Freitag, 29. September 2006

Die NPD und Du

Wahlsonntag in Mecklenburg-Vorpommern – das gleiche Bild wie vor knapp zwei Jahren in Sachsen: Eine scheinbar aus dem Nichts ins Parlament aufgestiegene NPD, völlig unvorbereitete Demokraten und äußerst ungeschickt agierende Journalisten. Anstatt den Verfassungsfeinden der NPD mit Gelassenheit und Souveränität zu begegnen, agieren Politiker wie Medienvertreter hektisch, fallen den braunen Spitzenkandidaten ins Wort und brechen die Interviews vorzeitig ab. Wovor scheuen sich die Demokraten? Etwa vor besseren Argumenten? Oder vor Klischees, denen sie nichts entgegenzusetzen wissen? Ist es ihnen denn gar nicht bewusst, dass sie mit ihrer undemokratischen Umgangsweise den braunen Herrschaften genau die Bühne geben, die sie ihnen doch eigentlich zu verweigern suchen? Letztlich liegen die Ursachen des Problems in der Krise unserer Demokratie und in der totalitären Vergangenheit Ostdeutschlands.

Betrachten wir daher zunächst die National-„Demokraten“: Die einst kapitalistische Partei wandelte sich spätestens Anfang der 90er Jahre zu einer antikapitalistischen, revolutionären Partei. Erfolg war ihr dadurch zunächst nicht beschieden, denn nach der Wende wussten zunächst andere, noch radikalere Organisationen das rechtsextreme Potenzial im Osten der Republik zu bündeln. Aufgrund einer Reihe von Verbotsverfahren gegen rechtsextreme Organisationen, einer breiten Öffnung der Partei hin zu rechten Skinheads und Kameradschaften und einem gleichzeitig moderateren, professionalisierten und beinahe bürgerlichen Auftreten konnte sich die NPD langsam in der rechtsextremen Szene etablieren.

Kämpfen gegen das „Schweine-System BRD“

Ironischerweise ist der wirkliche Aufstieg der selbst ernannten Retter des deutschen Volkes ausgerechnet dem Verfassungsschutz zu verdanken. Das gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD im Jahre 2000 erlaubte zwar keinerlei Aussage über die Verfassungstreue der Partei, es machte sie aber auf einen Schlag in der ganzen Republik bekannt. Die NPD bastelte daraus für ihre Anhänger das Image eines Märtyrers und stellte die BRD als illegitimes „System“ dar, das es zu überwinden gilt. Außerhalb der Parteikreise kam das gescheiterte Verbot einem Persilschein gleich, der die Wählbarkeit der Partei als angeblich legitime, demokratische Alternative implizierte.

Der parlamentarische Erfolg ist für die „nationalen Sozialisten“ lediglich Mittel zum Zweck im Kampf um die Überwindung des „Systems BRD“. Neben dem Kampf um die Parlamente hat der Parteivorsitzende und diplomierte Politikwissenschaftler Udo Voigt den Kampf um die Köpfe und den Kampf um die Straßen ausgerufen. Mit durchaus beachtlichem Erfolg – zumindest in vielen ländlichen, von den demokratischen Parteien vernachlässigten Regionen. Hier die Parteistrategie: Neben der Besetzung sozialer Themen wie Hartz IV versucht die NPD, möglichst bürgerlich und seriös aufzutreten, sich auf kommunaler Ebene als bürgernahe, aktive Partei zu präsentieren, Auseinandersetzungen nicht zu scheuen und im Zweifelsfall pragmatisch zu handeln. Sie veranstaltet scheinbar harmlos anmutende „Volks“-Feste mit Bratwurst und Blasmusik, organisiert nationalistische Krabbelgruppen, betätigt sich rege in Bürgerinitiativen und hilft Langzeitarbeitslosen bei der Jobsuche.

Im sächsischen Parlament agiert die NPD geschickt. Sie hat sich fleißig in die Regeln des von ihr so verabscheuten parlamentarischen Alltags eingearbeitet und weiß die Schwächen der demokratischen Parteien für sich zu instrumentalisieren. Da ihre Kritik nicht selten einen wahren Kern hat, wussten die Demokraten zunächst nicht, wie sie reagieren sollten. So boten sie der NPD zunächst viel Raum für Propaganda, und nur so konnte es dieser wiederum gelingen, ihr rein instrumentelles Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie zu kaschieren.

