Freitag, 19. November 2010
Essentielle Musikvideos Teil 6
Hans Unstern & Band - Anglet
Mein Leben hangelt sich an Autobahnen entlang
Automobile hasse ich mehr als alles
Werd mir einen Zebrastreifen malen
Wie sie ihrem Ziel entgegen rasen
Wie sich auf der Überholspur Penisse jagen
Mein Blick verbeugt sich mehr und mehr
Aus dem Straßengraben befühle ich die Dinge neu
Ich liege so krumm und falte mir die Ohren dicht
Nachts ist manchmal für fünf Minuten Ruhe
Über mir die Frau im Mond
doch ihr Glänzen steckt im Stau
Ich habe vertrocknete Tinte für ein dickes Buch im Bauch
Blei auf der Stirn und Rost unter den Augen
Der Weg ist denkbar ausschließlich
Ich murmele einige Bartworte auf mein Blech
überwuchert von Planken und Heulen
Wieder ein Jahr
Ich friste den Winter mit Schreiben für Klarinette
Der wärmste Klang den ich mag
Es darf nicht jeder Ton vorkommen
Es braucht Zeit
Ein Stück schreibt sich in so drei Monaten
wenn ich Glück habe zwei bis zum Gruen
Wenn die Frösche zur Wanderschaft rufen
habe ich bald Freunde die mit großen Augen
ohne Sorge Geisterbahnfahrer beschwören
Ich sehne das Fest herbei
Am Ende der Storchenwiese feiern wo ich liege
Wir basteln Flügel aus Unrat
Hitzesommerpolaroids
von Ellenbogen über sonnendurchglutetem Teer
Fuer meine Glasfasergalerie im Spinnennet
sammle ich robbend Zigarettenstummel
um von dem Pfand die Maut zu zahlen
Ein Ellenbogen wäscht den andern
Im Herbst halte ich Winterschlaf
umgeiert von Raben über mir wie fettes Laub
Ich habe einen Deal mit den Ratten des naheliegenden Abortes
Sie bringen mir siebzig Kilo Kastanienlaub
und ich verrate ihnen in welcher Karosse Kokain lagert
Urlaub unter Laub
In der fünften Jahreszeit
der schwierigsten im Graben
verharre ich im Lunayoga
Es funktioniert im Liegen und ist lebensnotwendig
wo angestaunte Touristen meinen Tod diagnostizieren
Der kommende Aufstand
Ein im Jahre 2007 (und damit noch vor der Finanzkrise) von einem französischen "Unsichtbaren Kommittee" verfasstes anarchokommunistisches Manifest namens "L'insurrection qui vient" (Der kommende Aufstand) schlägt inzwischen auch jenseits der linksradikalen Szene hohe Wellen. Rezensionen erschienen in der Zeit, der SZ, der taz und im Freitag. Vor kurzem würdigte sogar die FAS in einer ausführlichen Kritik dieses Werk, dem es das Potenzial bescheinigt "das wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit werden" zu können, es jedoch erwartungsgemäß als utopisch verwirft.
Was ist also dran an diesem Text? Und was lässt ihn so wirkmächtig erscheinen, dass sich sogar die bürgerliche Presse den Kopf darüber zerbricht? Es mag die sprachliche Qualität des Manifestes sein, welche dem 92 Seiten starken Werk über die übliche linksradikale Rhetorik hinaus eine gewisse Evidenz verleiht. Zentrale Entwicklungen in der westlich-kapitalistischen Welt werden präzise wie provokant herausgearbeitet: Die Veränderungen der Arbeitswelt, der Zerfall gesellschaftlichen Zusammenhalts, die neoliberale Durchdringung des Alltags, die Selbstausbeutung und Perfektionierung des Egos unter dem Banner "I am what I am", sowie die Ökonomisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Demgegenüber stehe eine Linke, die entweder paralysiert sei vom Zusammenfall des Staatsozialismus oder in Form der Ökologie- und die Antiglobalisierungsbewegung (die beide aufs Schärfste kritisiert werden) nur eine neue, moderne Variante kapitalistischer Kontrolle und Verwaltung aufzeige.
Es handelt sich bei "Der kommende Aufstand" um ein zeitgemäßes anarchistisches Pamphlet, das jegliche politische Organisationsstruktur ablehnt und ganz auf die Kraft der Situation und der Dekonstruktion setzt. Vieles bleibt hier sehr im französischen Kontext (Pariser Commune, action directe, Banlieu-Aufstände, Proteste und Generalstreiks) verhaftet und knüpft an die situationistische, dekonstruktivistische und postmoderne Tradition der politischen Philosophie an. Und wo die Analyse bisweilen messerscharf seziert, wirkt die Handlungsanleitung seltsam dünn. Viel mehr als Selbstorganisation ohne Organisation, Illegalität, Subversion und Destruktion haben die Autoren leider nicht im Angebot. Damit lassen sich die Widersprüche des Anarchismus nur schwer beheben.
