Montag, 10. Januar 2011

Fortschritt?

Die SPD diskutiert wieder über die Zukunft - zumindest tut sie das, was sie darunter versteht. Ein Beitrag von Sigmar Gabriel in der FAZ von heute sollte beleuchten, was die Sozialdemokratie unter diesem Begriff heute zu verstehen vorgibt. Er basiert auf einem Entwurf für ein Fortschrittsprogramm von Gabriel, Steinmeier und Nahles. Auf Grundlage dieses Textes soll nun während der Jahresauftaktklausur über eine programmatische Weiterentwicklung diskutiert werden. Das Dilemma des Artikels ist dabei zugleich das der SPD.

1. Der Partei mangelt es an Glaubwürdigkeit. Weite Teile des Entwurfes arbeiten sich ab an den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte. So berechtigt die Kritik an den Zuständen auch sein mag (gerade für eine linke Partei), so war es doch die real existierende Sozialdemokratie, welche die Politik in der Bundesrepublik zwischen 1998 und 2009 maßgeblich prägte. 

2. Wenn Gabriel konkret wird, so ist er daher nur allzu oft mit der Korrektur der SPD-Regierungspolitik beschäftigt: Seien es die Einkommenssteuersätze, die erhöht werden sollen, die Rente mit 67, die in Frage gestellt wird, die beklagte Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse oder auch die Reregulierung der Finanzmärkte - all dies kommt nicht von ungefähr.

3. Den Fortschritt ins Zentrum der Betrachtung zu stellen (und nicht etwa Begriffe wie Gerechtigkeit, Solidarität oder Fairness, womit Gabriel ja geliebäugelt hatte), ist so klug wie riskant. Klug, weil er derzeit von keiner politischen Kraft besetzt wird und nicht mit Angst, sondern Vertrauen operiert. Riskant, weil der Begriff so diffus und daher missverständlich ist. Auch die Lektüre wirkt dabei wenig erhellend und man wird den Verdacht nicht los, dass hier nur alter Wein in neue Schläuche gegossen werden soll.

4. Es ist begrüßenswert, dass in der SPD wieder über die Zukunft geredet wird, doch was der Vorsitzende als Diskussionsgrundlage vorlegt, ist so oder ähnlich (und meist prägnanter) auch in den Papieren der grünen  (Nachhaltigkeit und Wachstumskritik) und linken Konkurrenz (Emanzipation) zu finden. Um die Führerschaft im linken Lager wieder zu erlangen, ist das bedeutend zu wenig. Man mag Gabriel zugute halten, dass er nicht den Populisten gibt (der ihm durchaus zuzutrauen wäre), dafür sind ihm die Mühen der Regierungszeit wohl noch zu präsent. Er macht sich immerhin auf den Weg zu einer Wiederbelebung der sozialdemokratischen Idee, der gute Wille ist ihm nicht abzusprechen. Etwas anderes bliebe ihm auch gar nicht übrig. Doch der gute Wille allein wird nicht genügen, um die Entwicklung der SPD zu einer Intellektuellenpartei a.D. zu stoppen.
Ein Bild aus besseren Tagen? 
P.S. Wer das ganze 43 Seiten starke Fortschrittsprogramm lesen möchte findet das hier.

2 Kommentare:

Arthur hat gesagt…

Deine Kritik ist für meine Begriffe etwas pauschal. Und das Willy Brandt Plakat wirkt reichlich deplatziert. Wir befinden uns schließlich in einer komplexen, widersprüchlichen Zeit, die keine allgemeingültigen Antworten mehr verlangt, sondern geistige Flexibilität.

Wenn du den Fortschrittsbegriff als diffus bezeichnest, liegst du daher zwar nicht ganz falsch, triffst den Punkt aber nicht. Es geht um die Wiederaneignung eines Begriffes, den die Linke schon beinahe verloren glaubte, sofern sie nicht trojanisches Pferd spielt.

Mathias Ellwanger hat gesagt…

Meine Kritik ist mit Sicherheit ein wenig polemisch, doch ist es nicht gerade die Aufgabe von (Partei-)Politik, die Wirklichkeit so zu strukturieren und dem Bürger Begriffe an die Hand zu geben, dass Komplexität reduziert wird? Geistige Flexibilität führt nur dann nicht zur Beliebigkeit, wenn sie einem inneren (Werte-)Kompass folgt. Doch der scheint (nicht nur) der SPD in den langen Jahren der Herrschaft abhanden gekommen zu sein. Daraus ergeben sich dann solche Stilblüten wie in besagtem Text.

Ich wünsche mir ja durchaus eine Wiederaneigngung dieser Begriffe durch die Linke - und ich sehe die Sozialdemokratie weiterhin als grundlegenden Machtfaktor für linke Politik. Nur sollte sie dabei mutig voranschreiten (wie etwa der leider verstorbene Hermann Scheer) anstatt ängstlich nach kurzfristigen parteipolitischen Mehrheitsverhältnissen zu schielen.