Samstag, 2. September 2006

Moderne Zeiten

















Die beeindruckende Rückkehr Dylans in die Höhen der Liedkunst Anfang der Neunziger, die in seinem Meisterwerk TIME OUT OF MIND (1997) kulminierte, schreitet fort. Aber um es gleich vorweg zu sagen: an diese Klasse reicht das neueste Werk leider nicht ganz heran. War Time out of mind noch ein klassisches, schweres Alterswerk, so überraschte uns der Meister 2001 zunächst mit LOVE AND THEFT, einer lockeren Hommage an den amerikanischen Folk, die mal bluesig, mal beswingt, mal countryesk daher kam und aufgrund einer sehr guten spielfreudigen Band und der neuen stimmlichen und textlichen Entspanntheit Zimmermanns überzeugen konnte.

Nun also MODERN TIMES. Aber Moderne Zeiten? Keine Spur - stattdessen eine logische, noch befreitere, reduzierte Fortsetzung von Liebe & Diebstahl. Spielte die Band zuvor mitunter auch mal dreckig und mit Druck, so üben sich die Musiker der Modernen Zeiten durchweg in Zurückhaltung. Melodien? Kaum. Soli? Gelegentlich. Ausbrüche? Fehlanzeige. Stattdessen ein sehr zurückgenommener, beinahe ausdrucksloser Klangteppich, zumeist bluesig, bisweilen schnell, gelegentlich langsamer, ab und an beswingt, aber immer dezent, nie zu dick aufgetragen oder gar pathetisch.

Man mag dies langweilig finden, beiseite legen, irgendeine andere der vielen Dylanplatten anhören und sich darüber beklagen, wie alt und zufrieden er doch geworden sei – oder sich einlassen auf eine kleine Reise in den Kosmos eines der eigenwilligsten Musiker der letzten vierzig Jahre. Denn das reduzierte Arrangement, die nie so befreit, geschmeidig und doch vom Alter gezeichnete Stimme, das epische Ausmaß der Platte (beinahe 70 Minuten bei zehn Songs) und vor allem die geballte Masse an Worten, die uns hier geboten werden – welche bei Dylan wie so oft auch ohne die Musik funktionieren – haben durchaus ihren Reiz.

Und mindestens zwei Klassiker lassen sich jetzt schon auf dem Album ausmachen: Der sozialkritische Workingman’s Blues #2, in dem u.a. singt: “There's an evenin' haze settlin' over town / Starlight by the edge of the creek / The buyin' power of the proletariat's gone down / Money's gettin' shallow and weak / Well, the place I love best is a sweet memory / It's a new path that we trod / They say low wages are a reality / If we want to compete abroad / My cruel weapons have been put on the shelf / Come sit down on my knee / You are dearer to me than myself / As you yourself can see / While I'm listening to the steel rails hum / Got both eyes tight shut / Just sitting here trying to keep the hunger from / Creeping it's way into my gut …” sowie das beinahe zehnminütige düster-apokalyptische Ain’t talkin’: “They say prayer has the power to heal / So pray from the mother / In the human heart an evil spirit can dwell / I am a-tryin' to love my neighbour and do good unto others / But oh, mother, things ain't going well / Ain't talkin', just walkin' / I'll burn that bridge before you can cross / Heart burnin', still yearnin' /There'll be no mercy for you once you've lost …”

MODERN TIMES wird letztlich im Gesamtwerk keine allzu große Beachtung erfahren, denn es ist beileibe kein Meisterwerk, und sicherlich auch nicht das letzte Werk von His Bobness sein, aber ein sympathisches, unaufdringliches und zeitloses Alterswerk mit dem Bob Dylan wieder einmal die Gegenwart der Vergangenheit aufleben lässt.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Zeitloses Alterswerk? Dass ich nicht lache: http://dylanchords.info/ und auf MODERN TIMES gehen, da wird schön fein säuberlich auseinandergenommen, was der Herr da fabriziert hat, nämlich fast gar nichts. Stattdessen (fast) alles geklaut und später Dylan drunter geschrieben...

Mathias Ellwanger hat gesagt…

Magst recht haben, er hätte ehrlicher sein können, was die Quellen (v.a.) seiner Bluesstücke angeht und nicht einfach "All songs written by Bob Dylan" drunter schreiben sollen. Aber erstens ist es Blues (wem gehört der denn bitteschön) und zweitens sind die mit Abstand besten Stücke des Albums (Workingman's Blues, Nettie Moore, Ain't talkin) astreine Dylans. Aber wer weiß, vielleicht wollte er uns ja nur hinters Licht führen, "Modern Times" bekäme dadurch natürlich eine ganz andere (schelmisch-ironische) Bedeutung!