Montag, 3. September 2012

Cradle to Cradle


Jeder Deutsche produziert rund 450 Kilogramm Hausmüll - und das jedes Jahr. Im EU-Durchschnitt sind es sogar stolze 524 Kilogramm. Würde die ganze Welt so viel Abfall hinterlassen wie die EU-Bürger, wären das 3 668 000 000 000 Kilogramm Müll pro Jahr. Dass unser Planet dies nur schwer verkraften kann, liegt auf der Hand. Doch noch konsumieren nicht alle Menschen so viel wie die Europäer. 

Damit auch der Rest der Welt künftig unserem Konsumverhalten frönen kann, bedarf es eines neuen Umgangs mit dem Abfall, den wir produzieren. Denn momentan wird in den Entwicklungsländern ein Großteil unseres teils gefährlichen Abfalls wiederverwertet - auf Kosten von Natur und Gesundheit der dortigen Bevölkerung. Doch es gibt auch Konzepte, die es ermöglichen, aus diesem ungesunden Kreislauf auszusteigen. Das Stichwort heißt Cradle to Cradle (C2C), zu deutsch: von der Wiege bis zur Wiege. 

Umweltschutz ist mehr als effektive Müllproduktion 

Einer der deutschlandweit bekanntesten Befürworter von C2C ist der Chemiker Michael Braungart. Sein Credo lautet: "Müll ist Nahrung". Im Jahre 1987 trennte er sich von seinem vorherigen Arbeitgeber Greenpeace und gründete das EPEA-Institut, um Organisationen hinsichtlich ihrer Ökoeffektivität zu beraten. Dabei kritisiert er das hierzulande vorherrschende Mainstream-Verständnis von Ökologie. Im Gespräch mit N-TV sagt er: "Es ist irrsinnig zu glauben, Umweltschutz besteht aus einer möglichst effektiven Zerstörung der Rohstoffe." Sein Vorwurf an die Deutschen: Sie optimieren, aber leider optimieren sie das falsche System.


Braungarts Grundprinzip: Schon bei der "Geburt" eines Produktes soll ein mögliches zweites Leben eingebaut sein: von der Wiege bis zur Wiege eben - ein Kreislaufsystem. Mit den Produkten sollen keine Giftstoffe in die Umwelt gelangen, für ihre Produktion und Entsorgung keine Rohstoffe ausgebeutet und keine fossilen Brennstoffe verheizt werden. Für Braungart sind potenziell alle Materialien kompostierbar, egal ob Metall, Plastik, Textilien oder Holz. Und Waren wie Möbel, Elektrogeräte oder Textilien lassen sich so produzieren, dass die Hersteller sie nach Gebrauch in ihre Einzelteile zerlegen und wiederverwerten können. 

Ein weiterer Protagonist der C2C-Szene ist der US-amerikanische Architekt William Mc Donough. Er übersetzte die Ideen Braungarts in eine nachhaltige Gebäudeplanung. Beide blicken auf eine langjährige gemeinsame Zusammenarbeit zurück, haben Bücher verfasst und Büros in vielen Ländern eröffnet. Mit ihren Konzepten haben die beiden so manches Unternehmen überzeugt, darunter Größen wie Nike oder Puma. Der Sportartikelhersteller Nike nimmt inzwischen Turn­schu­he aller Marken zu­rück und verwertet sie weiter zu Laufbahnen oder Bas­ket­­ball­plät­zen. Oder hierzulande Trigema. Der Burladinger Textilhersteller hat seit kurzem eine eigene C2C-Kollektion und produziert kompostierbare Klamotten. Firmenchef Grupp gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Enorm: "Nichts Unverwertbares entsteht, nichts geht verloren. Das ist die eigentliche Revolution." 

Taugt C2C zu mehr als Sonntagsreden? 

Kritik an C2C gibt es ausgerechnet vom Umweltbundesamt. Dieses zweifelt an der Praktikabilität der Vorschläge Braungarts. Die seien nicht ausreichend zu Ende gedacht, Rohstoffströme nur unzureichend geplant. Das bereits bestehende Kreislauswirtschaftsgesetz reiche vollkommen aus. Zwar machen sich, so Joachim Wuttke vom Fachbereich Nachhaltige Produktion in der Zeit, seine Ideen gut in Sonntagsreden. Aber "in der praktischen flächendeckenden Umsetzung stoßen wir auf zahlreiche Grenzen, die uns politische und ökonomische Rahmenbedingungen setzen." Damit seine Ideen funktionieren, müssten schon alle mitmachen, am besten weltweit. 

Braungart würde dem wohl nur zum Teil widersprechen, fordert er doch, so der Titel eines seiner Bücher, nicht weniger als "die nächste industrielle Revolution". Davon ist die weltweite industrielle Produktion zwar noch weit entfernt. In den Niederlanden aber hat sich die C2C-Idee bereits verbreitet. Zahlreiche Firmen haben auf ein Kreislaufsystem umgestellt. Die Region Venlo bezeichnet sich gar als "Cradle-to-Cradle-Region". Die niederländische Regierung unterstützt das nachhaltige Konzept und will in Zukunft nur noch C2C-Design einkaufen. Seit 2008 gibt es auch einen eigenen Cradle-to-Cradle-Lehrstuhl an der Erasmus-Universität Rotterdam. Die Professur hat Michael Braungart. 

Annäherung an ein Ideal 

Braungart versteht C2C als Prozess. Unsere Konsumprodukte enthalten eine Vielzahl von Chemikalien. Zudem kommen allein bei der Herstellung von Textilien rund 7 000 Chemikalien zum Einsatz. Dass von heute auf morgen ohne diese hergestellt werden kann, hält auch er für illusorisch. Daher zertifiziert das EPEA -Institut C2C-Produkte mit Bronze, Silber, Gold und Platin, je nachdem wie sehr sich das jeweilige Produkt dem Ideal annähert. So versucht man auch der Gefahr zu entgegnen, dass Unternehmen, die sich mit C2C schmücken nur Greenwashing betreiben. 

Auch in den USA ist das Interesse an C2C groß. Im Jahre 2003 wurde Braungart mit dem "Presidential Green Chemistry Award" ausgezeichnet. 2007 ernannte das Time Magazine McDonough und Braungart zu "Helden der Umwelt". Einer seiner prominentesten Befürworter ist außerdem Arnold Schwarzenegger. In seiner Zeit als kalifornischer Gouverneur machte er die Idee prominent. San Francisco feiert inzwischen einmal jährlich den Cradle-to-Cradle-Tag. Auch Regisseur Steven Spielberg arbeitet an einem Dokumentarfilm über den Visionär und unterstützt die Idee mit Millionenspenden. In Deutschland , dem Mutterland der Ökologiebewegung, wird Braungart hingegen mit seinen Ideen hingegen noch kaum wahrgenommen. Die von ihm ersehnte "nächste industrielle Revolution" werde hierzulande bisher verschlafen. 

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