Freitag, 29. April 2011

wolken, weisen

Die ZEIT unternimmt seit Anfang des Jahres den ehrenhaften Versuch einer Wiederbelebung politischer Lyrik und räumt dieser jede Woche einen prominenten Platz im Politikteil der Zeitung ein. Die Qualität der bisher veröffentlichten Gedichte ist dabei sehr unterschiedlich, und vieles bleibt (dem Medium entsprechend) kryptisch. Auffallend jedoch sind die Tendenz zur konsequenten Kleinschrift, sowie der weitgehende Verzicht auf Satzzeichen und Reime. Damit irritieren diese Texte gleich doppelt, und erfüllen so ihren Zweck als gänzlich andere Perspektiven auf Politik, als es Reportagen, Interviews, Essays, Kommentare und Analysen erlaubt ist. Eines der Gedichte, das mir besonders gefallen hat, stammt von der mir bisher unbekannten Uljana Wolf:

wolken, weisen

           i love originality so much i keep copying it. charles bernstein

diese zeile habe ich schon einmal wo gelesen, eine zweite
          siehe, seite, so. anders schon gelesen. eine zweite, ziehn
zweige and fenster schlugen, was eine art gemeinwesen
          wo zweige ans fenster, "fenster" eine art gemeint zu sein
von der cloud her, denken, quellen, morphende formen
          men, von den wolken her, wellen und formen als waisen
wunden, diese spannung zwischen anhängern eines closed
          oder innere, die anhängende spannung zwischen losen
oder offen vorgestellte textverbände, nehmen seit jahren
          en bereitgestellter text, verbands, und nahm seit jahren
zu, dies schrieb meine hand, geführt vom eignen druck
          auf und meine hand, vom eignen früher sanft gedrückt

4 Kommentare:

Arthur hat gesagt…

Ich bin schuld

Ich zielte nicht, noch war ich Zielscheibe.
Ich befreite-eroberte keine Städte und Dörfer.
Ich sagte keine Zaubersprüche auf,
Gab keine klugen Ratschläge,
Schrieb keine patriotischen Gedichte,
Gebar keinen Helden.
Mein Beitrag zur Geschichte - gleich null!
Zu meiner Verteidigung habe ich nichts zu sagen.

(Radmila Lazic)

Rabenfelsen hat gesagt…

Wiegenlied

Deutschland – auf weichem Pfühle
Mach dir den Kopf nicht schwer!
Im irdischen Gewühle
Schlafe, was willst du mehr?

Lass jede Freiheit dir rauben,
Setze dich nicht zur Wehr,
Du behältst ja den christlichen Glauben
Schlafe, was willst du mehr?

Und ob man dir alles verböte,
Doch gräme dich nicht zu sehr,
Du hast ja Schiller und Goethe:
Schlafe, was willst du mehr?

Dein König beschützt die Kamele
Und macht sie pensionär,
Dreihundert Taler die Seele:
Schlafe, was willst du mehr?

Es fechten dreihundert Blätter
Im Schatten, ein Sparterheer;
Und täglich erfährst du das Wetter:
Schlafe, was willst du mehr?

Kein Kind läuft ohne Höschen
Am Rhein, dem freien, umher:
Mein Deutschland, mein Dornröschen,
Schlafe, was willst du mehr?

(Georg Herwegh)

Manuel Iwansky hat gesagt…

"Auffallend jedoch sind die Tendenz zur konsequenten Kleinschrift, sowie der weitgehende Verzicht auf Satzzeichen und Reime."
- Klang für mich schon immer wie das perfekte Rezept, ein Poem möglichst seriös erscheinen zu lassen. Den Verzicht auf Reime halte ich für sinnvoll, ab und an kann man ja dann doch einen einschmuggeln, der Wirkung wegen. Den Rest tue ich jetzt einfach mal als Modeerscheinung ab.

Um es den vorigen Kommentatoren gleichzutun:

Uralter Teich.
Ein Frosch springt hinein.
Plop.

- Bashō

Arthur hat gesagt…

"Mit ihm kann man Pferde stehlen. Seine Pferde." (Matthias Greis und Bernd Ulrich, ZEIT Nr. 9/11)

Sie wissen doch, die Zeit heilt alle Kunden
die unzufrieden sind mit Wunderheilern, stapeln Sie

sämtliche Lorbeerkränze auf Ihr Kopfzerbrechen
so hoch wie alle Luftsprünge aller Lottogewinner aller Zeiten zusammen

nehmen Sie deren Schmerztabletten ein
und wenn Sie wieder landen, ziehen Sie das Clark-Kent-Kostüm aus

lassen Sie CDs mit Ihrem Zähneknirschen brennen
wie einen Scheiterhaufen und kinnladen Sie sich den Mund herunter

bis zum Adelsgeschlecht, um sich fortzupflanzen
im festen Glauben an die eigene Stärke, um Himmels willen

nehmen Sie nicht ernst, was andere sagen, die zitieren doch nur
andere und somit sich selbst

Pferdedieb ist kein akademischer Grad, ein Sündenbock aber
raubt Ihnen den gerechten Schlaf, stahl

sich unverrichteter Dinge davon
ein paar Stunden und den einen großen Traum: Ich

werde sein, was noch keiner gewesen ist, nicht Doktor
und auch nicht Patient

ich werde regieren: werde mich in Zukunft beherrschen können

(Herbert Hindringer)