Freitag, 9. September 2016

1816: Das Jahr ohne Sommer


Es war der größte Vulkanausbruch der Neuzeit. Als vor 200 Jahren in Indonesien der Tambora explodierte, hatte das auch auf in Württemberg dramatische Auswirkungen. Doch die Naturkatastrophe gab zugleich den Anstoß für die Modernisierung des Königreichs.

Eine gigantische Eruption erfasste die Erde, als auf der indonesischen Insel Sumbawa am 5. April 1815 der Vulkan Tambora ausbrach. Zehn Tage lang spuckte der Vulkan heiße Lava. Eine riesige Aschewolke stieg auf in den Himmel. Der Ascheregen war so umfangreich, die Menge an Aerosolen so gewaltig, dass sie sich 30 Kilometer hoch in die Atmosphäre ausbreiteten, einen Großteil der Sonnenstrahlung abschirmten und einen drei Jahre dauernden globalen vulkanischen Winter verursachten.

Am 15. April war der Ausbruch vorbei und der einst 4300 Meter hohe Berg maß nur noch 2850 Meter. Es war der größte Vulkanausbruch der Neuzeit. Von den 70 000 Einwohnern der Insel Sumbawa überlebten nur wenige.

Der große Hunger

Mit einem Jahr Verzögerung erreichte die Asche Europa – die Auswirkungen waren dramatisch: 1816 gilt als das kälteste und dunkelste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Es ging in die Geschichte ein als das „Jahr ohne Sommer“. In Mitteleuropa war es um 1,4 Grad kühler als im Durchschnitt. Besonders stark betroffen war Süddeutschland, das unter starkem Regen, niedrigen Temperaturen und dem Wegbleiben der Sonne zu leiden hatte. Das führte zu Ernteausfällen und einem starken Anstieg der Lebensmittelpreise.

Eine große Hungersnot grassierte im Südwesten, der bereits in den Jahren zuvor unter feuchten und kalten Sommern zu leiden hatte. Die dramatische Klimaveränderung traf das Land zudem nach zwei Jahrzehnten auszehrender Napoleonischer Kriege. Viele landeten im Armenhaus – oder wanderten aus.

Besonders notleidend waren die Wengerter, die über wenig oder gar kein Ackerland verfügten. Die Grundnahrungsmittel hatten sie sich mit den Erlösen aus dem Weinverkauf teuer auf dem Fruchtmarkt zu erkaufen. Fehlte der Herbstertrag, so fehlten auch die Mittel, sich zu ernähren.

In Erwartung des Weltuntergangs

Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand von den wahren Ursachen des Sommer-Ausfalls. 1816/17 stieg die Auswanderung aus dem Südwesten stark an. Im Königlich-Württembergischen Staats- und Regierungsblatt sind die Namen jener Auswanderer dokumentiert, die eine Bürgerrechtsverzichtserklärung unterschrieben. Viele verließen das Land jedoch, ohne sich abzumelden – oftmals mit hohen Schulden.

Manchen Auswanderer trieb nicht nur die pure Not in die Migration. Viele Pietisten sahen in der Hungersnot ein Vorzeichen für das nahende Ende der Welt. Bestärkt wurde diese Sichtweise durch die Prophezeiungen des 1687 in Winnenden geborenen Theologen Johann Albrecht Bengel. Der Erbauungsschriftsteller hatte die Wiederkunft Jesu für das Jahr 1836 vorausgesagt. Johann Michael Hahn, Gründer der Hahn’schen Gemeinschaft, predigte die bevorstehende Apokalypse.

Die Hungersnot betrachteten die Pietisten auch als göttliche Strafe für die gesellschaftlichen Umwälzungen, die die Aufklärung mit sich brachte. Die Auswanderungsbewegungen in Richtung Kaukasus, vor allem Bessarabien, hatten darum oftmals einen religiösen Hintergrund. Bei der Wiederkehr Christi wollten die Pietisten dem Heiligen Land möglichst nahe sein. Und da Reisen nach Palästina zu dieser Zeit fast unmöglich waren, gab man sich eben mit der Ansiedlung am Schwarzen Meer zufrieden.

Die Modernisierung Württembergs

Der Vulkanausbruch machte die Rückständigkeit des Südwestens schmerzhaft offensichtlich. Die Tragödie war zugleich Beginn einer landwirtschaftlich-technischen Revolution im Armenhaus Württemberg. Wilhelm I. übernahm im Oktober des Schicksalsjahrs 1816 die Herrschaft über das Königreich. Zusammen mit seiner Frau, der russischen Zarentochter Katharina Pawlowna, betrieb er die Modernisierung des rückständigen Südwestens.

Anfang des 19. Jahrhunderts bedeutete das vor allem, mit neuer Technik und modernen Produktionsmethoden massiv in die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion zu investieren. Gegen den grassierenden Hunger gab Wilhelm die Kornspeicher frei, verbot Exporte und führte den Anbau von Kartoffeln und Zuckerrüben ein. Am 1. Januar 1818 erfolgte die Abschaffung der Leibeigenschaft.

Im November desselben Jahres wurde dann die landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt gegründet, die heutige Universität Hohenheim. Erster Direktor war Johann Nepomuk Schwerz, dessen Hauptanliegen es war, die Feldarbeit der Bauern zu erleichtern. Schwerz gilt heute als einer der Väter der modernen Landwirtschaft.

Im selben Jahr erfolgte auch die feierliche Eröffnung des „landwirtschaftlichen Festes in Kannstadt“, aus dem das heutige Volksfest hervorging. Hier sollten sich die Bauern austauschen, um sich mit dem neusten Wissen in Sachen Anbau- und Erntetechniken vertraut zu machen. Die Fruchtsäule auf dem Wasen kündet heute noch von seiner Geschichte.

1818 war auch das Gründungsjahr der Württembergischen Landessparkasse und des Landeswohltätigkeitsvereins. Beides entstand auf Initiative der Königin, um den Württembergern den Weg in die Selbstständigkeit zu ermöglichen.

Die besonnene Regentschaft Wilhelm I. sollte den Grundstein legen für den späteren Aufstieg Württembergs. Doch bis dahin sollte das 19. Jahrhundert noch manche Bitterkeit für die Bevölkerung bereithalten.

(Eine andere Version dieses Textes erschien bereits im April 2015 in der Waiblinger Kreiszeitung)

Photo credit: NASA Johnson via Visual Hunt / CC BY-NC


Keine Kommentare: