Ein im Jahre 2007 (und damit noch vor der Finanzkrise) von einem französischen "Unsichtbaren Kommittee" verfasstes anarchokommunistisches Manifest namens "L'insurrection qui vient" (Der kommende Aufstand) schlägt inzwischen auch jenseits der linksradikalen Szene hohe Wellen. Rezensionen erschienen in der Zeit, der SZ, der taz und im Freitag. Vor kurzem würdigte sogar die FAS in einer ausführlichen Kritik dieses Werk, dem es das Potenzial bescheinigt "das wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit werden" zu können, es jedoch erwartungsgemäß als utopisch verwirft.
Was ist also dran an diesem Text? Und was lässt ihn so wirkmächtig erscheinen, dass sich sogar die bürgerliche Presse den Kopf darüber zerbricht? Es mag die sprachliche Qualität des Manifestes sein, welche dem 92 Seiten starken Werk über die übliche linksradikale Rhetorik hinaus eine gewisse Evidenz verleiht. Zentrale Entwicklungen in der westlich-kapitalistischen Welt werden präzise wie provokant herausgearbeitet: Die Veränderungen der Arbeitswelt, der Zerfall gesellschaftlichen Zusammenhalts, die neoliberale Durchdringung des Alltags, die Selbstausbeutung und Perfektionierung des Egos unter dem Banner "I am what I am", sowie die Ökonomisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Demgegenüber stehe eine Linke, die entweder paralysiert sei vom Zusammenfall des Staatsozialismus oder in Form der Ökologie- und die Antiglobalisierungsbewegung (die beide aufs Schärfste kritisiert werden) nur eine neue, moderne Variante kapitalistischer Kontrolle und Verwaltung aufzeige.
Es handelt sich bei "Der kommende Aufstand" um ein zeitgemäßes anarchistisches Pamphlet, das jegliche politische Organisationsstruktur ablehnt und ganz auf die Kraft der Situation und der Dekonstruktion setzt. Vieles bleibt hier sehr im französischen Kontext (Pariser Commune, action directe, Banlieu-Aufstände, Proteste und Generalstreiks) verhaftet und knüpft an die situationistische, dekonstruktivistische und postmoderne Tradition der politischen Philosophie an. Und wo die Analyse bisweilen messerscharf seziert, wirkt die Handlungsanleitung seltsam dünn. Viel mehr als Selbstorganisation ohne Organisation, Illegalität, Subversion und Destruktion haben die Autoren leider nicht im Angebot. Damit lassen sich die Widersprüche des Anarchismus nur schwer beheben.
Was bleibt ist eine intellektuell anregende Lektüre, die ich mit mehr Gewinn gelesen habe als das theorielastige, kryptische Empire von Hardt/Negri. Um das kommunistische Manifest des 21. Jahrhundert - wie vielfach behauptet - handelt es sich wohl allerdings bei keinem der beiden Werke. Und daher kann ich mich nur Aram Linzel von der taz anschließen: "Mit derartigen Grobschnitzereien bedient dieser Diskurs das grassierende Ressentiment gegen repräsentative Demokratien und ihre Institutionen. Nichteinverstandensein einfach gemacht. Der Situationismus-Update veredelt diese Haltung mit Theorieglamour und dem Nimbus des Radikalen. So bekommt der Leser das gute Gefühl, sich vom gewöhnlichen Protest-Nichtwähler kulturell zu unterscheiden. Mit ihrem Kult der Unmittelbarkeit sind diese Publikationen Anleitungen zur Regression in eine vielleicht verführerische, aber letztlich klaustrophobische Politidylle."
Es handelt sich bei "Der kommende Aufstand" um ein zeitgemäßes anarchistisches Pamphlet, das jegliche politische Organisationsstruktur ablehnt und ganz auf die Kraft der Situation und der Dekonstruktion setzt. Vieles bleibt hier sehr im französischen Kontext (Pariser Commune, action directe, Banlieu-Aufstände, Proteste und Generalstreiks) verhaftet und knüpft an die situationistische, dekonstruktivistische und postmoderne Tradition der politischen Philosophie an. Und wo die Analyse bisweilen messerscharf seziert, wirkt die Handlungsanleitung seltsam dünn. Viel mehr als Selbstorganisation ohne Organisation, Illegalität, Subversion und Destruktion haben die Autoren leider nicht im Angebot. Damit lassen sich die Widersprüche des Anarchismus nur schwer beheben.
Was bleibt ist eine intellektuell anregende Lektüre, die ich mit mehr Gewinn gelesen habe als das theorielastige, kryptische Empire von Hardt/Negri. Um das kommunistische Manifest des 21. Jahrhundert - wie vielfach behauptet - handelt es sich wohl allerdings bei keinem der beiden Werke. Und daher kann ich mich nur Aram Linzel von der taz anschließen: "Mit derartigen Grobschnitzereien bedient dieser Diskurs das grassierende Ressentiment gegen repräsentative Demokratien und ihre Institutionen. Nichteinverstandensein einfach gemacht. Der Situationismus-Update veredelt diese Haltung mit Theorieglamour und dem Nimbus des Radikalen. So bekommt der Leser das gute Gefühl, sich vom gewöhnlichen Protest-Nichtwähler kulturell zu unterscheiden. Mit ihrem Kult der Unmittelbarkeit sind diese Publikationen Anleitungen zur Regression in eine vielleicht verführerische, aber letztlich klaustrophobische Politidylle."
