Mittwoch, 18. März 2015
regenwürmer
in jenem sommer lag die erde rissig
und trocken da. mit wechselstrom und drähten
im boden schufen wir ein falsches wetter
und lockten würmer hoch, um jene zwitter
an blanke haken auszuliefern. jahre später
seh ich am himmel ihre schatten ziehen, riesig,
in dunklen wolken, präsentiert sich mir die welt
vorm fenster als kaltes quadrat. ich warte auf das klopfen
an meiner tür und vor der scheibe fällt und fällt
der regen. ich mißtraue jedem tropfen.
(Jan Wagner, Guerickes Sperling, 2004)
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2 Kommentare:
schaf, hahn, ente
versailles, ein park, noch alles halb im schlaf,
als der ballon sich von der erdenbahn
entfernt, so sagen es die dokumente
nur volk, kein pöbel, keine parlamente -
und seine majestät, umringt von graf
und gräfin, der mätresse, dem galan
ein rohr, in dem konvex und konkav
die linse schwebt, ein strick, den man durchtrennte,
der nie mehr ganz wird - sollte es mahn-
mal sein, was dort am kalten wetterhahn
vorbeizieht, eine art von epitaph?
ein ball aus seide längs der windtangente,
verschwindend über einem spleiß von kahn,
die untertanen schaf und hahn und ente
in ihrem korb kaum hörbar, seltsam brav
in gottes blauem himmel, nur pigmente,
nicht mehr, und gerade eben noch der hahn,
die ente, und zuguterletzt das schaf.
(jan wagner)
in jenem städtchen lag die erde rissig
und trocken da. mit wechselwirkung und drahtigkeit
im hess schufen wir eine gemütlichkeit
und lockten poetai hoch, um jene zwitter
an blanke verleger auszuliefern. jahre später
seh ich am himmel ihre schatten ziehen, riesig,
in dunklen buchhandlungen, präsentiert sich mir die welt
vorm fenster als kaltes quadrat. ich warte auf das klopfen
an meiner tür und vor der scheibe fällt und fällt und fällt und fällt und fällt und lällt und lällt und lallt und lallt es. ich mißtraue jeder regentonne. appetit nach poäsie lässt einen sich in sein eigenes brillengestell hineinhungern, die untoten dichter jedoch ziehen ewig hungrig.
Heiner Müller
P.S. Warum bekomme ich eigentlich nicht den Leipziger Buchpreis?
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