Sonntag, 28. Oktober 2007

SPD - wohin?

Der in den letzten Wochen ungewohnt deutlich und öffentlich ausgetragene Richtungsstreit in der SPD thematisierte das vielleicht wichtigste und gleichsam umstrittenste Reformpaket in der wiedervereinigten Bundesrepublik, und täuscht doch über das größte Problem der ältesten deutschen Partei hinweg: ihre weitgehende Profillosigkeit.
 
Zwischen einer links überholenden CDU und einer, alte sozialdemokratische Positionen besetzenden Linkspartei ist der Platz dünn geworden für die alte Tante SPD. Keine Partei leidet wohl momentan unter einer schlechteren öffentlichen Wahrnehmung, keine leidet so sehr unter der Parteiverdrossenheit auch und gerade der jüngeren Deutschen und keine weiß wohl momentan schlechter, wo sie sich nun eigentlich selbst verorten soll. Wer oder was ist die SPD nach Schröder?

Die Identitätsfrage stellt sich jedoch nicht erst seit dem recht unsouveränen Abgang des einstigen Basta-Kanzlers. Im Prinzip befindet sich (nicht nur) die deutsche Sozialdemokratie schon seit bald dreißig Jahren in einer veritablen Identitätskrise. Und rückblickend sind ihre Wahlerfolge unter Schröder weniger politischer Attraktivität als Überdruss nach 16 Jahren Kohl (1998) und weltpolitischen wie nationalen Verwerfungen (die Oderflut und der sich anbahnende Irakkrieg anno 2002) zu verdanken.

Die Sozialdemokratie ist dabei nicht zuletzt Opfer ihres eigenen Erfolges: den Errungenschaften der organisierten Arbeiterschaft (deren Heimat von Beginn an bei den Erben Lasalles zu finden war), welche im Laufe des 20. Jahrhunderts das begründeten, was heute bisweilen verächtlich als Wohlfahrtsstaat bezeichnet wird. Dass die Klassenstruktur dieser Gesellschaft sich zudem hin zu einer verstärkt individualisierten Milieustruktur wandelte, so etwas wie Klassenidentität oder –solidarität nur noch in Geschichtsbüchern stattfindet, schlug sich auch in Programmatik und Auftreten der Partei nieder.

Die Linke hat sich deshalb auch schon lange abgewendet von Deutschlands ältester Partei, zu oft hat sie sich gewandelt, zu sehr ist sie in der ominösen Mitte der Gesellschaft angekommen, zu oft hat sie (neben all den Erfolgen) versagt: schon als sie für den 1. Weltkrieg votierte, als sie in der Weimarer Republik die Demokratie nicht stabilisieren konnte, als sie während der ersten Großen Koalition für die Notstandsgesetze votierte, als 1982 der NATO-Doppelbeschluss abgesegnet wurde, als sie 1992 den umstrittenen Asylkompromiss mittrug, als sie Deutschland in den ersten Kriegseinsatz nach dem 2. Weltkrieg (zudem ohne UN-Mandat) führten – die Agenda 2010 nicht zu vergessen… „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“

Was also ist zu erwarten von dieser SPD, die selten weniger attraktiv war als jetzt? Nicht viel, denn neben charismatischem Führungspersonal mangelt es der einstigen Volkspartei vor allem an Ideen. Sicher, Politik in der Postmoderne mag komplexer, weniger eindeutig und glücklicherweise auch weniger ideologisch sein als noch zu Zeiten von Marx und Lasalle. Aber etwas mehr als Mehrwertsteuererhöhung, Rente mit 67, Senkung von Unternehmenssteuern, Kriegseinsätze oder die just abgesegnete Bahnprivatisierung dürfte selbst für eine solch bräsige Vereinigung wie jene in die Jahre gekommene SPD drin sein. Ansonsten dürfte es der Partei bald in der ganzen Republik gehen wie in Sachsen, wo sie unlängst in Umfragen gar von der NPD überholt wurde…

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Stimme dem weitgehend zu. Allerdings befindet sich die SPD ja nun in der ja nach Blickwinkel wünschens- oder bedauernswerten Position, sogenannte "Realpolitik" machen zu müssen. Zum Einen führt das zu einer meiner Meinung nach systemischen Verschiebung der Partei zur Mitte hin, gegen die die SPD nicht viel machen kann, zum Anderen zieht praktische Politik automatisch "faule" Kompromisse und auch veritable Fehler nach sich. Ich halte es darüber hinaus für einen Irrglauben, dass die Popanze Gysi und Lafontaine so etwas wie eine unter realen Bedingungen lebensfähige Politik zu machen, die im klassischen Sinn links von den Volksparteien zu verorten wäre.
Aber was soll's.