Die personelle Decke innerhalb der NPD ist jedoch äußerst dünn. Die sächsische Landtagsfraktion versammelt beinahe die gesamte Parteielite. Mehr als die Hälfte der Gehaltsempfänger im Landtag stammt nicht aus Sachsen, sondern setzt sich aus altgedienten Parteikadern zusammen. Auch Versuche, eine so genannte „Dresdner Schule“ zu begründen, die eine intellektuelle rechtsextreme Elite formieren und eine ähnliche gesellschaftliche Breitenwirkung wie die Frankfurter Schule zeitigen soll, hatte bisher eher bescheidene Effekte zur Folge. Das Einflusspotential einer mit 6000 Mitgliedern durchaus als Splittergruppe zu bezeichnenden Partei sollte daher weder über- noch unterbewertet werden. Vielmehr sollten die bisherigen Auswirkungen als Alarmsignal für die zunehmende Akzeptanz einer sich etablierenden rechtsextremen Kultur verstanden werden. In manchen Regionen Ostdeutschlands lässt sich schon von einer regelrechten Hegemonie der modernen Nazis sprechen. Nur ein Beispiel: Nachdem die NPD „aktive Teilnahme“ androhte, wurde im März ein Benefizkonzert des Liedermachers Konstantin Wecker in Halberstadt abgesagt.

Rechtsextremismus aus der Mitte des Volkes

Rechtsextreme Denkmuster an sich sind in Deutschland quer durch alle Schichten und Generationen zu finden, also kein spezifisch ostdeutsches Phänomen. Doch warum gerade diese außergewöhnlich starke Attraktivität und Akzeptanz des Rechtsextremismus in den ostdeutschen Bundesländern? Gemeinhin wird auf die kollektive Frustration breiter Bevölkerungsteile verwiesen, auf die hohen Arbeitslosenzahlen und die geringen Zukunftsperspektiven der sozial Benachteiligten. Ein Zusammenhang zwischen Prekarisierung breiter Bevölkerungsschichten und Hang zum Rechtsextremismus ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Doch diese Erklärung greift – meiner Ansicht nach – zu kurz. Strukturschwache Regionen gab und gibt es im gesamten Bundesgebiet, aber trotzdem konnte sich in Westdeutschland (noch) keine rechtsextreme Partei dauerhaft etablieren; und wo sie es doch zeitweise in die Parlamente schaffte, dort hatte sie stets mit starken zivilgesellschaftlichen Strukturen zu kämpfen.

Die wesentlichen Strukturen des Rechtsextremismus in Ostdeutschland scheinen schon zu Zeiten der DDR gelegt worden zu sein. Drei Faktoren halte ich dabei für ausschlaggebend: das zentrale Prinzip der Gleichheit, den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit von Seiten der Einheitspartei und die fehlende Zivilgesellschaft.

Zur Gleichheit: Der „Arbeiter- und Bauernstaat“ hatte sich als zentrales Ziel gesetzt, Gleichheit herzustellen: Gleich sollten die Einkommen sein, der Wohlstand, das Denken und die Art der Lebensführung. Konformität, Strebsamkeit und Anpassung waren die Schlüssel zum Erfolg. Orientierung an der Masse, nicht Individualität und Distinktion, war die Voraussetzung für soziale Akzeptanz. So wurden nicht nur Nonkonformisten wie Punks oder Hippies stigmatisiert und verfolgt. Auch die wenigen Ausländer, die die DDR aus den sozialistischen Bruderländern anwarb, wurden staatlich benachteiligt und sozial segregiert. Wie tief die Empfindung des „Ihr gehört nicht dazu“ sich eingeprägt hatte, war nicht zuletzt an den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen 1991 erkennbar, als die Wut des Mobs auch auf die seit Jahrzehnten ansässigen vietnamesischen Gastarbeiter überschwappte.

