Donnerstag, 25. September 2025

Über die amerikanische Ursünde

Ein brutales, ein stellenweise nur schwer zu ertragendes, ein tief in die US-amerikanischen Ursünden abtauchendes Buch. "Underground Railroad" lässt den Leser nicht kalt, sondern verstört und bewegt, erhellt und verdunkelt zugleich. Doch ist es auch ein gutes Buch? Der Pulitzer-Preis, den Colson Whitehead dafür vor acht Jahren erhalten hat, lässt das zumindest vermuten. Wie fällt die Zeittotschläger-Bilanz aus?

Ein konspiratives Helfer-Netzwerk

Dass die "Underground Railroad" eine Metapher und keine tatsächliche Eisenbahnstrecke war, sollte im Hinterkopf behalten, wer sich an dieses stellenweise doch eher fantastische Werk des US-amerikanischen Autors ("Harlem Shuffle", "Nickel Boys") wagt. Dabei ist die tatsächliche Geschichte dieses Hilfsnetzwerks, das im 18. Jahrhundert entstand und schätzungsweise rund 100 000 Menschen aus der Sklaverei befreite, ja bereits fantastisch genug. 

Doch Whitehead lässt die Railroad in seinem Roman tatsächlich verkehren: Mit unterirdischen Stationen, Staaten überschreitenden Tunneln und echten Eisenbahnen. Dabei wird die Bahnstrecke dann doch wieder zu einer Metapher. Während wir der irren Flucht der Protagonistin Cora folgen, die ja weder Ziel noch Ende kennt - auch wenn es stellenweise so scheint - wird klar, was der Autor damit gemeint haben könnte. Dass es nämlich kein Entkommen gibt aus der Ursünde der Vereinigten Staaten: dem Menschenraub, der in "Underground Railroad" so drastisch wie abgründig im Mittelpunkt steht. 

Whitehead spart dabei nicht an grausamen Details, er lässt plastisch werden, was das eigentlich bedeutet: dass Menschen zum Eigentum anderer werden, zur Ware erniedrigt, herabgesetzt, jederzeit der Willkür ausgesetzt, der Züchtigung, der Hinrichtung. Und zwar nicht der schnellen, wie sie heute in den USA üblich ist, sondern der langsamen, die Menschen zur Schau stellenden. 

Kann so eine Flucht überhaupt gelingen?

Cora wird in diese Welt bereits hineingeboren, als Eigentum auf einer Baumwollplantage in Georgia. Und selbst hier lebt sie am Rande, bei den Aussätzigen, Ausgestoßenen. Sie entschließt sich dann zur Flucht. Einer Flucht, die nur durch Helfer, die sich selbst in Lebensgefahr begeben, zumindest zeitweise gelingt. Doch in South Carolina entpuppt sich die vermeintliche Befreiung als Falle, in North Carolina bleibt nur ein Versteck auf dem Dachboden zeitweilige Zuflucht. Selbst die reale Utopie der befreiten Farm währt nicht allzu lange. Währenddessen hat der skrupellose Sklavenjäger Ridgeway ihre Fährte aufgenommen. Mit Coras Mutter, die als bisher einzige aus der Plantage entkam, hat er noch eine Rechnung offen. 

Der Plot des Romans wirkt stellenweise fantastisch, erinnert bisweilen auch an den magischen Realismus eines Jorge Luis Borges. Das Buch liest sich dann weniger als Tatsachenbericht über die Umstände der Sklaverei in den Vereinigten Staaten, sondern vielmehr wie ein Abenteuerroman. Ein sehr düsterer zwar, aber einer, der auf reale Gegebenheiten verweist. Whitehead hat dafür Berichte aus dieser Zeit studiert, auch solche, die von befreiten Sklaven aufgezeichnet wurden. 

Ein Buch, das noch lange beim Leser nachwirkt

Das ist Stärke und Schwäche des Romans zugleich. Denn vieles hat sich so ähnlich im 19. Jahrhundert tausendfach zugetragen. (Wer sich vertieft über die realen Bezüge informieren will, wird im Literaturverzeichnis am Ende des Textes fündig.) Doch entscheidet der Autor sich an wichtigen Stellen dann doch für die Fiktion. Das mag im Falle der Underground Railroad für die Leserschaft in den USA funktionieren, wo es (noch) ein relativ breites geschichtliches Bewusstsein dafür gibt. Ohne Sekundärliteratur dürfte es bei vielen Lesern außerhalb der Staaten hingegen einen falschen Eindruck hinterlassen. 

Was der Bedeutung des Romans aber keinen grundsätzlichen Abbruch tut. Vermittelt er doch einen plastischen Eindruck davon, woher jene tiefen Risse kommen, die das Land bisweilen zu zerreißen drohen. Und wie tief die beiden Ursünden der USA (nämlich der Menschen- und der Landraub) in der DNA des Landes stecken. Aus westlicher Sicht (auch wir haben ja unsere eigene Kolonial- und Sklavereigeschichte) ist die Lektüre ohnehin beschämend. 

Ein Buch, das noch lange nachwirkt. Und nachwirken sollte. 

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