Donnerstag, 13. Juli 2006

Eretz Israel














Mal wieder regt sich in mir Missbehagen, und wieder ist der Nahe Osten Auslöser. Der Einmarsch Israels in den Libanon kündet von einer weiteren Eskalation des allmählich institutionalisierten Konflikts zwischen Israel und Palästina, sowie dem kalten Konflikt zwischen Israel und der arabisch-persischen Welt (mit Ausnahme Ägyptens). Dass die Situation so eskalieren würde, hatte ich zwar nicht erwartet, wäre aber angesichts der über Jahrzehnte verhärteten Fronten absehbar gewesen und deutete sich spätestens in den letzten Wochen nach den Entführungen zweier israelischer Soldaten an.

Das erschreckende an der Situation ist jedoch, dass es demokratische Wahlen waren, welche zu dieser neuerlichen Zuspitzung geführt haben. Dass die ersten freien, geheimen und fairen Wahlen in Palästina gerade die Hamas an die Spitze befördern würden war absehbar, aber aus meiner Sicht zugleich Chance wie Gefahr: Die völlig korrupte Fatah regierte schon lange vornehmlich in die eigenen Taschen, wohingegen sich die Hamas (im Westen nur als Terrororganisation wahrgenommen) durch Unbestechlichkeit und lebenspraktische soziale Unterstützung der Bevölkerung profilierte und deshalb der Mehrheit des palästinensischen Volkes als legitime demokratische Alternative erschien. In Israel fand zeitgleich eine dramatische Umstrukturierung des politischen Systems statt, ausgelöst durch den Austritt Scharons aus dem rechtskonservativen – im Gefolge der Umwälzungen zunehmend rechtsextremen und in die Bedeutungslosigkeit versinkenden – Likud und seiner Parteineugründung Kadima. Das politische System rückte damit wieder deutlicher Richtung Mitte, verstärkt durch den Wechsel an der Parteispitze der Arbeiterpartei zum linken, arabischen Israeli Amir Peretz (siehe Bild), der sich im Wahlkampf für eine friedliche Zwei-Staaten-Lösung aussprach. In der sich nach den Wahlen gebildeten Koalition zwischen Kadima, Arbeiterpartei (und der kleinen Rentnerpartei) unter Regierungschef Ehud Olmert übernahm Peretz schließlich den Posten des Verteidigungsministers. Mit einer breiten Koalition der Mitte in Israel auf der einen, und der in der palästinensischen Gesellschaft tief verwurzelten (aber zu großen Teilen fundamentalistisch ausgerichteten) Hamas auf der anderen Seite ergab sich aus meiner Sicht in der schwierigen Situation eine historische Chance. Würde es nämlich gelingen, die extremistische Basis Palästinas mittels der Hamas (vergleichbar der allämhlichen Akzeptanz des einstigen Terroristen Arafat und seiner PLo als legitime Integrationskraft) in ein demokratisches, funktionsfähiges politisches System zu integrieren, könnte der Konflikt auf mittlere Frist demokratisch geregelt, und eine vernünftige Zwei-Staaten-Lösung getroffen werden.

Beide Regierungen wussten leider nichts mit ihrer Chance anzufangen: Israel erkannte die demokratisch legitimierte Hamas gar nicht erst an, verwehrte die Zahlung von Gehältern aus Israel in die Autonomiegebiete und kommunizierte mit den Palästinensern (wenn überhaupt) nur noch über Präsident Abbas. Diesem wiederum gelang es nicht, eine palästinensische Einheit herzustellen: zwischen Fatah und Hamas kam es beinahe zu einem Bürgerkrieg. Der fundamentalistischen Exil-Hamas fiel in dieser Situation nichts besseres ein, als ihre pälastinensischen Kämpfer zur Entführung israelischer Soldaten zu ermuntern, wodurch eine Verständigung zwischen der regierenden Hamas und der oppositionellen Fatah wohl vorerst unmöglich scheint. Israel reagierte auf die Entführungen prompt, bombardierte Infrastruktur und Wohngebiete im ohnehin beschämend rückständigen Gazastreifen und verriegelte selbigen, um schließlich mehrere Minister der palästinensischen Regierung gefangen zu nehmen.

Spätestens an dieser Stelle schlug mein Entsetzen in Enttäuschung um, da ich Peretz als Verteidigungsminister wesentlich mehr zugetraut hatte. Zwar musste Peretz, wie alle Israelis seinen Militärdienst leisten, der gerade in die Zeit des Jomm-Kippur-Krieges 1973 fiel, aber selbst einer (in Israel oft gegängelten) Minderheit zugehörig, erwartete ich ein wenig mehr an Sensibilität im Umgang mit seinen arabischen Brüdern. Zum anderen war Peretz jahrelang Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes und trat 1999 aus der Arbeiterpartei aus, um eine linke Abspaltung der Partei zu gründen, welche jedoch 2004 wieder mit der Arbeiterpartei fusionierte. Politische Verortung und Geschichte dieses Mannes sprechen für mich einfach gegen eine solch brachiale, militärische Antwort. Denn es hätte ihm eigentlich klar sein müssen, dass die Bombardierung des einzigen Elektrizitätswerkes im Gazastreifen, des Flughafens in Beirut und die vielen "Kollateralschäden", die bei den Angriffen bisher "entstanden", den Extremisten von Hamas und Hisbollah in den Augen vieler Palästinenser und Libanesen genau die Legitimation für ihre Terrorakte gibt, die sie eigentlich nicht besitzen. Ob es seinem Amt geschuldet ist oder lediglich Mittel zum Zweck, um sich als künftigen Regierungschef attraktiv zu machen, oder ob ich seine friedensstiftende und integrative Rolle schlichtweg überschätzt habe – meine Einschätzung war falsch, ich bin enttäuscht und wieder einmal einer (vielleicht naiven) Hoffnung mehr beraubt...

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Also bitte...
Soviel politische Nonchalance und Eifer-Süchtelei hätte ich Dir gar nicht zugetraut.
Du weißt, dass die neuerliche (ha-ha) Entwicklung in Nahost ein emergentes Peodukt ist. Kein Grund, sich aufzuregen, und noch weniger einer, sich zu bestürzen (man beachte das entfallene Passiv). Also stop stating the obvious. Insofern verbleibt ein Jünger der G-7-Länder mit freundlichstem Gruß,
Q-ake