Zum Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: Obgleich sich die DDR als antifaschistischer Staat rühmte, verpasste sie die Chance einer intensiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, die in der Bundesrepublik spätestens in den Sechziger Jahren mit den Auschwitz-Prozessen und den Studentenrevolten einsetzte. Den Denkern der sozialistischen DDR zufolge lag die Wurzel des Faschismus im Kapitalismus. In der antikapitalistischen DDR konnte es nach diesem Verständnis per se keine Faschisten geben. Gefährlich waren stattdessen immer die Anderen, vorzugsweise die BRD. Ihr wurde als direktem Nachfolgestaat des NS-Regimes nicht nur die alleinige Verantwortung für die Vergangenheit zugewiesen. Sie, und nur sie, stand unter dem Verdacht, jederzeit wieder in ein faschistisches System umschlagen zu können. Daher rührt auch die absurde Bezeichnung der Berliner Mauer als „antifaschistischer Schutzwall“, und aus demselben Grund kam es zur Diffamierung des Arbeiteraufstands des 17. Juni 1953 als faschistischen, konterrevolutionären, vom Westen gelenkten Aufstand.

Insgesamt mangelte es der DDR an zivilgesellschaftlichen Strukturen. Während sich in der BRD mit wachsendem Wohlstand die Gesellschaft demokratisierte, wurde in der DDR jegliche Selbstorganisation als verdächtig betrachtet und verfolgt. Die kritischen Sensoren der Bürger stumpften so mit der Zeit ab. Im Zuge des schleichenden Untergangs entstanden Ende der Achtziger durch mutige Bürger nach und nach zarte basisdemokratische, zivilgesellschaftliche Strukturen. Diese wurden jedoch nach der Wiedervereinigung schnell von den gefestigten, eingespielten politischen Strukturen der Bundesrepublik erdrückt. Die positive Erfahrung mit dem demokratischen System, welche die westdeutschen Bürger in den Erfolgsjahren der Bundesrepublik machten, blieb vielen Ostdeutschen verwehrt. Die einstige Erfolgsgeschichte West begann schon vor der Wiedervereinigung zu kriseln und so kam für nicht wenige die Wende einem sozialen Abstieg gleich.

Demokratie in Gefahr?

Doch auch im Westen bröckelt allmählich das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der Demokratie und in das Politische System. Laut dem aktuellen Deutschland-Trend der ARD sind 51 % der Deutschen unzufrieden mit der Demokratie – der höchste jemals gemessene Wert in der Geschichte der Bundesrepublik! Zudem gaben zwei Drittel der Befragten an, in Deutschland gehe es eher ungerecht zu. Die Solidarität sinkt, und damit auch die Bereitschaft, sich für die Gemeinschaft zu engagieren – die Zivilgesellschaft ist in Gefahr. Die Art des gesellschaftlichen Diskurses über islamischen Fundamentalismus, Kopftuch, Rütli-Schule und Ehrenmorde schafft zudem eine Atmosphäre, in der ausländerfeindliche Ressentiments zunehmend akzeptiert werden. Für die Rechtsextremen ist es so ein Leichtes, sich als die Vollstrecker des Willens der Mehrheit zu präsentieren und die demokratischen Parteien als vermeintliche Papiertiger zu entlarven. Traumhafte Verhältnisse für eine populistische Partei, die sich die Abschaffung des „Systems BRD“ auf die Fahne geschrieben hat!

Argumentieren – nicht verbieten!

Was also tun gegen die modernen Nazis? Verbote sind – gerade in einer Demokratie – das falsche Mittel und die Diskussion darüber ist spezifisch deutsch. Stattdessen bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung, der sich auch und gerade die Journalisten nicht entziehen dürfen. Die Demokratie muss ihre Überlegenheit dadurch beweisen, dass sie sich nicht vor der Auseinandersetzung mit Extremisten scheut, sondern ihnen ihre größte Stärke demonstriert: die des Arguments. Das muss gelernt und praktiziert werden. Hier kommt den Schulen eine entscheidende Rolle zu. Es sollte dort aufgeklärt und diskutiert werden, auch und gerade über die modernen Nazis und ihre Argumente. Die Politik darf sich nicht davor scheuen, auch in den peripheren Regionen das Gespräch mit den Bürgern zu suchen. Die Zivilgesellschaft muss gestärkt werden, um den Braunen die Themen streitig zu machen, sich mit ihnen auseinander zu setzen und ihre Argumente zu widerlegen. Die Jugendkultur muss stärker gefördert werden, um etwaigen rechten Hegemonien entgegenzutreten. Und letztlich liegt es in der Verantwortung jedes Einzelnen, rechtsextremen Einstellungen, Denkmustern und Kulturen in seiner Umgebung entgegenzutreten. Denn eine Zivilgesellschaft braucht Individuen, die an sie glauben.  

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