Was bleibt ist eine intellektuell anregende Lektüre, die ich mit mehr Gewinn gelesen habe als das theorielastige, kryptische Empire von Hardt/Negri. Um das kommunistische Manifest des 21. Jahrhundert - wie vielfach behauptet - handelt es sich wohl allerdings bei keinem der beiden Werke. Und daher kann ich mich nur Aram Linzel von der taz anschließen: "Mit derartigen Grobschnitzereien bedient dieser Diskurs das grassierende Ressentiment gegen repräsentative Demokratien und ihre Institutionen. Nichteinverstandensein einfach gemacht. Der Situationismus-Update veredelt diese Haltung mit Theorieglamour und dem Nimbus des Radikalen. So bekommt der Leser das gute Gefühl, sich vom gewöhnlichen Protest-Nichtwähler kulturell zu unterscheiden. Mit ihrem Kult der Unmittelbarkeit sind diese Publikationen Anleitungen zur Regression in eine vielleicht verführerische, aber letztlich klaustrophobische Politidylle."
Es handelt sich bei "Der kommende Aufstand" um ein zeitgemäßes anarchistisches Pamphlet, das jegliche politische Organisationsstruktur ablehnt und ganz auf die Kraft der Situation und der Dekonstruktion setzt. Vieles bleibt hier sehr im französischen Kontext (Pariser Commune, action directe, Banlieu-Aufstände, Proteste und Generalstreiks) verhaftet und knüpft an die situationistische, dekonstruktivistische und postmoderne Tradition der politischen Philosophie an. Und wo die Analyse bisweilen messerscharf seziert, wirkt die Handlungsanleitung seltsam dünn. Viel mehr als Selbstorganisation ohne Organisation, Illegalität, Subversion und Destruktion haben die Autoren leider nicht im Angebot. Damit lassen sich die Widersprüche des Anarchismus nur schwer beheben.
Was bleibt ist eine intellektuell anregende Lektüre, die ich mit mehr Gewinn gelesen habe als das theorielastige, kryptische Empire von Hardt/Negri. Um das kommunistische Manifest des 21. Jahrhundert - wie vielfach behauptet - handelt es sich wohl allerdings bei keinem der beiden Werke. Und daher kann ich mich nur Aram Linzel von der taz anschließen: "Mit derartigen Grobschnitzereien bedient dieser Diskurs das grassierende Ressentiment gegen repräsentative Demokratien und ihre Institutionen. Nichteinverstandensein einfach gemacht. Der Situationismus-Update veredelt diese Haltung mit Theorieglamour und dem Nimbus des Radikalen. So bekommt der Leser das gute Gefühl, sich vom gewöhnlichen Protest-Nichtwähler kulturell zu unterscheiden. Mit ihrem Kult der Unmittelbarkeit sind diese Publikationen Anleitungen zur Regression in eine vielleicht verführerische, aber letztlich klaustrophobische Politidylle."
Ergänzung: Die Debatte ist immer noch in vollem Gange: In der FR ist inzwischen auch eine Rezension erschienen. Die taz hat inzwischen kräftig nachgelegt, das Pamphlet in die Nähe von Carl Schmitt und der konservativen Revolution gerückt und es als antidemokratisch und -modern in die rechte Ecke gestellt. In der SZ erschien darauf eine Erwiderung. Faszinierend, auf welchen Resonanzboden das Werk doch fällt...
Ergänzung II: Die von der SZ ins Spiel gebrachte, rechte Sezession hat inzwischen reagiert und die Analogie zwischen dem Unsichtbaren Komittee und Fight Club näher beleuchtet. Und auch die taz hat noch nicht genug von dem Buch und stellt den antimodernen Duktus in eine linke wie rechte Tradition.
Ergänzung III: Und nochmal die Sezession als Reaktion auf die Jungle World, die meinte: "Links ist das nicht".
Ergänzung IV: Auch der Spiegel hat das Werk inzwischen entdeckt und setzt es in eine Reihe mit dem a aktuellen Schmöker des Zeitgeist-Philosophen Precht und der "Müdigkeitsgesellschaft" des mir bisher unbekannten Byung-Chul Han. Aber auch die Sezession kann die Finger (noch) nicht von diesem Werk lassen.
Ergänzung V: Das Unsichtbare Kommittee hat inzwischen Stellung bezogen zu dem Diskurs um die Streitschrift: Verwaltet weiter, verschweigt! Eine Intervention
Montag, 15. November 2010
Impressionen X
Astern
Astern - schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.
Noch einmal die goldenen Herden
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?
Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du -
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu,
noch einmal das Vermuten,
wo längst Gewissheit wacht:
die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.
