Freitag, 26. Mai 2017

Der Revoluzzer

War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: ‚Ich revolüzze!‘
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonsten unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
Schrie: ‚Ich bin der Lampenputzer
Dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehn, ich bitt!
Denn sonst spiel’ ich nicht mehr mit!‘

Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zuhaus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich, wie man revoluzzt
Und dabei doch Lampen putzt.

(Erich Mühsam, 1907, gewidmet der deutschen Sozialdemokratie)

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ist dieses Blog etwa eine Nische, in der sich das verdrängte schlechte sozialdemokratische Gewissen Bahn bricht? Oder liefert das Mühsam-Zitat doch eher die Steilvorlage für einen ungetrübten Narzissmus der Differenzen, wenn die politischen Möglichkeiten ausgelotet bzw. nicht wahrgenommen werden?

Ich werde darüber während meiner nächsten Lampenputzerschicht in der Hölle nachdenken!

Teuflische Grüße

Ihr Nicht-Maoist Heiner M.

Zeittotschläger hat gesagt…

paris pont neuf

auf der promenade flanieren
schläfrige hunde.
und die stadt wird immer kleiner,
leben und tod arbeiten jetzt für die regierung
ganz wie die chinesischen krieger, die mit unbewegten
gesichtern
unter der erde schreiten.
hier war einmal
ein picknick im gras, der strand unter dem pflaster
und wir fieberten uns ideen zusammen
mindestens haltbar bis zum jahr dreitausend

(sibylle klefingshaus)

Arthur hat gesagt…

FRAGEN EINES LESENDEN ARBEITERS

von Bertolt Brecht

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon,
Wer baute es so viele Male auf ? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war,
Die Maurer? Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. Über wen
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
Brüllten doch in der Nacht, wo das Meer es verschlang,
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
Untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer
Siegte außer ihm?
Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte,
So viele Fragen.

Anonym hat gesagt…

auf der promenade flanieren
schläfrige suvs.
und die stadt wird immer kleiner,
die regierung arbeitet jetzt für leben und tod und sachzwänge auch
ganz wie die chinesischen iphones, die mit bewegten
surfaces
unter der hand reden.
hier war einmal
ein pickup im gras, der strand unter dem pflaster
und kein fiebertraum gebar die idee
von der mindesthaltbarkeit bis zum jahr dreitausend

[Ein Gedicht aus der Reihe "Verschlimmbesserte Lyrik intellektueller Hasenfüße"]

Heiner Müller