Freitag, 26. September 2025

Mixtape No. 22: Goodbye 20th Century

Playlists, Social Media und Spotify haben das Musikhören in den vergangenen Jahren grundlegend verändert - und die Musikbranche ohnehin. Wenn ein Song heute erfolgreich sein will, muss er schnell zünden, in den ersten 30 Sekunden ein Feuerwerk abliefern, gleich mit der Hook kommen. Meistens ist dann aber auch recht bald alles gesagt. Denn vieles, das heute produziert wird, ist optimiert auf den Algorithmus, auf das schnelle, flüchtige Hören. Zeit für Kontemplation oder zumindest eine zweite Chance? Fehlanzeige. Das gilt für die Industrie - aber auch für die Hörerschaft.

Dabei gab es wohl noch nie eine bessere Zeit, um Musik zu entdecken, sich in ihr zu vertiefen. Ist heute doch mit wenigen Klicks ein Großteil der modernen Musikgeschichte verfügbar - und das per Smartphone quasi überall und jederzeit. Und ist für das Entdecken neuer Musik doch längst kein zeitaufwendiges und Graben mehr in Plattenläden notwendig. An die richtigen Platten zu kommen nicht unbedingt mehr eine Frage des Sich-Leisten-Könnens. Können Gatekeeper relativ leicht überwunden werden. Nur; Wer hört heute schon noch ganze Platten? Auch wenn vieles im Argen liegen mag und die KI hier längst Einzug gehalten hat, ist das aber noch lange kein Grund, deswegen in Kulturpessimismus zu verfallen. 

Kassetten mögen ausgedient haben - das Mixtape nicht 

Vielmehr ist es mal wieder an der Zeit, an dieser Stelle ein kleines Mixtape zu präsentieren. Auch das: Einst eine zeitaufwendige Geschichte. Eine Kassette musste bespielt, die dafür passende Musik herausgesucht werden. Wie viele Abende der Zeittotschläger wohl einsam vor seiner Anlage damit in seiner Jugend verbracht hat? Personalisierte Tapes, die eine Geschichte zu erzählen versuchten, gehörten damals zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Ob sie stets beim Hörer zu überzeugen wussten? Hier sind durchaus Zweifel angebracht. Schön war es trotzdem - und forderte zur intensiven Beschäftigung mit der eigenen Plattensammlung heraus. 

Die nun folgende Form der Präsentation kann dafür nur ein schwaches Surrogat darstellen. Allein: Sie ist nun mal die zeitgemäße. Der oder die geneigte Hörer/-in möge es mir zudem verzeihen, dass dafür die zuletzt (und zurecht) vielgeschmähte Plattform Spotify verwendet wird. Sie ist (neben Youtube) aber die meistgenutzte und wird daher im Sinne der Barriefreiheit auch dafür herangezogen. 

Genug der Vorrede. Es folgt nun, nach langer Pause, eine kleine Zusammenstellung aus lauter von mir geschätzten Alben. Dass die meisten Songs darauf die aktuelle Schallgrenze von Zwei-Dreißig locker einreißen, ist sicher kein Zufall...

1. John Coltrane - A love supreme, Pt. 1: Acknowledgement (1965, A Love Supreme
2. Fela Kuti - Zombie (1976, Zombie
3. Can - Paperhouse (1971, Tago Mago
4. Talk Talk - Ascension day (1991, Laughing Stock)
5. Bruce Springsteen - State Trooper (1982, Nebraska)
6. Bob Dylan - Ballad of a thin man (1965, Highway 61 Revisited
7. Beach Boys - God only knows (1965, Pet Sounds
8. La Dispute - Environmental Catastrophe Film (2025, No One Was Driving The Car
9. Blackmail - Ken I die (2001, Bliss Please)
10. Turbostaat - Jedermannsend (2025, Alter Zorn
11. Muff Potter - Ich will nicht mehr mein Sklave sein (2022, Bei Aller Liebe)
12. Erykah Badu - Didn't cha know (2000, Mama's Gun)
13. Little Simz - Lotus (2025, Lotus)

Hier gibt es die gesamte Youtube-Playlist zu hören.

Donnerstag, 25. September 2025

Colson Whitehead und die amerikanische Ursünde

Ein brutales, ein stellenweise nur schwer zu ertragendes, ein tief in die US-amerikanischen Ursünden abtauchendes Buch. "Underground Railroad" lässt den Leser nicht kalt, sondern verstört und bewegt, erhellt und verdunkelt zugleich. Doch ist es auch ein gutes Buch? Der Pulitzer-Preis, den Colson Whitehead dafür vor acht Jahren erhalten hat, lässt das zumindest vermuten. Wie fällt die Zeittotschläger-Bilanz aus?