Ergänzung: Die Debatte ist immer noch in vollem Gange: In der FR ist inzwischen auch eine Rezension erschienen. Die taz hat inzwischen kräftig nachgelegt, das Pamphlet in die Nähe von Carl Schmitt und der konservativen Revolution gerückt und es als antidemokratisch und -modern in die rechte Ecke gestellt. In der SZ erschien darauf eine Erwiderung. Faszinierend, auf welchen Resonanzboden das Werk doch fällt...
Ergänzung II: Die von der SZ ins Spiel gebrachte, rechte Sezession hat inzwischen reagiert und die Analogie zwischen dem Unsichtbaren Komittee und Fight Club näher beleuchtet. Und auch die taz hat noch nicht genug von dem Buch und stellt den antimodernen Duktus in eine linke wie rechte Tradition.
Ergänzung III: Und nochmal die Sezession als Reaktion auf die Jungle World, die meinte: "Links ist das nicht".
Ergänzung IV: Auch der Spiegel hat das Werk inzwischen entdeckt und setzt es in eine Reihe mit dem a aktuellen Schmöker des Zeitgeist-Philosophen Precht und der "Müdigkeitsgesellschaft" des mir bisher unbekannten Byung-Chul Han. Aber auch die Sezession kann die Finger (noch) nicht von diesem Werk lassen.
Ergänzung V: Das Unsichtbare Kommittee hat inzwischen Stellung bezogen zu dem Diskurs um die Streitschrift: Verwaltet weiter, verschweigt! Eine Intervention
6 Kommentare:
der herr liest also die sezession! das ist doch mal eine interessante nachricht. dann weißt du ja sicher auch, dass da die klügsten und besten denker des landes schreiben.
der kommende aufstand ist die aufregung nicht wert. sollten lieber schmitt lesen! oder benoist!
p.s. manuel, ich bleibe bei der kleinschreibung, aus überzeugung.
Lieber kritiker,
ich schätze das Recht auf Meinungsfreiheit in diesem Lande und lese daher gerne auch Publikationen, die eine andere politische Position vertreten wie ich.
Die Aufregung um dieses Büchlein kann ich ehrlich gesagt auch nicht so ganz nachvollziehen, vielleicht steckt dahinter die Sehnsucht nach angemessenen zeitgenössischen politischen Manifesten. In diesen Zeiten, da niemand (der noch bei Verstand ist) mehr auf letzte Gewissheiten bauen kann, erscheint ein solches Werk bisweilen wie eine Streicheleinheit für die immer noch schlummernde Revoluzzerseele eines jeden Feuilletonisten...
Glück & Freiheit.
Zeittotschläger.
Was das Unsichtbare Kommittee produziert hat, ist in der Tat nur ein literarisch anregender Aufguss alter anarchistischer Trugschlüsse. Da spricht die jugendliche Lust an der Zerstörung, das kulturrevolutionäre Moment der Bilderstürmer, aber nicht der Geist der Tat und des Aufbruchs. Was übrig bleibt, wenn die Städte der Welt in die Hand der Aufständigen gerät, ist weit entfernt vom Geist der Commune de Paris. Es ist der Geruch von Verwesung, Müll und Tod, der dieses Traktat umhüllt.
Bin über indymedia auf deine Seite gekommen. Auf welcher Seite stehst du? Wie kannst du Sezession UND Jungle World lesen? Hast du das Buch überhaupt gelesn? Die Fronten werden neu ausgelotet! Genosse oder Feind? Offenbare dich!
Ich stehe auf keiner Seite, bin weder Freund noch Feind, und ich lese so ziemlich alles Politische, was mir zwischen die Finger kommt und halbwegs reflektiert ist. Ich halte viele alte Unterscheidungen für fragwürdig und wechsle auch gerne die Fronten, um neue Perspektiven zu gewinnen. Genug offenbart?
Der Kommentar eines Marxisten, der anonym bleiben will:
"an was es dem kommenden aufstand mangelt, um sich in eine reihe mit dem kommunistischen manifest zu stellen, ist das aufzeigen des geschichtlichen und dessen ahistorischen kern. der ahistorische kern in jeder epoche wäre marxistisch gesehen der klassenkampf, dieser wird meiner meinung nach durch nostalgie in der postmoderne ersetzt. im manifest heißt es irgendwo, dass die aufklärung ein halbes jahrhundert vorbereitungszeit benötigte, kämpfe schaffen ihre eigene sprache, anders heute, europa ist ausverkauft, europa kauft bei lidl ein usw. also die nostalgie verschleiert nicht die vermittlung sondern den ahistorischen kern... dafür fehlt auch die ökonomisch-historische analyse halt, sonst gehe ich aber da cor mit forderungen nach dezentralem kampf, hoffnung in der hoffnungslosigkeit, antireformismus usw. usw. empire ist eine brillante analyse, verkennt aber meiner meinung nach zu sehr den aspekt der gewalt kommender konflikte hier ist die typisch marxistische epochenanalyse mit ahistorischen kernen gegeben, aber die idealistische forderung vom revolutionär der in liebe und einfachheit handelt ertränkt den gewaltätigen aber notwendigen kern kommender kämpfe, dabei meint gewlt eben nicht dirket waffengewalt sondern die mannigfaltigen und unmöglichsten kampflätze im empire."
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