuschlagen.

Tragische Figuren statt großer Helden

Fallada, der in seiner Prosa sehr nah an der Sprache der einfachen Berliner ist und uns die Geschichte trotzdem aus einer distanzierten, nüchternen Perspektive präsentiert, hat sich keine großen Helden als Protagonisten gesucht, sondern zwei eher einfache, tragische Gestalten, deren Widerstand nicht nur ins Leere läuft sondern obendrein auch andere Menschen mit in den Abgrund reißt.

Er offenbart damit die Tragödie unter diesem totalitären System: Um aufrichtig zu bleiben, muss das Individuum ein Risiko eingehen, das nicht nur andere gefährdet, sondern am Ende, wenn das Regime den Widerstand bricht, zum Verrat führen kann.

Ein wichtiges, ein großes, und ein lange Zeit unterschätztes Buch. Eines, das der Autor in den letzten Wochen vor seinem Tod, körperlich längst gebrochen, in einer Nervenheilanstalt verfasst hat. Und das auch von künftigen Generationen möglichst aufmerksam gelesen werden sollte.

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