Montag, 17. September 2007

Der ideelle Konsument




Herr Tournier
von Feridun Zaimoglu


Galaxy: Herr Wilfried Tournier. Sie bezeichnen sich als ideellen Konsumenten. In Funk, Film und Fernsehen singen Sie das Loblied auf den Kaufsouverän in der magischern Warenwelt und werden dafür von Vertretern der Kirchen und Gewerkschaften als Ultra-Economy-Monster, Konsumjubelposer oder auch als analrenitenter Ordnungsfuzzi beschimpft. Was heißt überhaupt analrenitent?


Herr Tournier: Laut Duden bedeutet Renitention die Zurückhaltung auszuscheidender Flüssigkeiten. Wenn ich die Polemik richtig verstehe, bin ich in den Augen der Hysteriker, die eine Gegnerschaft zu mir konstruieren wollen, ein Mensch, der keine Toilette aufsucht, wenn ihn der große Stuhlgang plagt. Was sie damit aussagen wollen, ist wahrscheinlich auch ihnen selbst schleierhaft.


G: Ohne Zweifel haben Sie diese Leute auf die Palme gebracht. Haben Sie dafür eine Erklärung?


T: Das ist eine künstliche Aufregung. Nicht mehr und nicht weniger.


G: Anscheinend lassen auch Sie sich davon anstecken. Einen Gewerkschaftsfunktionär als „stinkendes Element“ zu beschimpfen, zeigt auch nicht von ausgesuchter Höflichkeit.


T: Ich bin nicht sehr glücklich über diese meine Entgleisung…


G: Machen wir einen harten Schnitt und kommen auf ihre Thesen und Theorien. Was genau wollen Sie und verkaufen, Herr Tournier?


T: Ich behaupte mit gewissem Recht, dass der Konsum eine Sichtachse in die Wildnis geschlagen hat. Und es ist meine feste Überzeugung, dass dem Konsum, in all seinen Variationen, die optimale Platzausnutzung des Glücksterrains innewohnt.


G: Das haben Sie schön gesagt, wir haben es trotzdem nicht verstanden…


T: Die freie Marktwirtschaft ist die beste aller Welten, und auch die Subversiven, die vor gar nicht so langer Zeit die Systemfrage gestellt hatten, haben sich wie Parasiten im großen Wirtschaftskörper eingenistet. Kritik gilt in unserem Lande als Zeichen der Intelligenz. Deshalb will niemand mit der ganzen Wahrheit herausrücken, die da heißt: In der kapitalistischen Gesellschaft wird jeder glücklich! Der Konsum ist keine kranke Sucht, auch der Kauf von entbehrlichen Luxusgütern gibt uns das bisschen Freude, auf das wir alle ein Anrecht haben. Also weg mit dem schlechten Gewissen!

G: So weit so gut. Sie fordern aber alle Bevölkerungsschichten dazu auf, noch mehr noch schneller zu kaufen. Reicht Ihnen die immense Verschuldung der Haushalte nicht?


T: Es gibt Menschen, die sind derart weltfremd, dass sie sich als Touristen vorkommen, wenn sie kurze Zeit vor die Tür gehen.


G: Wie sollen wir das jetzt bitteschön verstehen?


T: Wir leben in paradiesischen Verhältnissen. Um das feststellen zu können, muss man sich jedoch anbequemen, die eigene Stube zu verlassen.


G: Gut, wir haben also die Wohnung verlassen, haben auch hinter uns abgeschlossen und sind jetzt an der frischen Luft. Was erwartet uns also Ihrer Meinung nach?


T: Was wir sehen, ist der Kalte Krieg der Logos, ist die Logo-Inflation, sind die Logoträger. Die Botschaft lautet: Ich bin markiert und habe einen langen kommerziellen Atem. Meine Markierung gegen die deine. Die Jagd nach der Konsummarke, nach dem Unikat, treibt die Massen an. Was die kommunistische Doktrin unter Zwang versucht, jedoch nicht geschafft hat, ist Wirklichkeit geworden: Mit der Selbstbedienung haben alle Volksmassen das Glück auf Erden gefunden.


G: Es fällt auf, dass Sie in der Tonlage eines religiösen Eiferers reden.


