Meine Bücher des Jahres 2014:
1. Tristram Hunt: Friedrich Engels
2. Fjodor Dostojewksi: Die Brüder Karamasow
3. Peter Sloterdijk: Philosophische Temperamente
4. Philipp Blom: Der taumelnde Kontinent
5. Iwan Turgenjew: Visionen und andere fantastische Erzählungen
Belletristik:
Begonnen
hat es mit den besten: mit sehr guten Erzählungen von Turgenjew und
einer wirklich rauschhaften Lektüre der "Brüder Karamasow". Ein großes
Buch, wenn er auch in ihrer Gesamtaussage ziemlich orthodox-reaktionär.
Deshalb bleibt "Der Idiot" auch weiterhin mein Lieblingsbuch von ihm.
Dann
folgten ein paar durchwachsene Bücher, angefangen bei Gwisdeks
verschwurbeltem unsichtbaren Apfel, der mich unschlüssig zurückließ. Vor
allem weil ich gegen Ende immer mehr den Eindruck hatte, dass Gwisdek
das Buch auf die Schnelle ziemlich planlos überfrachtet hat, um es nach
einer intellektuellen Großtat aussehen zu lassen und am Ende
logischerweise nur einen halbgaren Ausweg fand. Anschließend H.P.
Lovecraft, den ich als zu wissenschaftlich-trocken und überhaupt nicht
furchteinflößend empfand. Vielleicht muss man in der Zeit gelebt haben,
um das für eine "Horrorgeschichte" halten zu können.
D.B.C.
Pierres
Drogen-Berlin-Selbstmord-letztes-quasi-religiöses-Rauscherlebnis-erzwingen-Roman
begann hingegen großartig. Weil er stellenweise an David Foster Wallace andockte, weil
er überraschte, weil es komisch war und geistreich. Am Ende blieb dann
aber doch ein leicht fahler Beigeschmack. Wäre mehr drin gewesen,
unterhaltsam immerhin. Was die Belletristik anbelangt, kam dann mit
"Bullshit nation" der Tiefpunkt, ein wirklich unnötiges Werk.
Besser
war dann wieder "Plattform" von Houellebecq, wenn auch eher einer
seiner schlechten Romane, dasselbe gilt für Nacht des Orakels für das
Werk Paul Austers. Solides Handwerk, mehr nicht. Ödön von Horvaths "Ein
Kind seiner Zeit" fand ich wiederum gut und wichtig, genauso wie "Jugend
ohne Gott".
Peter
Handkes "Die Stunde der wahren Empfindung" war dann auch schon das
letzte Nicht-Sachbuch des Jahres. Ich musste mich stellenweise
durchkämpfen und muss es wohl ein zweites Mal lesen, weil es zwar kurz,
aber dafür sehr dicht geschrieben war. Typisch Handke eben.
Sachbücher:
Ein
Auf und Ab auch bei den Sachbüchern: "Neue Nazis" war durchaus
brauchbar für ein kurzes Update über die aktuellen Szeneentwicklungen.
Ungleich wichtiger dagegen "The Myth of the Muslim Tide", der aktuelle
islamophobe Argumente mit seinen historischen Vorbildern (antikatholisch
/ antisemitisch) vergleicht und frappierend ähnliche Probleme und
Argumente diagnostiziert. In "Arrival City" schlendert Sanders dann
panoramaartig durch die Aufnahmestädte der Welt (von Kreuzberg bis
Manila), beschreibt die weltweiten Migrationsströme vor allem als eine
enorme Landflucht und kommt zu dem verblüffenden Schluss: Das, was ihr
als Problemviertel bezeichnet, ist in Wirklichkeit das wichtigste Tor
zum sozialen Aufstieg - und es funktioniert fast überall, nur nicht in
Deutschland.
Dann
"Die letzte Weltmacht": nüchtern-realistischer Blick auf die Weltlage
nach dem Ende des Kalten Krieges von einem langjährigen Berater der
Amis. Ist von Ende der 90er und prognostiziert ziemlich vieles ziemlich
richtig, unter anderem die Rückkehr der Geopolitik - und dass es auf dem
"eurasischen Schachbrett", in der Ukraine, knallen wird.
Gewöhnt
süffisant-geistreich sind die kurzen Schlaglichter, die Sloterdijk auf
ausgewählte "Philosophische Temperamente" wirft. Ein seltenes
Zusammentreffen von Kurzweil und Intellekt. Lesenwert auch der nüchterne
Blick auf die Roma von Mappes Niedek.
Wirklich
groß dann die Engels-Biografie von Tristram Hunt. Man wäre zu gerne
Zeitgenosse dieses Mannes gewesen, in dessen Haus jeden Abend bis spät
in die Nacht gesoffen wurde, dabei geistreiche Gespräche stattfanden,
der stundenlange Korrespondenzen mit Intellektuellen ganz Europas
geführt hat, ungemein sprachgewandt war, zeitlebens Marx durchfütterte,
seine Texte redigierte, ergänzte, mit Ideen füllte, und nebenbei auch
noch ein Unternehmen führte. Kaufen!
Zwiespältig
dann die Lektüre von "Nüchtern" (Daniel Schreiber). Zweifellos ein
kluger Kopf, der da über seinen jahrzehntelangen Alkoholismus schreibt.
Keine Predigt an die Nüchternheit, da schreibt jemand reflektiert und
mit Demut. Aber man fühlt sich halt an vielen Stellen selbst ertappt...
Wolfgang
Pohrts "Das allerletzte Gefecht" wiederum kann sich absolut sparen, wer
nicht selbst einmal überzeugter Kommunist war. Eine bitterböse
Abrechnung mit der radikalen Linken, die seltsamerweise im wahrsten
Sinne des Wortes theatralisch endet.