Ein konspiratives Helfer-Netzwerk

Dass die "Underground Railroad" eine Metapher und keine tatsächliche Eisenbahnstrecke war, sollte im Hinterkopf behalten, wer sich an dieses stellenweise doch eher fantastische Werk des US-amerikanischen Autors ("Harlem Shuffle", "Nickel Boys") wagt. Dabei ist die tatsächliche Geschichte dieses Hilfsnetzwerks, das im 18. Jahrhundert entstand und schätzungsweise rund 100 000 Menschen aus der Sklaverei befreite, ja bereits fantastisch genug. 

Doch Whitehead lässt die Railroad in seinem Roman tatsächlich verkehren: Mit unterirdischen Stationen, Staaten überschreitenden Tunneln und echten Eisenbahnen. Dabei wird die Bahnstrecke dann doch wieder zu einer Metapher. Während wir der irren Flucht der Protagonistin Cora folgen, die ja weder Ziel noch Ende kennt - auch wenn es stellenweise so scheint - wird klar, was der Autor damit gemeint haben könnte. Dass es nämlich kein Entkommen gibt aus der Ursünde der Vereinigten Staaten: dem Menschenraub, der in "Underground Railroad" so drastisch wie abgründig im Mittelpunkt steht. 

Whitehead spart dabei nicht an grausamen Details, er lässt plastisch werden, was das eigentlich bedeutet: dass Menschen zum Eigentum anderer werden, zur Ware erniedrigt, herabgesetzt, jederzeit der Willkür ausgesetzt, der Züchtigung, der Hinrichtung. Und zwar nicht der schnellen, wie sie heute in den USA üblich ist, sondern der langsamen, die Menschen zur Schau stellenden. 

Kann so eine Flucht überhaupt gelingen?

Cora wird in diese Welt bereits hineingeboren, als Eigentum auf einer Baumwollplantage in Georgia. Und selbst hier lebt sie am Rande, bei den Aussätzigen, Ausgestoßenen. Sie entschließt sich dann zur Flucht. Einer Flucht, die nur durch Helfer, die sich selbst in Lebensgefahr begeben, zumindest zeitweise gelingt. Doch in South Carolina entpuppt sich die vermeintliche Befreiung als Falle, in North Carolina bleibt nur ein Versteck auf dem Dachboden zeitweilige Zuflucht. Selbst die reale Utopie der befreiten Farm währt nicht allzu lange. Währenddessen hat der skrupellose Sklavenjäger Ridgeway ihre Fährte aufgenommen. Mit Coras Mutter, die als bisher einzige aus der Plantage entkam, hat er noch eine Rechnung offen. 

Der Plot des Romans wirkt stellenweise fantastisch, erinnert bisweilen auch an den magischen Realismus eines Jorge Luis Borges. Das Buch liest sich dann weniger als Tatsachenbericht über die Umstände der Sklaverei in den Vereinigten Staaten, sondern vielmehr wie ein Abenteuerroman. Ein sehr düsterer zwar, aber einer, der auf reale Gegebenheiten verweist. Whitehead hat dafür Berichte aus dieser Zeit studiert, auch solche, die von befreiten Sklaven aufgezeichnet wurden. 

Ein Buch, das noch lange beim Leser nachwirkt

Das ist Stärke und Schwäche des Romans zugleich. Denn vieles hat sich so ähnlich im 19. Jahrhundert tausendfach zugetragen. (Wer sich vertieft über die realen Bezüge informieren will, wird im Literaturverzeichnis am Ende des Textes fündig.) Doch entscheidet der Autor sich an wichtigen Stellen dann doch für die Fiktion. Das mag im Falle der Underground Railroad für die Leserschaft in den USA funktionieren, wo es (noch) ein relativ breites geschichtliches Bewusstsein dafür gibt. Ohne Sekundärliteratur dürfte es bei vielen Lesern außerhalb der Staaten hingegen einen falschen Eindruck hinterlassen. 

Was der Bedeutung des Romans aber keinen grundsätzlichen Abbruch tut. Vermittelt er doch einen plastischen Eindruck davon, woher jene tiefen Risse kommen, die das Land bisweilen zu zerreißen drohen. Und wie tief die beiden Ursünden der USA (nämlich der Menschen- und der Landraub) in der DNA des Landes stecken. Aus westlicher Sicht (auch wir haben ja unsere eigene Kolonial- und Sklavereigeschichte) ist die Lektüre ohnehin beschämend. 

Ein Buch, das noch lange nachwirkt. Und nachwirken sollte.