T: Der Konsum macht Nächstenliebe möglich. Er hilft mir, meine hässlichen Mitmenschen, wenn nicht zu lieben, so doch in gewisser Weise zu ertragen. Meine Vitalität nimmt über meine Kauffreude zu.


G: Kaufen macht frei?


T: Eine schönere Korrespondenz wie zwischen dem Kaufgebildeten und dem Produkt kann es nicht geben. Gott nimmt man nicht in einer Einkauftüte mit nach Hause. Das Gespür für das begehrte Objekt ist eine ungleich feinere Geistesausstattung als sie jede Religion ihren Gläubigern zu geben vermochte.


G: Das könnte aber auch als Blasphemie durchgehen!


T: Sie fragen mich danach, ob der Konsum selig macht. Und ich sage: Nieder mit dem Verzichtsdogma! Nieder mit der Konsumaskese! Es lebe die Logo-Inflation! Es lebe…


G: Ist ja gut! Lassen Sie uns doch bitteschön aus dem Nebel der Philosophie heraustreten. Sie haben vorhin den Ausdruck „Kaufgebildeter“ benutzt. Was meinen Sie damit?


T: Die Shopper-Primitiven wissen nicht um die in den Gebrauchsdingen kondensierte Dingseele. Sie sind unendlich dumm und können nur Ware als Ware kaufen. Ein Konsumaristokrat dagegen springt nicht unbedingt auf ein plausibles Preisschild an.


G: Konsum bildet, ich verstehe. Aber was macht Sie, der Sie ja wie wir Normalsterblichen Ihren Einkaufswagen zur Kasse fahren und für dessen Inhalt zahlen müssen, so besonders?


T: Wir sprechen vom Prinzip Konsum, von der Idee darin und dahinter. Im Konsum haben wir zweifelsohne ganz flache Hierarchien, und Kaufhäuser gibt es in allen zivilisierten Ländern. Jeder kann kaufen. Jeder soll kaufen. Ich persönlich bin zutiefst kaufkonservativ. Im Gegensatz zu der Rinderherde der gemeinen Konsumenten gehe ich strikt nach Einkaufszettel vor. Ich kaufe Produkte und Luxuswaren, die zu meinem Glück tatsächlich fehlen. Ich sehne mich nach dem Einzelstück, und kurz bevor ich an meiner Konsummelancholie verzweifle, kaufe ich es. Also bin ich ein Finanzsouverän, ein Ritter der gebremsten Geldverschwendung.


G: Sie schönen und veredeln ihr Biedermeierglück


T: Sie wollen doch wohl nicht der Mangelwirtschaft der DDR das Wort reden, oder?


G: Ich glaube einfach, Sie unterwerfen sich der Totalstimulation der Warenwelt und bezeichnen ihr Elend als Privileg. Das ist so, als wenn Plantagensklaven ein dreifaches Lebewohl auf den Massa skandierten.

T: Sie sind ideologisch verblendet. Ich habe ein klares Credo und es lautet: Ja, ich bin gebrauchswertintendiert! Ja, ich fühle mich wohl dabei! Ja, die Waren sind Inventarstücke meiner Existenz!

G: In einer Anzeige für Möbeldesign ist von so einem „souveränen Sofa“ und einem „vollwertigen Bett“ die Rede. Finden Sie es nicht bedenklich, dass erwachsene Menschen einem Sofa Souveränität und einem Bett Vollwertigkeit andichten?


T: Die Werbung kann auch in Gagapropaganda umschlagen.


G: Schön, dass Sie mir zustimmen. Um in Ihren Worten zu reden: Wieso bitteschön sollten wir Ihnen etwas abkaufen, wenn wir den Verdacht haben, dass Sie uns also mit Gagapropaganda ein nutzloses Produkt andrehen wollen?


T: Sehen Sie, die Art von Kapitalismuskritik, mit der Sie mich und Ihre Leserschaft agitieren, ist auch nichts anderes als Ware. Im emotional gestörten, linken Chaoten von heute erkenne ich meines Geistes zukünftiges Kind. Er wird allen oppositionellen Kräften folgen und sich ebenso dem Kaufhausindividualismus ergeben. Beuys hat den Begriff der sozialen Physik geprägt, ich spreche von der Warenausstellungsfläche Deutschland.


