Mittwoch, 5. Januar 2011

Die Armutsindustrie

Hartz IV ist wieder einmal zurück auf dem Verhandlungstisch der Parteien und damit auch der Diskurs über Sinn und Unsinn dieses monströsen sozialstaatlichen Paradigmenwechsels. Welch wunderliche Blüten dieses System treibt, ist nicht zuletzt dank Albrecht Müller bestens dokumentiert. Auch Hans-Jürgen Urban hat in den aktuellen Blättern die negativen Arbeitsmarkteffekte einmal mehr herausgearbeitet. Wenn laut offiziellen Angaben der Bundesagentur für Arbeit nicht einmal 15 Prozent der Ein-Euro-Jobber nachher in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis landen und inzwischen jeder fünfte Beschäftigte im Niedriglohnsektor arbeitet, muss in diesem System etwas ganz grundlegend falsch laufen. Was jedoch Eva Müllers Reportage "Die Armutsindustrie" zu Tage fördert übertrifft selbst die kühnsten Erwartungen. Doch seht selbst:

2 Kommentare:

Robert Paulson hat gesagt…

Wie kommst du darauf, dass es bei "diesem System" darum ginge allen Leuten etwas Gutes zu tun und ihr Brot und Auskommen zu sichern?
Nimm doch die Verarmungsindustrie als Tatsache zur Kenntnis und frag mal warum das so ist, anstatt dein "So sollte es sein!" und "Das kann doch nicht sein!" dagegen zu halten.

Mathias Ellwanger hat gesagt…

Die Ursachen der Hartz-Misere sind sehr vielfältig und durchaus widersprüchlich. Einer der Gründe für die Reformen war damals durchaus der Wunsch, mehr Menschen in Arbeit zu bringen und (finanzielle wie gesellschaftliche) Kosten des Sozialstaats zu reduzieren. Der Gedanke hinter den Reformen ist durchaus kein abwegiger oder prinzipiell sozialstaatsfeindlicher.

Leider war das dann installierte und ständig reformierte System kein in sich konsistentes und blieb bis heute in seinen Ergebnissen weit hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Sichere, langfristige, solidarische Strukturen wurden zunehmend durch unsichere, kurzfristig orientierte, individualisierte Marktstrukturen ersetzt. Und einmal geschaffene Vermessungsinstrumente neigen zur Pfadabhängigkeit.

Erstaunlich ist, wie sehr sich die Politik auf den vermessenen Sachverstand sog. Experten verlassen hat und dabei vergessen zu haben scheint, die eigene Wählerschaft, die Betroffenen, die Mehrheit der Bevölkerung, aber auch die eigene Parteibasis in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen. Doch vermessen erscheint auch der Sachverstand der Politik, der mögliche unintendierte Nebenfolgen nicht berücksichtigte, wozu Abwehrreaktionen in der Bevölkerung genauso zählen wie vermessene, auf den zweiten Blick wenig überzeugende Maßnahmen.

Zudem lässt sich eine zumindest bemerkenswerte, wenn nicht gar bedenkliche Entwicklung feststellen, für die „Hartz-IV“ nur ein mögliches Symbol ist. Es handelt sich dabei um das Phänomen der marktwirtschaftlichen Vermessung des Alltags, die in Zeiten technisch schier unbegrenzter Möglichkeiten Gesellschaft wie Politik mehr und mehr zu durchdringen scheint.

Ursache dieser Entwicklung ist die Verschiebung der Marktgrenzen, welche auch eine Verschiebung von Risiko und Verantwortung in die Individuen bedeutet, denn die gesellschaftliche Sphäre ist mittlerweile durchdrungen von Marktprozessen des Messens und Vermessens.