Sonntag, 21. Dezember 2014

Peter Licht und der Kapitalismus, der alte Schlawiner

Der Sprachkünstler unter den Popmusikern dieses Landes gastierte kürzlich in der Schorndorfer Manufaktur. Und irritierte so manchen Besucher mit sparsamer Instrumentierung, szenischen Lesungen und einem wunderbar selbstironischen Umgang mit dem eigenen Werk.

„Sag mir, wo ich beginnen soll“, fordert Peter Licht, sein neustes Buch in der Hand haltend, und gibt sich die Antwort gleich selbst: „Wir sollten so beginnen: Wir singen die Freiheit, wir singen die Möglichkeiten, wir singen das Land, den Staat, die Ansammlung, die Ausbreitung, die Einsamkeit, die Hoffnung, die tatsächlich sich erfüllt und die Trauer, die tatsächlich da ist.“ In diesen wenigen Zeilen, mit denen der Kölner das Konzert einläutet, steckt bereits alles, was das Werk des Musikers, Theatermachers und Autors kennzeichnet: Das Wechselspiel von Ernst und Ironie, von Dadaismus und Gesellschaftskritik sowie das Wortmächtige, Listen- und Skizzenhafte seiner Gedanken.

Worte, sorgsam abgewägt, hin- und hergedreht und wieder neu zusammengesetzt bilden schließlich den Kern seiner Arbeit. Weil Worte eine so entscheidende Rolle spielen, lässt er seinen Auftritt auch konsequenterweise mit einer Lesung aus seinem neusten Werk „Lob der Realität“ beginnen. Mit einer Hymne an die freie Welt: „Willkommen im heiligen Zustand ereignisloser ewiger Euphorie.“ Mehr als zehn Minuten muss das Publikum zunächst Zeilen wie diesen zuhören, am besten sehr konzentriert zuhören, denn die Texte, die Peter Licht rezitiert, sind sehr dicht geschrieben. Weil es sich hierbei eben gerade nicht um die wackeligen Versuche eines Musikers handelt, der unbedingt auch mal was zwischen zwei Buchdeckeln packen wollte.

Nein, Peter Licht hat sich nicht nur in der Theaterwelt ein Namen gemacht. Bereits 2003 startete er das Theaterprojekt „Karoshi. Tod durch Überarbeitung“, 2006 dann „Wir werden siegen. Und das ist erst der Anfang“ – beide Stücke wurden an den Münchner Kammerspielen aufgeführt. Auch für die Literaturkritik gilt er spätestens seit dem Ingeborg-Bachmann-Preis von 2007 als ernstzunehmender Autor. „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends“ hatte damals sowohl die Jury wie das Publikum überzeugt.

Ein Motiv, das sich durch seine Texte zieht, ist dabei stets die mal subtile, mal plakative, mal wiederum ironisch-distanzierte Kritik am Kapitalismus, den er als „alten Schlawiner“ bezeichnet – immer kombiniert mit einer gesunden Portion Selbstironie. Mit dem Aufruf „Begrab dein iPhone an der Biegung des Flusses“ beginnt dann auch der musikalische Teil des Abends. Und der gestaltet sich überraschend ruhig und reduziert. Brachte bei seinem letzten Auftritt in der Manufaktur noch eine druckvolle Band die Besucher zum Tanzen, so war an diesem Abend die Atmosphäre eher intim: Peter Licht und seine Gitarre – lediglich sanft begleitet von seinem Pianisten und Schlagzeuger Tobias Philippen – spielten die Songs so leise und aufs Wesentliche reduziert als würden sie gerade ein Wohnzimmerkonzert geben.

Dass der Künstler seine Stücke nicht mehr so druckvoll auf der Bühne präsentiert wie einst, hatte sich bereits auf seinem aktuellen Livealbum angedeutet, das zusammen mit dem Buch „Lob der Realität“ erschien und auch denselben Titel trägt. Doch mit einer so gedämpften musikalischen Darbietung hat wohl kaum jemand im Publikum gerechnet – und damit so manche Erwartungen enttäuscht.

Das Publikum macht sich Sorgen um die Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Entsprechend hoffnungsvoll stimmte er die Besucher, als er nach einer halben Stunde einen Wechsel ankündigte, um dann eine Sitar auszupacken und zu den einschläfernden Klängen der indischen Langhalslaute über Leichen zu fabulieren, die am Neckarufer verbrannt würden. Nur um das Publikum schließlich auf „Wir machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“ einzustimmen. Ein Klassiker im Bühnenrepertoire des Künstlers, der aber nichts an Charme verloren hat. Und Peter Licht schafft es tatsächlich, dass sein Publikum, von Sitarklängen begleitet, minutenlang den Refrain trällert.

Von da an nimmt der Abend einen heiteren, fast kabarettistischen Verlauf. Dabei nimmt der Künstler sich und seine Songs dann auch selbstironisch in die Mangel, legt seine Gitarre beiseite und beginnt ungelenk auf der Bühne zu tänzeln. Nebenher dekonstruiert er seine Popsongs, macht aus „Meine alten Schuhe (Die große Sonne verbrennt das ganze Geld)“ einen leichtfüßigen Bossa Nova und huscht über Hits wie den „Safarinachmittag“ einfach gnaden- und respektlos hinweg. Zwischendrin schnappt sich der Künstler dann wieder sein neustes Werk und liest daraus eine lakonische Geschichte. Das ergibt in der Summe einen so charmant unprätentiösen Auftritt, dass man es Peter Licht gerne verzeiht, dass er sich immer wieder in seinen eigenen Texten verhakt, Textzeilen vergisst und das mit der Kritik an dem Kapitalismus, dem alten Schlawiner, am Ende vielleicht doch eher als symbolisches Sprachspiel versteht.

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