G: Herr Wilfried Tournier, in ihrer schönen neuen Warenwelt scheint es die Armen nicht zu geben.

T: Der Arme ist ein potenzieller Aufsteiger. Seine knappen Ressourcen bremsen ihn noch. Er kann sich trotzdem noch zu einem Besserverdiener hoch entwickeln. Seine Kaufzurückhaltung wird sich dann geben. Ich spreche natürlich nicht von den professionellen Opiumessern, die uns allen auf der Tasche liegen. Dieses Gevölk braucht die harte Medikation.

G: Haben Sie Ambitionen, in die Politik einzusteigen?


T: Nein.


G: Na, Gott sei Dank. Herr Tournier, sie wohnen und leben in Kiel. Kiel gilt zwar als Landeshauptstadt, ist aber meines Wissens als Metropole nicht so recht in Erscheinung getreten. Sind Sie dort als Konsumaristokrat nicht vielleicht doch fehlplatziert?


T: Die Marktdynamik entfaltet sich allerorten, sie erfasst sozusagen alle Standorte. Ihre Frage entbehrt insofern jeglichen Hintersinns, als dass das tropische Konsumklima, wie ich das heiß temperierte Kaufverhalten bezeichne, in jeder noch so kleinen Siedlung vorherrscht. In Kiel wie in Konstanz wird die Marktplatzierung nicht nur des Produkts, sondern auch des Einzelverbrauchers vorgenommen.


G: Wenn man Sie so reden hört, wird man das Gefühl nicht los, dass Sie sich mit einer Litfasssäule verwechseln.


T: Mein Stilmuster gehört mir. Das ist der Effekt.


G: Ich will mich plakatieren, wie ich will, um frei nach einer Margarinewerbung zu sprechen…

T: Der Vergleich hinkt. Ich habe einen freien Willen und ich bin, wie alle Menschen, total komfortfunktional ausgerichtet. Dieser totale Wille setzt sich durch und es liegt einzig und allein an mir, für die für meinen Lebensstil gebräuchlichen Warenmuster aufzukommen. Was für mich als Komfortindividualisten gilt, hat auch seine Gültigkeit bei einem Polit-Rocker, der sich mit seinesgleichen zusammenrottet, um Sachschäden zu verursachen. Man muss ihn mit dem Kostenverursachungsprinzip konfrontieren.

G: Von Konsum zu law and order – ein gewagter Spagat…


T: Ich gehe sogar einen Schritt weiter. Das Sozialsystem wird belastet von den Aussaugern. Wir, ein Volk aus anständigen Steuerzahlern, brauchen für die notorischen Faulenzer in den lower classes Einzelbetreuung und ein individuell zugeschneidertes Aussteigerprogramm.

G: Der Arme als Chaot und Sozialparasit – damit machen Sie sich keine Freunde.

T: Ich bin unbedingt dafür, den Sumpf der sozial nicht tragbaren Elemente trocken zu legen. Früher gab es Kriege, um das Arbeitslosenheer einer alternativen Beschäftigungspolitik zuzuführen. Auch wenn man sich unbeliebt macht, es wird Zeit, über ungewöhnliche Maßnahmen laut nachzudenken.

G: Sie propagieren allen Ernstes den Krieg als Wunderwaffe gegen die Arbeitslosigkeit?

T: Ich mache nur unkonventionelle Vorschläge. Manchmal ist es nicht damit getan, den Paradedegen zu ziehen.

G: Eine allerletzte Frage: Was ist ihre Lieblingsspeise?

T: Polenta auf Tomatenlauch!

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Guter Stoff! Es bedarf sicher einiger Überzeugungsarbeit und eines umfangreichen soziopädagogischen Maßnahmenkatalogs, aber ich bin mir sicher, dass auch der verblendetste Arme irgendwann aus der aus der - freilich! - selbstverschuldeten Unmündigkeit der 'Kaufzurückhaltung' ausgeht und den Atem findet, in die Jerichotrompete des reinen Konsums zu stoßen.
Denn der Kranke ist ein potenziell Gesunder. Und, dies wird den werten Herrn Tournier besonders erfreuen, der offensichtlich Verrückte auch nur ein potenziell Zurechnungsfähiger.