Sonntag, 19. August 2007

Vormann Leiss


In Deutschland gibt es nur wenige Punkbands, die mit intelligenten Texten glänzen können: neben den Boxhamsters, EA 80, Oma Hans und den Goldenen Zitronen gehören die Flensburger von Turbostaat definitiv dazu. 

Die assoziativen, düsteren, an Jens Rachut angelehnten Texte (à la Drei Ecken - Ein Elvers), die Wipers-mäßige Gitarrenführung und der eindringliche, unangenehme Gesang sind die Markenzeichen einer der besten Livebands der Republik. Auf dem kleinen, aber feinen Schiffen-Label veröffentlichten sie ihre ersten beiden Alben Flamingo (2001) und Schwan (2004), unermüdliches Touren und eine Begegnung mit den Beatsteaks verschaffte der Band nach und nach ein kleines, aber solides und sehr treues Publikum. Nach einer Kollaboration mit den Beatsteaks, die auf der B-Seite von „Hello Joe“ landete und in der eigenwilligen, eingedeutschen Interpretation des Fu Manchu-Songs „Hell on wheels“ (zu deutsch: Frieda und die Bomben) bestand, wurden auch größere Plattenfirmen aufmerksam. 

Schnell war von Ausverkauf die Rede, vom Verrat an den guten alten Indie-DIY-Idealen. Doch was lässt sich heute schon noch mit Fug und Recht als Indie bezeichnen? Indie ist der neue Mainstream und hat längst die großen Bühnen bis zu Rock im Park erobert, ist mehr Label und Mode als Einstellung. Und schließlich gilt es, die Band an ihrer Musik zu messen, nicht nur an ihrer Plattenfirma. Dennoch: Turbostaat landete zwar bei warner music, gründete aber zugleich ihr eigenes kleines Label namens Same Same but Different, weshalb auch ihr neuestes Werk auf exzellentem 180 Gramm-Vinyl inclusive detaillverliebtem dickem Booklet erscheint. 

Aber zurück zum Wesentlichen: auf „Vormann Leiss“ hat sich nämlich – fast – gar nichts verändert, keine Spur von Anpassung. Abgesehen von einer verbesserten Produktion machen es einem die Jungs wahrlich nicht leichter. Denn die Texte, die sich wie immer in den seltensten Fällen reimen, sind so kryptisch wie immer, tragen Titel wie „Harm Rochel“, „Ja, Roducheln!!!“ oder „Haubentaucherwelpen“ und geben sich wahrlich nicht die Mühe, zu gefallen. Melodien sind wie immer rar gesät, Musik und Texte ergeben wie immer eine alles andere als angenehme Atmosphäre. Beleuchtet werden die alltäglichen Abgründe (die Banalität des Bösen, die Lächerlichkeit unserer Existenz oder die Verbindung von Privatem und Politik etwa) und Befindlichkeiten, die schwer zu entschlüsseln und vielleicht gerade deshalb oft so treffend sind. In den besten Momenten erzeugt das Kopfkino, lässt das politische, persönliche, philosophische, absurde Bilder im Kopf des Hörers entstehen. Einer der textlich noch am ehesten zu greifenden Songs ist Haubentaucherwelpen: 

zusammen mit der hoffnung 
fällt sonne in die stadt 
es geht noch immer weiter 
zumindestens bergab 
sie verlassen ihre gräben 
die sie zur zeit bewohnen 
sind wir nicht weit gekommen 
fragt der erste schon 

und sie beladen ihre autos 
mit kindern im gepäck 
wohin soll bloß die reise gehen 
am besten ganz weit weg 
sie begraben ihre toten 
und schauen dich groß an 
was gibt es hier denn noch zu tun?
am besten weiterfahren 

UND SIE BLEIBEN 
OHNE FRAGEN 
WEIL ALLES ANDERE SCHEINBAR BESSER IST 
UND DEINE AUGEN STARREN WEITER 
AUF FISCHER 
AUF DEN HAFEN 
UND DEN WIND 

köpfe rollen zusammen 
und denken lauthals nach
ob wir denn noch zu retten wären 
mit einem starken staat 
wer soll uns jetzt führen? 
ob er noch beten kann? 
liebt er seine kinder? 
ein guter ehemann… 

Nein, „Vormann Leiss“ ist weder die befürchtete Anbiederung an den Mainstream, noch die musikalische Offenbarung, welche sich vielleicht manche erhofft hatten. Turbostaat machen ziemlich genau da weiter, wo sie mit Schwan aufgehört haben, was aber nicht weiter schlimm ist, denn Vormann Leiss ist das dritte gute Album in Folge - und das ist auch und gerade für eine deutsche Punkband mehr als beachtlich.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Soso, "Ja, roducheln!!!" klingt ein wenig nach Dadaismus, die von dir verlinkten Videos allerdings eher nach (von dir ganz richtig erkanntem) angestrengtem Dagegensein. Nur wogegen bitte? Vielleicht bin ich einfach noch nicht tief genug eingetaucht in die von dir beschriebenen Abgründe. Ich sehe da nichts als verkrampften, affektierten Indiekram.