Wer
etwas über die Gegenwart in Frankreich erfahren will, dem sei diese Roman-Trilogie von Virginie Despentes empfohlen. Die Autorin wirft
darin einen ziemlich schonungslosen, differenzierten Blick auf ihr eigenes Land. Die
Protagonisten stammen aus verschiedenen politischen Lagern und
Gesellschaftsschichten. Und sie treffen nur deshalb aufeinander, weil sie alle eines
verbindet: der ehemalige Plattenladen von Vernon Subutex. Zu Beginn des Romans wird Subutex obdachlos wird und bringt bei seinem Abdriften aus der Gesellschaft
das Leben seiner Mitmenschen gehörig durcheinander. Die Trilogie
hat einen irre guten Einstieg, ist rasant erzählt, aber auch komplex. Despentes eröffnet viele
Handlungsstränge und lässt ihre Roman-Serie zum Ende hin immer absurder werden.
Jason Lutes: Berlin I, II und III
Der US-amerikanische Comic-Zeichner Jason Lutes hat intensiv zum Berlin der Vorkriegszeit recherchiert. Und in den drei Bänden, die über mehrere Jahrzehnte entstanden sind, ein Gesellschaftspanorama zwischen den Jahren 28 und 33 erschaffen, das mit Zeitsprüngen, wechselnden Handlungssträngen und Perspektiven arbeitet. Dabei werden verschiedene Schicksale mit ihren ganz unterschiedlichen Sichtweisen auf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen porträtiert. Dass die Geschichte im Buch wie in der Realität nicht gut ausgehen kann, ist klar. Weshalb, das macht Lutes mit seiner Arbeit verständlich.
T.C. Boyle: America
America ist zwar schon 1995 erschienen, wirkt aber wie ein Buch zur Trump-Ära. Es geht darin um ein Paar, zwei illegale Einwanderer aus Mexico, die einen verzweifelten Überlebenskampf führen, der sie in der kalifornischen Wildnis stranden lässt. Es handelt zugleich von der Fremdenfeindlichkeit und den Ängsten der Mittelschicht, die schließlich zu einem fatalen Mauerbau führen. Und davon, wie diese beiden Welten aufeinander treffen, aber nicht zusammenfinden.
Sibylle Berg: GRM Brainfuck
Dieses Buch ist
heftig - inhaltlich wie stilistisch. Berg schreibt hier so direkt und hart, als wäre es ein 640 Seiten langer Grime-Track (nach jener
Musikrichtung ist der Roman auch passenderweise benannt). Sie macht wilde
Interpunktionen, biegt und bricht die Grammatik und neigt zu drastischen
Formulierungen. GRM spielt im zum Total-Überwachungsstaat mutierten
Post-Brexit-Britain und ist eine düstere, dreckige Dystopie, die vieles
vereint, was gerade passiert oder sich bereits andeutet. Geschrieben ist es aus
der Perspektive einer Gruppe von Kindern, die am Rande der Gesellschaft leben und versuchen, aus dem System auszubrechen, was aber
letztlich nicht gelingen kann. Nach 160 Seiten musste ich erstmal eine
Pause machen und den Stoff verdauen. Ein starkes Buch.
Hans Rosling: Factfulness
Alles wird immer
schlimmer: Kriege, Hunger, steigende Geburtenraten, mangelnde Bildung -
aber ist das wirklich so? Rosling, der inzwischen verstorben ist, hatte
es sich zur Lebensaufgabe gemacht, dies mit Statistiken zu widerlegen.
Denn, so seine überraschende Erkenntnis: je gebildeter eine Gruppe ist,
desto düsterer die Weltsicht und desto schlechter die Einschätzung wie
es wirklich steht um die Welt. Dagegen setzte der schwedische Professor
Fakten. Jeder kann selbst überprüfen, wie gut seine Einschätzung ist. Rosling hat spezielle Tests dafür entwickelt, die jeder einmal
ausgefüllt haben sollte. Hier zum Beispiel.
...und eine Enttäuschung:
Michel Houellebecq: Serotonin
Nachdem
ich von "Karte und Gebiet", aber auch von der "Unterwerfung" recht
angetan war, fällt Houellebecq hier wieder weit hinter seine Fähigkeiten
zurück. Die Handlung ist öde, wirkt stellenweise arg konstruiert, die
Gedanken sind uninspiriert und der Ton ist stellenweise unerträglich
larmoyant. Was an dem Buch alles nicht gut ist, hat dieser
Deutschlandfunk-Rezensent in seinem Verriss treffend zusammengefasst. Achtung: harter Spoiler!