(Gottfried Benn)
Samstag, 6. November 2010
Nachtrag zu Mutter
Die SPEX beschäftigt sich mit dem Phänomen Mutter schon von Beginn an. Ein paar denkwürdige Zeilen aus einem klugen Artikel von 1993:
"Wo andere wegsehen, schaut er nicht nur hin, ja, er kann das von allen nicht gesehene sogar anfassen, ohne es zu beschmutzen. In einem relativ geschützten, weil ästhetisch codierten Raum lebt es stellvertretend für alle aus, was den anderen unmöglich ist: Max Müller, der freundliche, kleine Schmerzensmann, trägt alle Last, alle Schuld, alle Peinlichkeiten dieser Welt auf seinen schmalen Schultern. Und deshalb muß er länger wachbleiben als der Rest. Nicht, um einfach mitzusumpfen, wie all die anderen, die das Leben in der Subkultur als eine bessere Ausrede für Zeitverschwendung betrachten; er bleibt länger wach, um achtzugeben, daß jetzt nicht alles untergeht; einer muß ja aufpassen, nachts in Deutschland, wenn alle schlafen, obwohl sie glauben, daß sie wach sind; also wachbleiben, alleine durch die Stadt schweifen, finden, ohne zu suchen, und dann sieht man ihn um sieben Uhr morgens übernächtigt, aber seltsam verklärt an der Skalitzer Straße stehen, Stunden nachdem sich die Wege getrennt haben, um einem mit dem Döner in der rechten Hand den Weg zurück zum Schlafplatz zu weisen, weil man sich verlaufen hat." (Christoph Gurk)
Und wie hieß es schon in Ohne diese Dinge leben, einem der ersten Texte von Max Müller?
"Solange es Menschen gibt / und solange sie denken müssen / wird es schlechte, kranke Gedanken geben / Vergewaltigungen, Folter und Mord / und das ist gut so! / und das ist gut so! / Denn ich will / in keiner Welt / ohne diese Dinge leben / Und niemand sollte verbieten / was er vielleicht selber fühlt / Und niemand sollte bestimmen / was man sehen darf / und was nicht / Und ich will - und ich will / in keiner Welt / ohne diese Dinge leben / Ich will in keiner besseren Welt... / ich will in keiner schöneren, gerechteren Welt leben / Ohne Teufel gäb es keinen Gott / und alles was vorhanden ist / existiert auch / Du ertrinkst auch wenn du es verbietest / du verzögerst es nur / Und alles was verboten wird / kommt zurück auf eine andere Art / Du kannst sagen was richtig und was falsch ist / was gut und was böse ist / und ich will in keiner Welt / ohne diese Dinge leben."
"Wo andere wegsehen, schaut er nicht nur hin, ja, er kann das von allen nicht gesehene sogar anfassen, ohne es zu beschmutzen. In einem relativ geschützten, weil ästhetisch codierten Raum lebt es stellvertretend für alle aus, was den anderen unmöglich ist: Max Müller, der freundliche, kleine Schmerzensmann, trägt alle Last, alle Schuld, alle Peinlichkeiten dieser Welt auf seinen schmalen Schultern. Und deshalb muß er länger wachbleiben als der Rest. Nicht, um einfach mitzusumpfen, wie all die anderen, die das Leben in der Subkultur als eine bessere Ausrede für Zeitverschwendung betrachten; er bleibt länger wach, um achtzugeben, daß jetzt nicht alles untergeht; einer muß ja aufpassen, nachts in Deutschland, wenn alle schlafen, obwohl sie glauben, daß sie wach sind; also wachbleiben, alleine durch die Stadt schweifen, finden, ohne zu suchen, und dann sieht man ihn um sieben Uhr morgens übernächtigt, aber seltsam verklärt an der Skalitzer Straße stehen, Stunden nachdem sich die Wege getrennt haben, um einem mit dem Döner in der rechten Hand den Weg zurück zum Schlafplatz zu weisen, weil man sich verlaufen hat." (Christoph Gurk)
Und wie hieß es schon in Ohne diese Dinge leben, einem der ersten Texte von Max Müller?
"Solange es Menschen gibt / und solange sie denken müssen / wird es schlechte, kranke Gedanken geben / Vergewaltigungen, Folter und Mord / und das ist gut so! / und das ist gut so! / Denn ich will / in keiner Welt / ohne diese Dinge leben / Und niemand sollte verbieten / was er vielleicht selber fühlt / Und niemand sollte bestimmen / was man sehen darf / und was nicht / Und ich will - und ich will / in keiner Welt / ohne diese Dinge leben / Ich will in keiner besseren Welt... / ich will in keiner schöneren, gerechteren Welt leben / Ohne Teufel gäb es keinen Gott / und alles was vorhanden ist / existiert auch / Du ertrinkst auch wenn du es verbietest / du verzögerst es nur / Und alles was verboten wird / kommt zurück auf eine andere Art / Du kannst sagen was richtig und was falsch ist / was gut und was böse ist / und ich will in keiner Welt / ohne diese Dinge leben."
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