Montag, 15. Juli 2013

Das Geschäft mit deutschen Waffen



Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur weltweit. Und der Umfang der Exporte nimmt stetig zu. Seit Jahrzehnten sorgen deutsche Regierungen – ganz gleich welcher Kombination – so für Tod und Leid in Krisengebieten. Auf Einladung der Schorndorfer Jusos hat Jürgen Grässlin in der Manufaktur dieses Thema beleuchtet und zusammen mit SPD-Bundestagskandidat Alexander Bauer diskutiert.

Der Waffenhandel in Deutschland ist für Jürgen Grässlin ein Lebensthema. Seit mehr als dreißíg Jahren ist er als Friedensaktivist aktiv, seit 1999 Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft. Die Rüstungsindustrie kennt er wie kein zweiter. Zahlreiche Bücher hat er über sie verfasst. Seine Hauptgegner: Heckler & Koch und Daimler/EADS. Und er besucht regelmäßig Opfer deutscher Waffen in Kriegsgebieten. Jetzt hat er in einem 624 Seiten dicken Wälzer namens „Schwarzbuch Waffenhandel“ sein gesammeltes Wissen komprimiert.

Und darin steht eine ganze Menge darüber, wie der Waffenhandel in Deutschland funktioniert, wer zu den Verantwortlichen zählt und wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass heute etwa jedes zweite Gewehr der Welt eine G3 von Heckler & Koch ist, übertroffen nur noch von der Kalaschnikow. „Handfeuerwaffen wohlgemerkt sind die tödlichste aller Waffen überhaupt“, sagt Grässlin - und gerade bei diesen sei der Export in den letzten Jahren geradezu explodiert. Eine deutsche Spezialität: das Hochrüsten verfeindeter Bevölkerungsgruppen und Staaten.

„Beim Waffenhandel gibt es keine Demokratie“

Dafür macht Grässlin zunächst die Politik verantwortlich, denn „beim Waffenhandel gibt es keine Demokratie“. Über Exporte bestimmt der Bundessicherheitsrat, ein geheim tagendes Gremium, bestehend aus Kanzlerin, Vizekanzler, sowie sieben Ministern. Was dieser beschließt bleibt für die Öffentlichkeit, selbst für das Parlament im Verborgenen. Kein anderer Kanzler habe mehr Exporte zu verantworten als Helmut Kohl. Doch Angela Merkel sei auf dem besten Wege, ihn zu übertreffen. 2010 erreichte sie mit einer Exportsumme von knapp 2,2 Mrd. Euro den bisherigen Höchstwert. Die Masse an „Dual-Use“, also der zivil wie militärisch nutzbaren Güter nicht mitgerechnet.

Doch heikle Rüstungsexporte sind beileibe keine Spezialgebiet der Bürgerlichen. Auch Rot-Grün ist sich unter Schröder nicht zu schade dafür gewesen und unterstützte ab 2004 den libyschen Diktator Gaddafi. Merkels neuster Großinvestor ist nun seit kurzem Saudi-Arabien. Für den Häuserkampf zugeschnittene Leopardpanzer hat die Bundesrepublik im Angebot. „Die lassen sich prima dazu einsetzen, in Demonstrantenmassen reinzufahren.“ Das sei Teil ihrer Doktrin: „Mehr Rüstungsexporte, weniger Soldaten“. Eine sich christlich nennende Partei unterstütze also ausgerechnet ein Land mit Waffen, in dem es unter Strafe verboten ist, eine Bibel mit sich zu tragen. Sogar eine Linzenz zur Produktion von G36-Sturmgewehren habe das Land erhalten. Ganz vorne mit dabei, wenn es um Rüstungslobbyismus geht: CDU-Fraktionschef Volker Kauder. In seinem Wahlkreis beheimatet: Heckler & Koch. Zwei Millionen Todesopfer habe dieses Unternehmen laut Grässlin seit seinem Bestehen zu verantworten, „die Heckler & Koch-Uhr, sie tickt“.

Illegale Exporte von Heckler & Koch

Immer wieder sei das Unternehmen aus Oberndorf aufgefallen durch seine illegalen Waffenexporte. 2010 hat Grässlin den Konzern deshalb angezeigt. Seine Begründung: das Rüstungsunternehmen habe illegal Waffen in Unruheprovinzen Mexicos geliefert. Ein Vorwurf, der inzwischen von mehreren ehemaligen Mitarbeitern bestätigt wurde. Noch hat das Landgericht nicht entschieden, ob es ein Strafverfahren einleitet. Grässlin: „Der Kampf gegen die Rüstungsindustrie ist auch manchmal ein Kampf gegen die Justiz.“

Doch der Friedensaktivist ist zuversichtlich. Zwei Unterlassungsklagen von Daimler aus dem Jahre 2005 hat er bereits überstanden. Bis zum Bundesgerichtshof ging die Sache, wo die Klage schließlich abgelehnt wurde. Denn Grässlin war Daimler ein Riesendorn im Auge. Als einer der Kritischen Aktionäre bei Daimler (Grässlin besitzt genau eine Aktie) war er über Jahre bei jeder Jahreshauptversammlung anwesend um sein Rederecht zu nutzen. Da sprach er dann etwa über die 150 000 Militärunimogs, die der Autohersteller in über 80 Länder (darunter Syrien und Irak) geliefert hat. Oder die Geschäfte der EADS, Europas zweitgrößtem Rüstungskonzern. Erst vor wenigen Wochen hat Daimler seine Anteile daran verkauft. Ein kleiner Erfolg für den Friedensaktivisten, immerhin.

Grässlin möchte aber, dass sich etwas ganz grundsätzlich ändert in Deutschland. 78 Prozent der Deutschen seien für ein völliges Verbot des Waffenhandels. Genau dies fordert nun die Initiative „Aufschrei Waffenhandel“, um deren ausdrückliche Unterstützung er bittet. Die bekommt er vom SPD-Bundestagskandidaten zwar nicht schriftlich. Dennoch zeigt sich Bauer in der anschließenden Diskussion sichtlich nachdenklich. Und verspricht zumindest, sich der Sache anzunehmen, sofern er es denn in den Bundestag schafft.

Die drei „Lebenslügen“ der Rüstungsindustrie (nach Grässlin): 
  1. Die Rüstungsindustrie sichert wichtige Arbeitsplätze – Grässlin: Arbeitsplätze der Vergangenheit vielleicht. Allein die Energiewende hat schon ein zigfaches mehr an Arbeitsplätzen geschaffen als die Rüstungsindustrie, das ist die Zukunft.
  2. Wenn wir nicht liefern liefern die anderen – Grässlin: Falsch. In der Realität ist es so: Wenn die andern nicht liefern, liefern wir. 
  3. Regt euch nicht auf, eine Waffe ist neutral – Grässlin: Eine Waffe ist nie neutral, denn ihr Ziel ist es, zu töten. 
Mehr Infos:
www.aufschrei-waffenhandel.de
Rüstungsinformationsbüro: www.rib-ev.de

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