Donnerstag, 4. April 2013

Manchmal auch bei Nacht, Marie


Deutschsprachige Musik mit anständigen Texten ist leider immer noch eine Seltenheit. Zu sehr steckt unsere Sprache voller Fallstricke und Tücken für all jene, die sie laut zu singen wagen. Songwriter Tristan Vox weiß mit unserer Sprache umzugehen und verwendet sie auf seinem Debütalbum in einem zugleich episch wie lakonisch anmutendem Sinne. Musikalisch betritt er dabei nicht unbedingt Neuland. Während seine Stimme bisweilen an Tom Liwa, den großen Emo-Esoteriker unter den deutschen Songwritern, erinnert, lässt er an manchen Stellen den melancholisch-verträumten Charme von Element of Crime anklingen.

Doch seine Musik (die er komplett selbst eingespielt hat) weist über diese Bezüge hinaus, ertönt mal sanft, mal widerspenstig, stets dringlich. Tristan sinniert zwar mit Vorliebe melancholisch-schwelgerisch über das Zwischenmenschliche, doch dies mit solch kunstvoller Eleganz, dass die üblichen Vergleiche schon recht bald überflüssig werden. Der Kontext, in dem er sich popkulturell bewegt, funktioniert bei der Auseinandersetzung mit diesem erstaunlichen Werk letztlich nur als Fallnetz beim Erstkontakt. Je tiefer der Hörer in die zehn Stücke eintaucht, desto weniger nützen diese Referenzen. 

„Manchmal auch zur Nacht, Marie“ macht es dem Hörer daher gewiss nicht einfach. Hinter den oft unscheinbar wirkenden Worten verbirgt sich eine in deutscher Sprache selten zu vernehmende Tiefe. Trotz aller lyrischen Distanz haben wir es hier eben keinesfalls mit einem ironischen Beobachter zu tun. Ob der Tod des eigenen Vaters (Abendmahl) oder die fragile Konstruiertheit des Sozialen (Wirklich) – stets findet Tristan Vox treffende Worte, die sich schon bald ins Gedächtnis des Hörers einbrennen. Am stärksten wirken die mehrfach codierten Zwischentöne. So endet das Album konsequenterweise programmatisch. Und auf die von einer Spielfigur bewusst schief gespielte Internationale folgt das melancholische „Marie / Vielleicht“. Letztlich bleibt die Welt fragil, die Gewissheiten, das worauf wir bauen, flüchtig. Ein Feuer bricht aus, vielleicht.

Manchmal auch bei Nacht, Marie erscheint im Mai bei Voodokind

3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Unknown hat gesagt…

Was für eine gelungene Besprechung,...der berüchtigte "Nagel auf den Kopf" wurde perfekt getroffen.

Anonym hat gesagt…

"Hinter den oft unscheinbar wirkenden Worten verbirgt sich eine in deutscher Sprache selten zu vernehmende Tiefe." Eine interessante philologische Analyse, dass die deutsche Sprache sich nicht durch Tiefe auszuzeichnen scheint.

Tristan Vox ist gar nicht so eigentlich und besonders wie vom Herrn Autor angenommen. Der deutsche Intellektuellenpop der unsrigen Zeiten zeichnet sich im Gegenteil durch einen übermäßigen Innerlichkeitsdusel aus.

Nietzsche, ein Kenner teutscher Oberflächlichkeit, hätte dieser larmoyanten, postmodernen Emotionennaschkiste ohnehin jeglichen Geschmack abgesprochen.

(Durch dieses Rumpeln verrät sich die eigenste Eigenschaft dieses modernen Menschen: der merkwürdige Gegensatz eines Inneren, dem kein Äußeres, eines Äußeren, dem kein Inneres entspricht, ein Gegensatz, den die alten Völker nicht kennen. Das Wissen, das im Übermaße ohne Hunger, ja wider das Bedürfnis aufgenommen wird, wirkt jetzt nicht mehr als umgestaltendes, nach außen treibendes Motiv und bleibt in einer gewissen chaotischen Innenwelt verborgen, die jener moderne Mensch mit seltsamem Stolze als die ihm eigentümliche »Innerlichkeit« bezeichnet. Man sagt dann wohl, daß man den Inhalt habe und daß es nur an der Form fehle; aber bei allem Lebendigen ist dies ein ganz ungehöriger Gegensatz. Unsere moderne Bildung ist eben deshalb nichts Lebendiges, weil sie ohne jenen Gegensatz sich gar nicht begreifen läßt, das heißt: sie ist gar keine wirkliche Bildung, sondern nur eine Art Wissen um die Bildung, es bleibt in ihr bei dem Bildungs-Gedanken, bei dem Bildungs-Gefühl, es wird kein Bildungs-Entschluß daraus. Das dagegen, was wirklich Motiv ist und was als Tat sichtbar nach außen tritt, bedeutet dann oft nicht viel mehr als eine gleichgültige Konvention, eine klägliche Nachahmung oder selbst eine rohe Fratze. In Innern ruht dann wohl die Empfindung, jener Schlange gleich, die ganze Kaninchen verschluckt hat und sich dann still gefaßt in die Sonne legt und alle Bewegungen, außer den notwendigsten, vermeidet. Der innere Prozeß, das ist jetzt die Sache selbst, das ist die eigentliche »Bildung«. Jeder, der vorübergeht, hat nur den einen Wunsch, daß eine solche Bildung nicht an Unverdaulichkeit zugrunde gehe. Denke man sich zum Beispiel einen Griechen an einer solchen Bildung vorübergehend, er würde wahrnehmen, daß für die neueren Menschen »gebildet« und »historisch gebildet« so zusammenzugehören scheinen, als ob sie eins und nur durch die Zahl der Worte verschieden wären./Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben)

Heiner M.