Dienstag, 15. September 2015

Michel Houellebecq: Eine Abrechnung mit der französischen Republik

Es war der Literaturskandal des Jahres: Michel Houellebecqs Beschreibung eines Frankreichs im Ausnahmezustand. Einer Republik, die nicht mehr an sich selbst glaubt und darum ihr Heil im Islam sucht.

Die Wucht, mit der das Buch in der literarischen Welt – und auch darüber hinaus – aufgenommen wurde, sie erklärt sich vor allem aus dem seltsamen historischen Zufall, dass am Tag der Veröffentlichung Terroristen das Büro der Satiriker von Charlie Hebdo stürmten. Auf dem Cover: eine Karikatur des Autors Houellebecq.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Buch ist keine islamfeindliche Hetzschrift, auch wenn der Franzose mit dem seltsamen Haarschnitt und dem ungesunden Lebenswandel gerne provoziert. Auch wenn Houellebecq mit Sicherheit kein großer Menschenfreund ist und sich daher in der Vergangenheit unter anderem abfällig über den Islam geäußert hat. Denn bei der Lektüre von „Unterwerfung“ wird schnell klar, wem hier eigentlich der Frontalangriff gilt: der Französischen Republik und ihren Eliten, die sich Houellebecq nicht scheut zu nennen und – von Hollande und Sarkozy bis Henry-Levy – namentlich zu diffamieren. Zu dieser Elite zählt sich auch Literaturprofessor François, der Ich-Erzähler des Romans. Doch an die Werte der Republik glaubt er schon lange nicht mehr. Stattdessen flüchtet sich der oberflächlich Unpolitische in seine Bücherwelt (der Professor ist Experte für den Schriftsteller Joris-Karl Huysman), unbefriedigende Liebschaften mit seinen Studentinnen und den Alkohol. Doch so einsam und trüb seine Existenz, so klar der Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse.

Und die sind zu Beginn des Romans im Frankreich des Jahres 2012 reichlich prekär. Das Land wird zerrieben zwischen den politischen Extremen, zwischen Front National, Identitärer Bewegung und islamischen Extremisten. Auf den Straßen tobt ein blutiger Bürgerkrieg, von dem das Volk nichts mitbekommen soll. Und bei den Wahlen schickt sich derweil ein Muslim an, Präsident zu werden. Was ihm schließlich auch gelingt.

François nimmt diese gesellschaftlichen Veränderungen vor der Schablone seiner eigenen, zunehmend ins Abseits schlitternden Existenz wahr. Mit dem Sieg der muslimischen Partei und unter dem Präsident Mohamed Ben Abbès kehrt schnell Ruhe ein. Schnell zeigt sich, zumal für die Elite, dass die neue Führung mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt. Viele, die gerade noch glühende Verfechter der Aufklärung waren, konvertieren – und wechseln die Seiten.

Im Grunde also ein recht simpler Plot, der dennoch eine beachtliche Sogwirkung entfaltet – und am Ende dieses leicht lesbaren Buchs mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Denn das hat Houellebecqs Romane seit jeher ausgezeichnet: dass er bei seiner Gesellschafts- und Kulturkritik niemanden ausnimmt, auf keiner Seite steht, keine Politik betreibt – und sich daher auch nicht so einfach vereinnahmen lässt.

Unterwerfung. Michel Houellebecq. 260 Seiten. DuMont Buchverlag. ISBN: 978-383-2-19795-7

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